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Audio: rbb24 Inforadio | 20.09.2024 | Jana Ebert | Quelle: dpa/Tack

Überschüssiger Ökostrom

Wenn Windräder nicht mehr angehalten werden müssen

An Sommertagen oder bei besonders viel Wind übersteigt die Produktion erneuerbarer Energien oft den Bedarf. Überschüssiger Strom bleibt dann ungenutzt. In Berlin wird gerade getestet, wie man das ändern kann. Von Jana Ebert

Ein unscheinbarer Altbau in der Pankower Allee in Berlin-Reinickendorf. Im Keller des Mietshauses steht eine Installation, die ein zentrales Problem der Energiewende lösen soll. Sie ist an den Warmwasser-Speicher der Gasheizung angeschlossen. Umgerüstet hat sie das Berliner Start-up "Decarbon1ze".

"In den Warmwasserspeicher haben wir einen elektrischen Heizstab eingebaut, eine sogenannte Stromdirektheizung", erklärt Geschäftsführerin Arwen Colell. "Das funktioniert wie der Wasserkocher zu Hause: Er macht das Wasser zum Duschen heiß, aber dank der angeschlossenen Elektronik immer nur dann, wenn es zu viel Wind- oder Solarstrom gibt."

Arwen Colell mit Warmwasserkesseln in einem Reinickendorfer Heizungskeller. | Quelle: rbb/Ebert

Entschädigung in Milliardenhöhe

Das Stromnetz selbst kann überschüssigen Strom nicht speichern. Um es nicht zu überlasten, müssen Wind- und Solaranlagen heruntergeregelt werden, wenn gerade zu viel produziert wird.

Dafür bekommen die Betreiber eine Entschädigung, die letztlich Verbraucherinnen und Verbraucher über die Netzentgelte zahlen.

Im Jahr 2023 gingen in ganz Deutschland auf diese Weise gut 19 Terawattstunden (TWh) Strom verloren, wie aus einer Statistik der Bundesnetzagentur hervorgeht. Das entspricht etwa vier Prozent der gesamten Stromerzeugung Deutschlands. Die Kosten betrugen 3,1 Milliarden Euro.

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Wenn Bürger Energie machen

Je weniger also abgeregelt wird, desto besser wird der Strom aus erneuerbaren Energien genutzt, Emissionen aus fossilen Energieträgern werden eingespart und es fallen weniger Entschädigungen an – so die Idee.

Im Reinickendorfer Heizungskeller wirft deshalb jetzt ein Steuergerät den Heizstab an, wenn gerade zu viel Wind- oder Solarstrom ankommen. Fünf Heizungsanlagen für insgesamt 210 Wohneinheiten wurden in dem Mietshaus des Wohnungskonzern Vonovia zu Testzwecken umgerüstet.

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Gesetzesänderung am 1. Oktober

Damit so eine Speichertechnik sinnvoll werden kann, hat die Bundesregierung das Energiewirtschaftsgesetz geändert: "Nutzen statt Abregeln" heißt der neue Paragraf. Ab dem 1. Oktober können die Betreiber der Übertragungsnetze überschüssige Strommengen Abnehmern zu einem Preis zuteilen, der von staatlichen Abgaben befreit ist. Und weil der Ökostrom dann immer mal wieder den Wasserspeicher nachheizt, muss der Vermieter weniger Gas für die Heizung einkaufen. "Das verspricht natürlich unseren Mietern auch niedrigere Energiekosten", sagt Stefan Ritter, der bei der Vonovia das Pilotprojekt in Reinickendorf verantwortet.

Dass das wirklich so kommt, ist noch nicht sicher. 20 Kubikmeter Warmwasser verbraucht eine Person jährlich im Schnitt, der Kubikmeter kostet zwischen fünf und 15 Euro – je nach Versorger und Heizungsart, erklärt Stefan Bolln, Vorsitzender des Bundes-Verband unabhängiger Energieberatender GIH. Insgesamt also maximal 300 Euro pro Jahr und Person. Ob und wieviel davon eingespart werden kann, muss jetzt das Pilotprojekt zeigen.

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Die Idee gab es schon vor zehn Jahren

"Die Idee ist nicht neu, aber sie ist jetzt reif", sagt Bolln. Schon vor über zehn Jahren habe es in Schleswig-Holstein ein ganz ähnliches Projekt gegeben. Doch damals sei es eben einfacher gewesen, Windräder abzuregeln, als den Strom nutzbar zu machen: "Die Kraftwerksbetreiber haben ja trotzdem verdient, da die EEG-Umlage von den Bürgern bezahlt wird."

Letztlich müsse es das Ziel sein, mit grünem Überschussstrom günstiger zu heizen als mit Öl und Gas, sagt Bolln. Und das müsse der Staat über seine Abgaben und Steuern auf den Strom regeln. "Ich bin jetzt 54 Jahre alt - wenn ich das noch erleben kann, dass es bestraft wird, Strom abzuregeln statt ihn zu nutzen, würde mich das freuen. Denn das ist ja richtig Geld."

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Kosten-Nutzen-Rechnung steht noch aus

Der Heizstab könne durchaus eine Lösung sein, um die Spitzen aus dem Netz zu kriegen, sagt auch Erik Debertshäuser, Geschäftsführer & Technischer Berater beim Fachverband Sanitär Heizung Klima des Landes Brandenburg. Bestehende Anlagen umzurüsten sei aber nur dann möglich, wenn es einen Anschluss für den Heizstab gebe. Das ist zum Beispiel bei einem Pufferspeicher für Warmwasser der Fall, der oft in Mehrfamilienhäusern vorhanden sei: "Dann ist es eine simple Lösung."

Der fernansteuerbare Heizstab kostet zwischen 500 und 750 Euro, die Kosten für den intelligenten Stromzähler und den Einbau sind derzeit noch relativ hoch, sagt Gründerin Colell. Um eine Gesamtrechnung aufzustellen, muss also erstmal das Pilotprojekt ausgewertet werden, das ab 1. Oktober für zwei Jahre läuft. Erstes Ziel sei, dass Warmwasser insgesamt nicht mehr koste als vorher - und trotzdem sofort Emissionen eingespart würden, sagt Colell.

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Gasheizungen noch sehr weit verbreitet

Das potenzielle Anwendungsgebiet wäre da: Laut Zensus 2022 werden rund die Hälfte der Wohnungen in Berlin und Brandenburg mit Gas beheizt und knapp zehn Prozent mit Heizöl. Im Durchschnitt haben diese Heizungen eine Restlebensdauer von mindestens zehn Jahren, so der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.

Der Zentralverband der Deutschen Haus- Wohnungs- und Grundeigentümer Haus & Grund teilte rbb|24 mit, knapp die Hälfte der Vermieter planten laut einer Befragung keine Modernisierungen – vor allem aus finanziellen Gründen. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, es sei nicht leistbar, die Klimaschutzziele an der eigenen Immobilie bis 2045 zu erreichen, wie es das Heizungsgesetz der Bundesregierung vorsieht.

Vonovia testet demnächst auch in Hamburg

Der Heizstab als Zwischentechnologie könnte also Zukunft haben – wenn er sich denn rechnet. Getestet wird in Berlin derzeit außer bei der Vonovia in einem Mehrfamilienhaus einer privaten Eigentümerin und bei der Wohnungsbaugenossenschaft DIESE eG.

Von der Vonovia sollen demnächst noch Wohnungen in Hamburg dazukommen, erklärt Stefan Ritter. Wenn das Projekt dort gut läuft, werde die Vonovia über eine bundesweite Umrüstung entscheiden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.09.2024, 06:45 Uhr

Beitrag von Jana Ebert

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