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Video: rbb24 Abendschau | 15.10.2024 | Anja Herr | Quelle: dpa/Marijan Murat

Frauen im Handwerk

"Wir brauchen jede zupackende Hand"

Kfz-Mechatronikerinnen, Metallbauerinnen, Schornsteinfegerinnen – sie sind eine Seltenheit. Der Anteil von Frauen im Handwerk sinkt weiter. Dabei ist Berlin auf sie angewiesen, sagt die Präsidentin der Handwerkskammer – und will um sie kämpfen. Von Anja Herr

Angelina Hein ist hochkonzentriert. "Jetzt erneuern wir erstmal Getriebe und Motor", sagt die 22-Jährige. Sie steht in der Auto-Werkstatt von Audi in Charlottenburg, vor ihr auf der Werkbank liegen Schrauben und Werkzeug. Vor einem Jahr hat sie ihre Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin erfolgreich abgeschlossen – und ist jetzt glücklich in dem Beruf, von dem sie schon als Kind geträumt hat. Mit 15 Jahren machte sie ihr erstes Praktikum in der Fahrzeugwerkstatt der Berliner Stadtreinigung (BSR) - spätestens dann war für sie klar, welchen Beruf sie einmal lernen will.

Dass ihre Kollegen fast alle Männer sind, stört Angelina Hein überhaupt nicht. "Wir sind ein gutes Team, und darauf kommt es an", sagt sie. Was sie dagegen stört, sind Kunden, die ihre Kompetenz infrage stellen, weil sie eine Frau ist. "Wenn ich ihnen was erkläre, fragen sie: Sind Sie da sicher?" Ihre männlichen Kollegen werden das nicht gefragt, sie seien als "Fachmänner" akzeptiert.

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Gegen das Schubladen-Denken

Aber sie lässt sich nicht unterkriegen. "Ja, ich bin sicher", sagt sie dann. Denn sie weiß, was sie gelernt hat. Und sie will junge Frauen motivieren, sich ebenfalls einen Handwerksberuf zuzutrauen. "Wir müssen weg von diesem Schubladen-Denken", sagt sie.

Genau das ist auch das Ziel der Ausstellung "Stolz und Vorurteile" [hwk-berlin.de], die gerade im Berliner Abgeordnetenhaus gezeigt wird. Angelina Hein ist eine von fünf Handwerkerinnen, die dafür porträtiert wurden, mit Fotos und Texten über ihre Arbeit. Von der Schornsteinfegerin bis zur Metallbauerin: Die Schau will Klischees hinterfragen. Initiiert wurde sie von der Handwerkskammer Berlin mit dem Ziel, Handwerkerinnen sichtbarer zu machen und "die Chancengleichheit zur Selbstverständlichkeit zu machen", wie die Kammer mitteilt. Sie wirbt um Frauen, weil sie sie braucht.

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Konkurrenz durch akademische Laufbahnen

Denn der Anteil der Frauen an Ausbildungen im Handwerk ist in Berlin in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich gesunken: von 29 Prozent Frauenanteil im Jahr 2003 auf 17 Prozent im vergangenen Jahr. Generell ist das Interesse an handwerklichen Berufen zurückgegangen, auch bei Männern. Vor zwanzig Jahren wurden pro Jahr noch mehr als 6.000 Ausbildungsverträge im Handwerk abgeschlossen, im vergangenen Jahr waren es nur noch gut 3.000 – die Zahl hat sich fast halbiert. Einen Grund sieht die Handwerkskammer Berlin in der starken Konkurrenz durch akademische Laufbahnen. Zudem herrsche der Irrglaube, das Handwerk biete keine attraktiven Karrieremöglichkeiten, sagt die Präsidentin der Handwerkskammer Carola Zarth.

Dabei gebe es im Handwerk zahlreiche Aufstiegschancen, wie etwa die Weiterbildung zum Meister oder zur Meisterin. Oder die Möglichkeit, einen eigenen Betrieb zu gründen oder Führungspositionen zu übernehmen und somit auch Verantwortung für den Nachwuchs zu tragen.

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Die Zahl der Inhaberinnen von Handwerksbetrieben ist dagegen leicht gestiegen: Vor zehn Jahren waren es noch 22 Prozent, jetzt sind es 27 Prozent, also mehr als ein Viertel aller rund 20.000 inhabergeführten Betriebe in Berlin. Zudem wählen Frauen mittlerweile nicht mehr nur klassische Frauenhandwerksberufe. Auf dem ersten Platz ist zwar – wie auch vor zehn Jahren – der Friseurberuf. Platz 2 ist Tischlerin, Platz 3 Konditorin. Aber auch Berufe wie Lackiererin (Platz 7) und Kfz-Mechatronikerin (Platz 9) haben es im vergangenen Jahr unter die Top 10 geschafft – 2013 waren sie noch nicht dabei.

Die Bemühungen, Frauen und Mädchen durch Initiativen wie den Girls' Day für Berufe zu gewinnen, die nicht als typische Frauenberufe gelten, hält Handwerkskammerpräsidentin Carola Zarth für wichtig. Zudem erforderten viele handwerkliche Berufe aufgrund des technischen Fortschritts und der Digitalisierung heutzutage weniger körperliche Kraft, seien also auch für Frauen geeignet.

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Forderung: Wohnraum für Azubis und Werkunterricht in Schulen

Ein entscheidender Punkt, junge Menschen für den Handwerkerberuf zu gewinnen: der Wohnungsmarkt. Wer eine Ausbildung beginnt, braucht eine günstige Unterkunft – gerade in den ersten Jahren, wenn der Lohn noch gering ist. Deshalb betont Zarth, es sei wichtig, bezahlbaren Wohnraum für Auszubildende zu schaffen. Zudem sollten Kinder und Jugendliche bereits früh für den Handwerksberuf begeistert werden – durch die Einführung von Werkunterricht in Schulen. Eine Forderung, die die Handwerkskammer seit Jahren immer wieder stellt. Die Hoffnung: Auf diese Weise würde schon Kindern und Jugendlichen Einblicke in handwerkliche Berufe ermöglicht. "Sie könnten so ihre Interessen und Fähigkeiten entdecken und weiterentwickeln", sagt Zarth. Nicht nur Jungen, sondern auch Mädchen.

Mehr Frauen für Handwerksberufe zu gewinnen, sei aus mehreren Gründen wichtig: Neben der Chancengleichheit spiele auch der wirtschaftliche Aspekt eine Rolle. Denn der Fachkräftemangel werde immer dringlicher. "Jede zupackende Hand wird gebraucht, um Berlin am Laufen zu halten", sagt die Handwerkskammerpräsidentin.

Angelina Hein muss sie davon nicht überzeugen. Sie hämmert, dreht, schraubt. Es ist ihr Traumjob. Und eines Tages, sagt sie, wird sie vielleicht sogar Meisterin sein.

Auf Youtube anschauen: Mehr Frauen braucht das Handwerk – aber wie?

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.10.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Anja Herr

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