rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft

Leider gibt es ein Problem beim Abspielen des Videos.

Video: rbb|24 | 01.11.2024 | Simon Wenzel | Quelle: rbb / Simon Wenzel

Mediaspree in Berlin-Friedrichshain

Dead City und die Arena

Nach dem Mauerfall konnte die Stadt Berlin einen langen Uferabschnitt an der Spree neu planen. Was heutzutage ein Traum wäre, wurde damals noch ganz anders bewertet. Nun stehen in prominenter Lage Büros - und eine Eventhalle. Von Simon Wenzel

In der Freia-Eisner-Straße ist kein Mensch zu sehen. Die Gebäudefronten, die sie einrahmen, wirken kalt und dunkel. In den Büros sind keine Leute, es ist Wochenende. Ein Haus scheint sogar noch leer zu stehen. Durch die leicht verspiegelten Fenster ist ein opulentes Foyer mit riesiger Treppenkonstruktion zu erahnen, aber keine Einrichtung. Nur in einem Wohnhaus brennen vereinzelt Lichter.

Auf dem Boden der nächsten Querstraße steht "Dead City" mit Sprühfarbe geschrieben. Nicht ganz unpassend, zumindest hier und jetzt. Am Ende der Straße, etwa zweihundert Meter entfernt, beginnt das Leben. Der Uber-Platz. Einige Menschen stehen schon an der nach dem gleichen Unternehmen benannten Arena an. Nachher spielt Alba Berlin. Der Basketball-Bundesligist ist zwar nicht der Top-Act in der Eventhalle, aber ein paar Tausend Menschen werden da sein. Auf dem Platz ist derweil schon der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Es ist November.

Breite Straße, "Dead City": Die Valeska-Gert-Straße führt auf den Uber-Platz zu. Die große Straße wirkt skurril leer. | Quelle: rbb / Simon Wenzel

Büros in der "Planstraße C" stören die Arena nicht

Die Uber-Arena hieß bis vor ein paar Monaten noch "Mercedes-Benz-Arena" und davor "O2-World". Wenn sich ihr Name ändert, fließt viel Geld, werden schnell viele Schilder gewechselt und Google Maps weiß innerhalb von Tagen darüber Bescheid. Die menschenleere Freia-Eisner-Straße wurde kürzlich erstmals umbenannt, im Oktober. Beim großen Online-Kartendienst heißt sie immer noch "Planstraße C" und auch das alte Schild hängt noch. Immerhin ist es durchgestrichen.

Etwas zugespitzt sagt das alles über ihre Bedeutung aus. Sie ist Beiwerk der Arena. Weitgehend glatte Fassaden ohne Ladenzeilen, hauptsächlich Büros, nur ein Wohnhaus - all das ist kein Zufall. Die Straße liegt in einem Häuserblock, der augenscheinlich vor allem einen Zweck hat: die Uber-Arena und ihren Vorplatz strahlen zu lassen. Niemand will allzu lange in den umliegenden Straßen verweilen, sondern schnell zur Halle, dem Kino und den Filialen der Gastroketten kommen, die den Platz säumen. 170 Events finden im Jahr in der Uber-Arena statt, dazu kommen über 100 weitere in der Music Hall.

"Was wir hier sehen, ist die klassische Planung eines Entertainment Quartiers, das sich auf die Arena fokussiert", sagt Aljoscha Hofmann bei einem Spaziergang durch die Straßen am Uber-Platz. Er ist Stadtforscher und unter anderem Berater bei "Think Berlin". Mit der Entwicklung des Spreeufers beschäftigt er sich zu Forschungszwecken seit dem Studium. Als die Uber-Arena 2008 noch mit dem Namen O2-World eröffnet wurde, stand Hofmann auf dem noch viel kahleren Platz und beobachtete die Proteste gegen die Arena und die "Mediaspree".

Das Gebiet rund um die Arena nennt er nur "Anschutz-Areal", nach der amerikanischen Anschutz-Gruppe, die es erworben, entwickelt und inzwischen zu einem Großteil weiterverkauft hat. Anfang der 2000er Jahre kaufte Anschutz die riesige Industriebrache eines ehemaligen Güterbahnhofs von der Deutschen Bahn und baute die Arena. Auch an der Entwicklung der umliegenden Areale war Anschutz beteiligt.

Glatte Gebäudefronten, keine Spätis oder Cafés: Die Freia-Eisner-Straße ist kein Kiez. | Quelle: rbb / Simon Wenzel

"Die Randflächen werden passfähig gemacht", sagt Hofmann zwischen den Glasfronten der Büros. Hier durfte nur hin, was die Arena nicht stört. Büros sind gut, Wohnungen eher nicht so. Wenn gearbeitet wird, finden kaum Events statt, wird es an der Arena laut, sind hinter den Glasfassaden längst die Lichter aus, "Wohnen wäre da konfliktreicher", sagt Hofmann.

Was wo gebaut werden darf, wird mit einem Bebauungsplan festgelegt. So können Bezirk und Land steuern, was auf einem Gelände entsteht, ohne es selbst zu besitzen. Damit wird auch zumindest teilweise planbar, welche Entwicklung ein Viertel nimmt und was in seinen Mittelpunkt gerückt wird. In der Praxis hat ein großer Investor wie Anschutz aber viel Macht, vor allem gegenüber einer Stadt, wie sie Berlin um die Jahrtausendwende war - arm und noch nicht mal besonders sexy.

Den Bebauungsplan für das Arena-Areal und die umliegenden Straßen hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Anfang der 2000er Jahre festgesetzt, vor allem die Stadt wollte aber die Arena.

Mediaspree in Berlin-Friedrichshain

Wo ein Wille, da kein Weg?

Nach der Wende öffnete Berlin die Spreeufer für Investoren, die Interessen der Bürger blieben oft auf der Strecke. Der versprochene Uferweg symbolisiert die Kluft zwischen Planung und Realität – auch 20 Jahre später ist er unvollständig. Von Simon Wenzel

Win-Win für die Stadt und den Arena-Betreiber

Aus politischer und wirtschaftlicher Sicht war es ein guter Deal für Berlin und für Anschutz. Der Investor bot der Stadt mit seiner Eventhalle eine vielversprechende Perspektive für eine Industriebrache, finanzierte in einem städtebaulichen Vertrag festgelegt sogar Zufahrtsstraßen und einen Spielplatz. Dafür bekam der Investor wohl Zugeständnisse bei den Bebauungsplänen. Erworben hatte er zunächst das gesamte Areal, inklusive der heutigen umliegenden Büroblöcke. Viele Flächen wurden anschließend einzeln verkauft, die letzte 2017, teilt ein Unternehmenssprecher mit.

Heute gehören Anschutz nach eigenen Angaben noch die Arena und das anliegende Parkhaus, die Gebäude direkt am Uber-Platz und der Platz selbst, außerdem die Fläche des Bootsanlegers an der Spree (auf dem eine riesige Leuchtreklame steht), die der East-Side-Mall und des Zalando-Towers sowie ein Bereich unter der Warschauer Brücke. Wie viel Anschutz mit den Verkäufen von Boden hier erlöst hat, ist nicht bekannt. Man darf aber davon ausgehen, dass sich das Geschäft gelohnt hat für den Investor. Die Preise stiegen in den letzten Jahrzehnten immens in Berlin.

Das Areal ist nur ein Beispiel von vielen für das Geschäft mit dem Boden im Berlin der 90er Jahre, und Anschutz soll hier nicht als großer Bösewicht dargestellt werden. Der Investor hat einfach eine Chance erkannt, die die Stadt bot und sie genutzt. Außerdem hat er fertig gebaut, davon können andere Bezirke heutzutage nur träumen - der Steglitzer Kreisel lässt grüßen.

Hier sollen die Menschen hinströmen: Der Uber-Platz mit seiner Arena. Links ist der Weihnachtsmarkt zu sehen. | Quelle: rbb / Simon Wenzel

Am nördlichen Spree-Ufer sind viele Gelände in privater Hand. Östlich der Oberbaumbrücke gibt es ein riesiges Kongresshotel, daneben sitzen Konzerne wie Coca-Cola. Westlich der Uber-Arena steht ein Luxus-Wohnhochhaus, weiter hinten sind Büros.

Nach der Wende gehörte noch ein erheblicher Teil des Spreeufers landes- oder bundeseigenen Unternehmen. So besaßen beispielsweise die Behala (Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe), die BSR, die Wasserbetriebe, die Bahn und der Liegenschaftsfonds große Flächen. Vieles davon wurde nach und nach verkauft. Die meisten Einnahmen sind unbekannt, von der Behala weiß man aber zum Beispiel aus Protokollen von Parlamentssitzungen, dass sie bis 2010 rund 38 Millionen Euro am Verkauf ihrer Flächen verdiente. Der Senat teilt auf Anfrage mit, über die gesamten Einnahmen durch Grundstücksverkäufe gebe es keine Übersicht.

Das Anschutz-Areal ist also kein Einzelfall, aber ein gutes Beispiel. Weil es mittendrin liegt. Zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße und nah an der Oberbaumbrücke. Heutzutage würde man sagen: Ein Filetstück, auf dem man sich auch anderes vorstellen könnte. Mehr Wohnungen, mehr Grünflächen, einen neuen Kiez vielleicht.

Weniger Büros, mehr Wohnen wären heute erwünscht

Der Gedanke liegt nahe, dass hier Chancen verpasst wurden. "Ich glaube, wenn man das Stand heute, 2024, neu entscheiden müsste – wir reden also 23 Jahre nach der Entscheidung für die Pläne der Anschutz-Gruppe, fast 35 Jahre nach ersten Überlegungen für das Gebiet, dann muss man konstatieren, dass wir solche Orte heute anders entwickeln würden", sagt Aljoscha Hofmann. Weniger Büros, mehr Wohnen und mehr Flächen in landeseigener Hand halten, das wäre wohl die Strategie.

Die Arena dürfte sich wahrscheinlich nicht mehr in prominente Uferlage setzen. Wobei sie als Veranstaltungshalle grundsätzlich ihre Berechtigung habe, findet Hofmann. Eine Eventfläche mit multifunktionaler Nutzung und in ähnlicher Größe gibt es sonst nicht in Berlin. Und die Büros lassen sich aus heutiger Sicht leicht verteufeln. Anfang der 2000er Jahre, als "Mediaspree" ein politischer Werbeslogan und kein Unwort war, hatte Berlin noch keine Wohnungsnot. Dafür hoffte man auf einen Wirtschaftsboom und von Homeoffice hatten damals auch noch viele nichts gehört.

"Jetzt kommt man davon nicht mehr so leicht weg", sagt Hofmann. Vielleicht würden Büros aber irgendwann wieder wichtiger. Wer weiß das schon. Die Stilfrage steht auf einem anderen Blatt: "Ob es einem gefällt, ist eine persönliche Geschmackssache", sagt Aljoscha Hofmann. Es wirkt, als würde die Umsetzung ihm nicht so gut gefallen.

"Es ist kein Kiez geworden"

In Gewinner und Verlierer will der Stadtforscher die Geschichte von der Arena nicht teilen. Das ist ihm zu "schwarz-weiß". Wäre vielleicht auch zu einfach. Der große Gewinner liegt auf der Hand. "Am meisten profitiert der Entwickler", sagt Hofmann. Anschutz habe seine Flächen vermarktet und verkauft, das Arena-Projekt realisiert. Das amerikanische Entertainment-UFO ist längst in Berlin gelandet. Rund sieben Millionen Menschen besuchen den Platz jährlich, sagt ein Sprecher der Anschutz Gruppe. Die letzten Büros nebenan sind noch gar nicht lange fertiggestellt. Größtenteils ist das Quartier aber bereits bezogen, vor allem Zalando sitzt hier.

"Berlin profitiert auch", sagt Hofmann deshalb. Arbeitsplätze seien entstanden, es gebe Steuereinnahmen. Zudem sorge die Arena mit ihren Konzerten und Events für ein kulturelles Angebot in der Stadt. Davon profitieren auch die Bürger, selbst wenn sie in den umliegenden Straßen kein typisches Kreuzberger Leben vorfinden.

Und damit wären wir beim Fazit: "Der Raum hat eine hohe Qualität in seiner Gesamtgestaltung", fängt Hofmann an. Da hört man den Stadtplaner. Gemeint sind beispielsweise saubere, breite Wege aus hochwertigen Materialien. "Ist es Berlin-spezifisch oder spezifisch für Friedrichshain-Kreuzberg? Da würde ich eher sagen nein. Es ist kein Kiez geworden", sagt Hofmann. Die leere Freia-Eisner-Straße (aka Planstraße C) ist sein Beweis.

Das neue und das alte Straßenschild der Freia-Eisner-Straße. Im Hintergrund ist einer der unfertigen Hochhaustürme Max und Moritz zu sehen. | Quelle: rbb / Simon Wenzel

Land profitiert von Steuern, Bezirk bedauert fehlende Vielfalt

Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sieht das inzwischen so. Die "für Berliner Verhältnisse sehr großmaßstäbliche Entwicklung und weitgehende Renditeorientierung" habe zu "starken Kontrasten mit den Nachbarkiezen" geführt, schreibt ein Sprecher. Gleichwohl ist Berlin mit dem Ergebnis zufrieden: Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, Touristen - all das bringt der Uber-Platz.

Leidtragender ist - wenn man so will - der Bezirk. Ein Sprecher des Bezirksamts teilt mit, die Planungen seien von den Prognosen für Berlin bestimmt gewesen. "Vieles ist dann anders gekommen und man würde aus heutiger Sicht sicherlich einige Entscheidungen anders treffen", schreibt er. Von dem großen Vorteil, den Steuereinnahmen, profitiere der Bezirk nur indirekt. Aus der Antwort des Bezirks lässt sich vielleicht deshalb eine gewisse Unzufriedenheit erahnen. Wesentliche Grundzüge der Neugestaltung am Nordufer hätte der Senat vorgegeben, beschreibt der Bezirkssprecher. "Es hätte sicherlich die Möglichkeit bestanden, durchaus kleinteiliger und differenziert zu entwickeln und damit mehr Nutzungsmischung und Vielfalt zu erreichen." Die Haushaltslage Berlins habe das damals aber auch nicht zugelassen.

Aljoscha Hofmann, der sich auch durch Protokolle von Bezirksverordnetenversammlungen gewühlt hat, sagt: "Im Bezirk versteht man es, glaub ich, bis heute so, dass das Projekt dem Bezirk vom Senat zugemutet wurde, und man den Investoren weit entgegengekommen ist." Das Endergebnis entspricht seiner Einschätzung nach nicht dem, was sich Friedrichshain-Kreuzberg auf die Fahne geschrieben hat: "Zu großteilig, zu kommerziell", findet Hofmann. "Es trifft nicht die Themen der lebenswerten, nachhaltigen Stadt."

"Unwirklicher Restraum" auf dem Weg zum Ostbahnhof

Und es war ja auch nicht so, als wäre Berlin vollkommen ideenlos gewesen, bevor der Investor kam. Ein wesentlicher Teil der ursprünglichen Planung von Anfang der 1990er Jahre fiel beispielsweise dem Arena-Areal zum Opfer. Viele neue Gebäude - auch Büros waren schon damals vorgesehen, aber eine erheblich andere Verkehrsführung. Durch eine Straße sollte das Neubauviertel und die Spree besser mit den Kiezen hinter der S-Bahn verknüpft werden. Die wäre kurz hinter dem Ostbahnhof von der Mühlenstraße abgegangen und hätte sich zwischen den Neubauten an die Bahntrasse angenähert und zur Warschauer Brücke geführt. Sie wäre also genau da lang gegangen, wo heute der Uber-Platz ist. Vielleicht wurde sie deshalb verworfen.

Stattdessen gibt es nun eine Insel für Entertainment und Büros. Wer sie in Richtung Ostbahnhof verlässt, kommt hinter der ersten Ampel an einem kleinen Stück Wiese vorbei, direkt gegenüber des Living-Levels Hochhauses. Der Rummelsburger Platz. "Das ist für mich einer der schwächsten Räume hier", sagt Stadtplaner Hofmann als der Spaziergang schon fast vorbei ist. Die nutzlose Zwischenfläche wirkt auf der Karte betrachtet wie ein beim Fliesen eines Bodens übrig gebliebenes Bruchstück. Auf ihm stehen manchmal ein paar Baucontainer, denn gebaut wird in der Gegend auch heute noch. Einen "unwirklichen Restraum", nennt Hofmann den Platz. Ein weiteres Symbol dafür, wo hier die Prioritäten lagen.

Projekt "Mediaspree"

Beitrag von Simon Wenzel

Artikel im mobilen Angebot lesen