Wintermärkte statt Weihnachtszauber
Lieder, Glühwein, Karussell: Zwischen Ewigkeitssonntag und Heiligabend öffnen alljährlich die Weihnachtsmärkte. Doch statt als "Weihnachtsmarkt" im Advent wollen einige als "Wintermärkte" länger öffnen. Von Stefan Ruwoldt
Nicht neu, aber anders: Neben den "Weihnachtsmärkten" in Berlin etablieren sich immer mehr "Wintermärkte".
Die Zeit nach den Oktoberrummel-Vergnügungen besetzen seit einigen Jahren neue Veranstalter. Sie wollen als frühe Vögel den Zech- und Schlender-Wurm fangen, der bisher erst im Advent wieder zum Vorschein gekommen war. So gibt es - in diesem Jahr nicht zum ersten Mal - eine Karussellsause an der Landsberger Allee (die "Lichtenberger Winterzeit") und die "Winterwelt am Potsdamer Platz" schon seit Anfang November. Dann sind da auch noch das "gemütlich-schrägste Winteruniversum der Stadt" auf dem Holzmarkt, der Markt auf dem RAW-Gelände und die LGBTQIA-Winterdays am Nollendorfplatz in Schöneberg. Santa braucht hier keiner mehr als Maskottchen.
Santa zieht nicht mehr? Der Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg (HBB), Phillip Haverkamp, widerspricht. "Weihnachten ist mehr, als dass man einfach nur 300 Euro auf dem Rummel ausgibt. Es ist Glühwein. Es sind die Kinder. Und für die meisten sind es auch die Lichter", sagt er. Haverkamp spricht als Handelsexperte und er sagt: "Man stürzt sich für das Fest ins Shopping. Für Weihnachten eben. Das ist das Erlebnis."
Die Weihnachtsmärkte abzuschreiben wäre vorschnell, meint der Experte. Ganz einfach, weil eben "Santa" sehr wohl noch ein marktwirtschaftliches Zugpferd sei. Das Entscheidende sei, dass "die Kinder aufgeregt sind", so Haverkamp. Vorfreude auf Weihnachten schaffe man nicht Anfang November.
"Wir schätzen, dass es über 60 Märkte in Berlin sind, die in der Vorweihnachtszeit öffnen", sagt der Handelsexperte. Nur eine Handvoll in Berlin starte dabei schon Anfang oder Mitte November. Genaue Zahlen für Berlin und Brandenburg lägen dem Verband allerdings nicht vor.
Das Ritual bleibe grundsätzlich gleich, lautet Haverkamps Einschätzung: "Die Weihnachtsmarktzeit startet in den meisten Fällen nach dem Ewigkeitssonntag und endet zum Heiligabend." Ewigkeitssonntag, auch Totensonntag genannt, ist immer der Sonntag vor dem ersten Advent.
Haverkamp verweist auf eine Art Konsum- und Feier-Ritual. Natürlich gingen die Umsätze schon vorher nach oben, auch die des stationären Handels; doch die Weihnachtsstimmung und die Einkaufslaune habe ihre Hauptzeit Anfang Dezember. "Es gibt natürlich auch Leute, die im August ihre Weihnachtsgeschenke kaufen, aber dafür muss dann noch keiner seine Schaufenster weihnachtlich schmücken oder einen Tannenbaum aufstellen."
Kirchen und die Politik sieht Haferkamp auf seiner Seite, wenn es darum geht, den ritualisierten Saisonstart nach dem Ewigkeitssonntag beizubehalten. Auch in diesem Jahr startet die Eröffnung mit einem Treffen der Vertreter von Handel, Senat und Kirche am 25. November auf dem Bebelplatz, also in der Woche vor dem ersten Advent, wie der HBB-Geschäftsführer ankündigt.
Traditionell Schluss ist für die Weihnachtsmärkte am Heiligen Abend. Händler und Karussellbesitzer setzen sich dann mit ihren Einnahmen ebenfalls an den Baum und zählen - kurz darauf wird dann immer eine Statistik veröffentlicht. Auf etwa 1,3 Prozent Netto-Wachstum schätzt Haverkamp das Umsatzpotential für den Handel im Weihnachtsgeschäft in der Region in diesem Jahr. Inflationsbereinigt liege man dann etwa im Jahresvergleich bei "plusminus Null".
Vorsichtig optimistisch sei er mit der Prognose seines Verbands für dieses Jahr, sagt Haverkamp. Wenn diese 1,3-Prozent-Nettowachstum-Vorhersage eintreffe, könne der Handel zufrieden sein: "Seit Corona ist die Geschäftsstimmung wie eine Herz-Rhythmus-Störung: auf und ab und kaum vorhersehbar. Pandemie, Krieg, wirtschaftliche Flaute, Hamas-Angriff auf Israel und nun die Trump-Wahl und die Regierungskrise in Deutschland - viele Gründe für Vorsicht und Unsicherheit, und es wird gerade nicht ruhiger."
Doch einige Marktbetreiber werfen die bisherige Öffnungs- und Schließroutine der Weihnachtsfeierei über Bord - und viele der Märkte nach neuem Konzept öffnen bis nach Weihnachten.
Auf der einen Seite hat das familiär-soziale Gründe: Unterm Weihnachtsbaum wächst das Schlechte-Laune-Potential. Schon am 25. Dezember, wenn die Mülltonnen von bunten Schleifen und Packpapier überquellen, haben viele Menschen die Besinnung satt und suchen Zerstreuung. Und sie sind offenbar bereit, neu Geld auszugeben.
Für Veranstalter und Flächenverpächter kann es sich lohnen, dass die Märkte länger laufen. Mehr Zeit für Einnahmen und die Vermieter der Flächen - also die Stadt Berlin, die Bezirke oder die Brandenburger Städte und Gemeinden - erhalten höhere Einnahmen.
Die zu Heiligabend noch fehlenden Umsatzprozente beim Geschäft können so an den Zusatztagen vielleicht noch aufgeholt werden. Eigentlich ein guter Grund, um in den Nach-Feiertagen Chris Rea dann doch noch einmal aufzulegen. Oder der einzige Grund.
Beitrag von Stefan Ruwoldt
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