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Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 07.11.2024 | Gabi Probst | Quelle: dpa-Bildfunk/Christoph Soeder

Berliner Messe-Chef

Staatsanwaltschaft sieht keinen Anfangsverdacht

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat am Freitag mitgeteilt, dass es keinen Anlass gibt, Ermittlungen gegen Mario Tobias, den Chef der Messe Berlin, einzuleiten. Im September hatte die IHK-Potsdam Strafanzeige gegen ihren ehemaligen Hauptgeschäftsführer gestellt.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat am heutigen Freitag mitgeteilt, dass es "mangels Anfangsverdacht" keine Ermittlungen gegen Mario Tobias, den Chef der Messe-Berlin, geben wird. Vorausgegangen war eine Strafanzeige der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK-Potsdam) vom 26. September 2024 "wegen des Vorwurfs der Untreue und des Betruges".

Mario Tobias hatte dem rbb schon zuvor mitgeteilt: "Die Vorwürfe zu Untreue, Betrug oder sittenwidriger Schädigung sind allesamt unzutreffend." Auch sei der IHK kein Schaden entstanden.

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Grundlage der Vorwürfe gegen Tobias sind ein von der IHK in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, ein Prüfbericht des Landesrechnungshofs (LRH) Brandenburg sowie eine Prüfung der Rechnungsprüfungsstelle (RPS) des Dachverbandes der Industrie- und Handelskammern. Ein Ergebnis der Prüfer: Beim Abschluss des Dienstvertrags von Tobias soll gegen die Satzung der IHK verstoßen worden sein.

Tobias soll außerdem seine Pflichten als Hauptgeschäftsführer verletzt haben, indem er dem Präsidium der IHK - dem höchsten Gremium der IHK - den Inhalt seines 2018 neu verhandelten Vertrags vorenthalten habe. Laut Satzung hätte das gesamte Präsidium darüber abstimmen müssen. Der Landesrechnungshof kritisiert insbesondere eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung im Wert von bis zu 2,7 Millionen Euro - wäre er bis zu seinem Renteneintritt bei der IHK geblieben.

Erst im Januar 2023 waren die Vorwürfe innerhalb der neu gewählten IHK-Führung bekannt geworden. Im Frühjahr 2023 wurde daraufhin der umstrittene Vertrag mit Tobias aufgelöst. Kurz darauf berief ihn die Messe Berlin zum neuen Geschäftsführer.

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Nicht das gesamte Präsidium informiert

Gemäß der Satzung beschließt das Präsidium der IHK "über deren Angelegenheiten und bereitet u.a. Beschlüsse für die Vollversammlung" vor. Dazu gehört auch der Vertrag mit dem Hauptgeschäftsführer. Zum Präsidium gehören der Präsident, zwei Stellvertreter - und sieben weitere Mitglieder.

Am 15. März 2018 ist Peter Heydenblut Präsident der IHK Potsdam. Nur er und seine Vizepräsidenten unterschreiben an diesem Tag einen neuen Dienstvertrag für weitere fünf Jahre mit dem Hauptgeschäftsführer Mario Tobias, eineinhalb Jahre vor Ablauf des alten Vertrags. Die anderen Präsidiumsmitglieder wissen offensichtlich davon nichts, obwohl sie laut Rechtsgutachten die Verlängerung per Beschluss hätten absegnen müssen.

Ein Gutachter kommt später außerdem zu dem Ergebnis, dass der Vertrag die IHK zu überhöhten Zahlungen verpflichtet habe. So steigt Tobias‘ Grundgehalt von rund 152.000 Euro auf 195.000 Euro und erhöht sich jährlich um 6.000 Euro. Zusätzlich wird damals mit Tobias eine leistungsabhängige Zielprämie in Höhe von bis zu 20 Prozent des Grundgehaltes vereinbart: Im Jahr 2021 beträgt sein Jahresfestgehalt bereits 207.000 Euro, dazu kommt eine Prämie von 41.400 Euro. Damit rangiere Tobias bis zum Ausscheiden im oberen Bereich dessen, was bei vergleichbaren Industrie- und Handelskammern verdient wird.

Mario Tobias stellt zur Neuregelung seiner Vergütung fest: "Die Anpassung erfolgte im Rahmen der Zielvorgabe der Vollversammlung, das Vergütungsniveau der IHK Potsdam an den mittelgroßen IHKs in Deutschland zu orientieren."

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Hinzu kommt eine Neuregelung bei der Alters- und Hinterbliebenenversorgung, die in Tobias‘ Fall ab 2019 greift. Die Zahlungsverpflichtungen der IHK steigen von 15 auf 55 Prozent der Gesamtvergütung. Konkret bedeutet das: Zahlt die IHK 2019 rund 32.900 Euro in die Versorge ihres Hauptgeschäftsführers ein, so sind es 2020 schon 136.600 Euro, so ein Gutachten. Wäre der heute 52-Jährige bis zur Rente Hauptgeschäftsführer geblieben, hätte die IHK dafür rund 2,7 Millionen Euro aus ihren Beiträgen aufbringen müssen.

Von den Vertragsdetails wussten nach rbb-Recherchen zunächst nur der Präsident und seine Stellvertreter. Die anderen Präsidiumsmitglieder werden darüber nicht informiert. Laut Protokoll erfahren sie auf einer Sitzung Anfang September 2018 - ein gutes halbes Jahr nach der Vertragsunterzeichnung - unter dem Tagesordnungspunkt "Sonstiges" nur, dass der Präsident, seine Stellvertreter und Tobias sich verständigt hätten, den Vertrag vorzeitig für die Amtszeit von 2019 bis 2024 zu verlängern.

Rechnungshof-Prüfung nicht weitergeleitet

Ans Licht kommen die Details erst unter Ina Hänsel, die im Herbst 2022 den Posten als IHK-Präsidentin übernimmt. Anfang Januar 2023 erhält sie einen Anruf vom Landesrechnungshof Brandenburg. Der Rechnungshof bittet sie, auf den Prüfbericht des LRH vom November 2022 zu antworten. Bis dahin wusste Ina Hänsel nichts von dem Bericht.

Sie wendet sich an ihren Hauptgeschäftsführer Mario Tobias. "Als Herr Tobias diesen Bericht zwei Monate später, und nur auf Nachfrage, [an mich] herausgab, sah ich anhand der gelben Merkzettel, dass er ihn gelesen hatte", sagte Hänsel dem rbb dazu. Sie habe das als Affront empfunden. Umgehend habe sie danach das Präsidium informiert und den Bericht auf der nächsten Sitzung im Februar 2023 verteilt.

In seinem Bericht stuft der LRH vor allem die "umfassende Altersvorsorge mit hohem, finanziellem Aufwand" als "kritisch" ein. Der Hauptgeschäftsführer könne - je nach Beschäftigungsdauer - Versorgungsleistungen "als garantierte Mindestrente von monatlich 7.500 Euro oder als Kapitalleistung von einmalig 2,7 Millionen Euro beanspruchen". Das IHK-Präsidium beschließt daher, mit einer Gegenstimme, die im Dienstvertrag neu geregelte "Angemessenheit der Gesamtbezüge" prüfen zu lassen.

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Verstoß gegen die Satzung

"Wir haben uns dann von unserer Rechtsaufsicht im Wirtschaftsministerium Rat geholt und die zuständige Fachaufsicht um eine Prüfung gebeten", erklärt Hänsel. Diese Fachaufsicht ist die Rechnungsprüfungsstelle des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Die Prüfer kommen zu dem Ergebnis, dass ein Satzungsverstoß vorliege, weil das gesamte Präsidium über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers hätten entscheiden müssen. Eine Befassung unter "Sonstiges" ein halbes Jahr später stelle "keinen wirksamen Beschluss dar".

Sowohl die Rechts- als auch die Fachaufsicht schließen in ihren Einschätzungen Schadenersatzansprüche der IHK gegenüber Tobias und die ehemalige Führungsspitze nicht aus. Deshalb beauftragt die IHK einen Professor für Handels- und Gesellschaftsrecht damit, ein Rechtsgutachten zu erstellen. Auf 120 Seiten legt dieser dar, welche Pflichtverletzungen dem ehemaligen Hauptgeschäftsführer Tobias, dem ehemaligen Präsidenten Peter Heydenblut und seinen Stellvertretern wegen der Vertragsunterzeichnung und der fehlenden Beteiligung des Präsidiums vorgeworfen werden könnten. Er sieht den Verdacht, dass das Präsidium getäuscht worden sein könnte. Der IHK könnten nach seiner Einschätzung Schadensersatzansprüche gegen Tobias von mindestens 250.000 Euro zustehen - wegen der Alters- und Hinterbliebenenvorsorgeregelung.

Mario Tobias teilt rbb24 Recherche dazu mit: "Die Anpassung erfolgte im Rahmen der Zielvorgabe der Vollversammlung, das Vergütungsniveau der IHK Potsdam an den mittelgroßen IHKs in Deutschland zu orientieren." Die Altersvorsorge liegt nach seiner Aussage unter dem Durchschnitt der vergleichbaren Industrie- und Handelskammern. Der Gutachter stellt fest, dass es nach seiner Kenntnis 2018 keine derartigen Vergleichszahlen gab - damit habe man sich seinerzeit auch nicht daran orientieren können.

Ina Hänsel unterschreibt Ende September 2024 eine Strafanzeige. Sie habe es sich dabei nicht leichtgemacht, sagt sie. "Wir haben viel versucht, den Fall Tobias aufzuklären, Juristen bemüht. Wir wollten Schaden von der IHK fernhalten", so die 65-Jährige gegenüber dem rbb. Hänsel kritisiert, Tobias habe die Satzung kennen und darauf aufmerksam machen müssen, wenn dagegen verstoßen wird. Die Staatsanwaltschaft hat die Aufnahme von Ermittlungen inzwischen abgelehnt.

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IHK ahnt nichts von Bewerbung bei der Messe

Am 26. April 2023 beruft das IHK-Präsidium eine außerordentliche Sitzung ein. Tobias stimmt einer Vertragsauflösung zu. Seine Vorstellungen zur Beendigung des Dienstvertrages soll er - laut Protokoll - klar formuliert haben: Er wolle einen "fairen Umgang", will Einzelheiten der Aufhebung über Rechtsanwälte abwickeln lassen und ab dem 1. Juli 2023 freigestellt werden. Gehalt erhält er bis Jahresende. Seinen Vorstellungen wird in weiten Teilen entsprochen.

Was das Präsidium damals offensichtlich nicht weiß: Schon Anfang des Jahres hatte sich Tobias bei der Messe Berlin als Geschäftsführer beworben. Am 24. April 2023, zwei Tage vor der entscheidenden IHK-Präsidiumssitzung, werden bei der Messe die letzten Auswahlgespräche geführt. Am 25. April erfahren Mitbewerber, dass Tobias das Auswahlverfahren gewonnen hat. Trotzdem verhandelt er am 26. April noch seinen Abgang mit Gehaltszahlungen bis zum Jahresende durch die IHK. "Er hinterließ eher den Eindruck, dass er gern geblieben wäre", erinnert sich Ina Hänsel.

Am 9. Mai wird der Beendigungsvertrag mit der IHK unterschrieben. Am gleichen Tag verkündet die Messe Berlin den Namen ihres neuen Geschäftsführers: Mario Tobias.

Aufklärung bei der Messe gefordert

Im November 2023 ist IHK-Präsidentin Hänsel in einem Potsdamer Restaurant mit Eric Schweitzer verabredet. Er ist zu diesem Zeitpunkt Aufsichtsrat der Messe - früher war er IHK-Präsident in Berlin und bis 2021 Präsident des DIHK.

Schweitzers Favorit soll Tobias anfangs nicht gewesen sein, sondern die Prokuristin der Messe, heißt es aus Insiderkreisen. Sie schafft es wie Tobias auch in die Endrunde - verliert aber letztlich.

Für Olaf Schenk (CDU), Mitglied des Wirtschaftsausschusses und des Unterausschusses für Beteiligungsmanagement und - Controlling im Abgeordnetenhaus ist es fraglich, ob der Aufsichtsrat der Messe sich auch dann für Tobias entschieden hätte, wenn die Vorwürfe bekannt gewesen wären. Auch sei bei der Besetzung der damals schon ausgehandelte aber noch nicht unterschriebene Koalitionsvertrag nicht eingehalten worden. Demzufolge hätte es eine Abstimmung zwischen SPD und CDU zur Besetzung des Spitzenjobs geben müssen. Olaf Schenk: "Hier fordere ich vom Aufsichtsrat und dem Wirtschaftssenat vollständige Aufklärung." Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) sitzt seit November 2023 als erste Stellvertreterin im Aufsichtsrat der Messe.

Sendung: rbb24 Abendschau, 07.11.2024, 19:30 Uhr

Disclaimer: In einer vorherigen Version dieses Beitrags hatten wir geschrieben: "Strafanzeige gegen Berliner Messe-Chef: Verdacht der Untreue und des Betrugs". Hierzu stellen wir fest: Die zuständige Staatsanwaltschaft Potsdam hat einen solchen Verdacht mittlerweile verneint und das Verfahren eingestellt.

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