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Quelle: dpa

Edel-Wohnungen an der Kurfürstenstraße

Gegen den Strich

Drogenhandel, Spritzen auf dem Spielplatz, Sex für 20 Euro: Der Straßenstrich an der Berliner Kurfürstenstraße ist berüchtigt. Doch Investoren begeistert die zentrale Lage - sie spekulieren auf einen radikalen Wandel des Kiezes. Von Sebastian Schneider und Robin Avram

Der Makler empfängt in seinem geräumigen Büro, direkt neben der Mall of Berlin am Potsdamer Platz. Die Klimaanlage surrt, trotzdem krempelt der Mittfünziger die Ärmel seines weißen Hemdes bis zu den Ellenbogen hoch. Wenig später überreicht er einen Werbeprospekt aus dickem Karton. Die drei zum Verkauf stehenden Neubau-Blocks interpretieren "angelsächsische Industrieloft-Architektur" zeitgenössisch, heißt es darin. Sie liegen in einer Gegend, die an das New Yorker Szeneviertel Soho erinnere. "Wir setzen auf die Zukunft", sagt der Makler und lächelt.

Die Zukunft, das ist das Ensemble "G40", 113 Wohnungen in der Genthiner Straße. Sie kosten mehr als 6.500 Euro pro Quadratmeter.

Den Reporter gibt sich im dem Gespräch als Unternehmensberater aus. Sein Erspartes wirft auf der Bank kaum noch Zinsen ab, deshalb will er an der Zukunft mitverdienen. Wenn ich eine "G40"-Wohnung als Kapitalanlage kaufe, wieviel Rendite wären also drin? Er wolle ganz ehrlich sein, sagt der Makler, und lehnt sich zurück. Hinter seinem Lächeln schimmert tiefe Müdigkeit. Die Zeiten, in denen man in Berlin sehr hohe Renditen erzielen konnte, seien leider vorbei. Aber drei Prozent, die seien auf jeden Fall drin. Rund 50 Käufer hätten schon zugegriffen. Unternehmer aus China und Russland, Selbstständige aus Süddeutschland. Neulich sei er mit einem Arzt aus Kuwait zum Notar gegangen

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Sex für 20 Euro

All diese Investoren glauben an die Zukunft. Denn die Gegenwart sieht trist aus. Dort wo das "G40" entstehen wird, in der Genthiner Straße, Berlin-Mitte, reiht sich Plattenbau an Plattenbau, gegenüber steht ein Möbelhaus.

An der nächsten Ecke wird an diesem Vormittag gefeilscht, zwischen einem Taxi und einem schwarzen Van. Sie, Ende 40, Netzstrumpfhosen und zu enge Lackleder-Hot-Pants, schüttelt den Kopf. Er, das verschwitzte blaue Shirt spannt über dem Bauch, hebt beschwichtigend die Hände. "Warte, warte!", ruft er und lacht. Bei 20 Euro werden sie sich einig und verschwinden in einem kleinen Park. Ein üblicher Preis für Sex an der Kurfürstenstraße.

Zuhälter mieten die Straße abschnittsweise

Seit etwa 130 Jahren verkaufen Prostituierte hier ihre Körper. Heute wird das Geschäft von zwei arabischen Clans kontrolliert. Sie vermieten den Strich abschnittsweise an Zuhälter, die lassen Prostituierte aus Bulgarien, Ungarn und Rumänien für sich arbeiten - an der Kurfürstenstraße haben sich brutalster Menschenhandel, Ausbeutung und Drogenkriminalität etabliert.

Am Morgen sind viele Gehwege, Parkplätze und Hauseingänge übersät mit benutzten Feuchttüchern und Kondomen. Duschen gibts für die Frauen keine. Der Spielplatz um die Ecke musste zeitweise gesperrt werden, weil dort zu viele Spritzen herumlagen. Viele der Prostituierten sind auf Crystal Meth, Koks oder Heroin. Vor der Zwölf-Apostel-Kirche an der Ecke zur Genthiner Straße stehen jede Woche Obdachlose für einen Teller Suppe an.

Rund 600 neue Wohnungen, Restaurants, Geschäfte

Dass der Strich durch die Neubauprojekt verschwindet, glaubt kaum jemand im Viertel. "Wieso sollen die Mädchen hier weggehen? Die haben doch gar keinen Grund", sagt ein Anwohner. Der neue Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) formuliert es so: "Diese Erscheinungen gehorchen anderen Gesetzen als der Immobilienwirtschaft."

Die neuen Investoren aber spekulieren trotzdem darauf, dass sich die Probleme in den kommenden Jahren allmählich lösen, schließlich würden ihre Projekte das Quartier aufwerten. Die Lage ist einfach zu verlockend. Mit der Nähe zu Galerien und Museen werben die Anbieter, auch Ku’damm und Landwehrkanal sind nicht weit weg.

Und deshalb lassen sie insgesamt fast 600 neue Wohnungen, Geschäfte und Restaurants im Viertel bauen, fast alle in der oberen Preisklasse. Das Wort Luxus wollen sie nicht in den Mund nehmen, sie nennen es lieber "werthaltig".

Bauherr der "G40" und des ähnlich noblen "Carré Voltaire", nur wenige hundert Meter entfernt, ist Diamona & Harnisch, ein israelisch-deutscher Zusammenschluss einer Investmentholding und eines Berliner Entwicklers. "Die Investoren kaufen oft schon vor Baubeginn, viele Eigennutzer erst, wenn der Rohbau steht", sagt der Geschäftsführer Alexander Harnisch. Die "G40"-Apartments ließ er Interessierten im Pekinger Finanzviertel vorstellen, die wenigsten waren schon in Deutschland. Auf den Plakaten an der Baustelle werden die Wohnungen nur auf Englisch angepriesen. Das Problem der Entwickler ist jedoch: Ihr Geschäftsmodell steht auf wackligen Füßen.

Zweifel am Geschäftsmodell

Mit 16 bis 18 Euro Kaltmiete könne man als Eigentümer einer der "G40"-Wohnungen rechnen, hatte der Makler dem als Kapitalanleger getarnten Reporter gesagt. Eine solche Miethöhe ist die Voraussetzung für die versprochenen drei Prozent Rendite. Doch gibt es wirklich genügend Menschen, die monatlich bis zu 1.000 Euro kalt für ein Zwei-Zimmer-Apartment bezahlen, wenn sie den Straßenstrich fast direkt vor der Haustür haben?

"Ich habe da große Zweifel, weil man für diesen Preis wesentlich schönere, größere, ruhigere Wohnungen bekommen kann. Insofern kann man sich fragen, ob da nicht am Markt vorbei gebaut wird", sagt der Baustadtrat Ephraim Gothe.

"Die Schallgrenze sind hier 14,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter, wer mehr verlangt, wird Probleme haben, Mieter zu finden", so schätzt Dirk Germandi die Nachfrage ein. Er sollte es wissen, denn er baut selbst Apartments in ähnlicher Ausstattung, nur eine Parallelstraße weiter. Er sagt: "Ich bin seit 26 Jahren im Geschäft und habe schon drei Krisen erlebt. Ich habe den Eindruck: Der gesunde Punkt ist längst wieder überschritten."

Germandi hat sein Grundstück schon vor drei Jahren gekauft, die neuen Bauherren aber stehen unter größerem Kostendruck. Weil so viele in Berlin mitmischen wollen und sich gegenseitig hochbieten, haben sich die Grundstückspreise seit 2012 mehr als verdoppelt. Das Geld lässt sich von Anlegern nur durch viel höhere Mieten wieder reinholen.

"Die Schallgrenze sind 14,50 Euro kalt", sagt Dirk Germandi. Sein Projekt "Derff22" (vorne rechts) entsteht ebenfalls auf einem Grundstück, das früher der Familie Krieger gehörte. | Quelle: rbb|24 / Schneider

Britischer Investor kauft Mietshaus auf

In diesen Sog der teuren Neubaupreise geraten auch die Menschen, die schon lange im Kiez um die Kurfürstenstraße wohnen. "Leben heißt Veränderung", hieß es in einem Schreiben, in dem Wolfgang Hoth Mitte Juni zu einem Mietergespräch eingeladen wurde.

Seit 1978 wohnt er im vierten Stock eines grauen Eckhauses am Ende der Genthiner Straße. Der Anlass des Briefs: Der britische Investor "Bluerock" hat das Gebäude gekauft und will die Mietwohnungen nun aufwändig sanieren lassen - um sie dann in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Die ersten werden schon zum Kauf angeboten, für 5.000 bis 5.500 Euro den Quadratmeter. "Lytz" soll das Haus nach der Edelrenovierung heißen. Auf den Werbefotos sieht man lachende Kinder auf einem Spielplatz schaukeln.

Der 80 Jahre alte Wolfgang Hoth und seine schwerkranke Frau kommen in dieser Rechnung nicht vor. Es gebe überall neue Umstände, die manchmal Unannehmlichkeiten, oft genug aber auch neue Chancen hervorbrächten, schrieb man ihm in der Einladung. Welche "neuen Chancen" sich für ihn auftäten, das solle ihm bitteschön mal jemand erklären, sagt Hoth.

Seit fast 40 Jahren lebt Wolfgang Hoth in seiner Wohnung - gerne, wie er sagt. | Quelle: rbb|24 / Schneider

81 Prozent mehr Miete

Die Kaltmiete für seine 75-Quadratmeter-Wohnung würde nach Berechnungen des Mieterbunds von 545 Euro auf 988 Euro steigen - ein Plus von mehr als 80 Prozent. Hoth wäre raus. Milieuschutz gibt es in seinem Viertel nicht und wenn er, wie es der Bezirk in Aussicht stellt, doch noch kommt - für das Ehepaar wäre es zu spät. "Ich finanziere die Besserverkäuflichkeit der Wohnung, in der ich zufrieden seit fast 40 Jahren lebe - am Ende muss ich ausziehen und diese Typen verdienen sich eine goldene Nase", sagt Wolfgang Hoth.

"Bluerock" stellt Interessenten seines Berliner Immobilienfonds 15 Prozent Rendite in Aussicht - pro Jahr. Die Gebäude durchliefen einen "Verbesserungsprozess, der sehr oft Renovierungen umfassen wird, und sie werden mit einem Gewinn von mindestens 30 Prozent auf den Investitionsbetrag verkauft", heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Bei einigen Transaktionen könne der Gewinn auf mehr als 50 Prozent steigen. Solche Deals gehen nur auf, wenn man die sanierte Wohnung schnellstmöglich zum Höchstpreis verkauft - was wiederum den Mietspiegel in der Umgebung hochtreibt.

Wolfgang Hoth stellt sich nun - wie auch andere in seinem Haus - auf einen Rechtsstreit ein, er will der Großrenovierung nicht zustimmen, wie es die Verwaltung mehrfach von ihm gefordert hat.

Dass sein Viertel von den neuen Wohnungen profitiert, könne er sich nicht vorstellen. "Es kommt eben nicht nur darauf an, dass gebaut wird - sondern was. Am Ende ist das Ergebnis einer Politik, die solche Auswüchse zulässt, eine verödete Stadt", sagt Hoth. Er sehe die vielen Kräne und Baustellen jeden Tag und wisse genau: "Nichts davon ist für Leute wie mich vorgesehen."

Bezirk hätte einen Anteil von Sozialwohnungen vorschreiben lassen können

Senat und Bezirk hätten nicht nur in diesem Fall Möglichkeiten gehabt, die Mischung im Viertel besser zu schützen - aber sie haben offenbar nicht nur in Punkto Milieuschutz Chancen vertan. Auf der Brache des ehemaligen Möbel-Hübner-Parkplatzes, genau hinter dem Straßenstrich, wurde vor kurzem die nächste große Baugenehmigung erteilt.

Hier entsteht das Projekt "Schoenegarten Central Berlin". Etwa 20 Prozent der Neubauwohnungen hätte der Bezirk laut dem neuen Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) als Sozialwohnungen vorschreiben lassen können, aber er hat es nicht getan. Gothe kritisiert seinen Vorgänger indirekt: "Es hätte die Möglichkeit gegeben, einen Anteil zu erzwingen. Diese Chance wurde aber nicht wahrgenommen – bedauerlicherweise."

Der damalige Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) widerspricht, nach Veröffentlichung dieses Beitrags: "Das vom Senat verabschiedete Modell der kooperativen Bauland-Entwicklung war zum damaligen Zeitpunkt nicht anwendbar." Aussage gegen Aussage.

Auch auf der Brache des ehemaligen "Möbel Hübner"-Parkplatzes sollen Luxuswohnungen entstehen. | Quelle: rbb|24 / Schneider

160 Luxus-Apartments - angeboten in Shanghai

Nun werden es eben 160 Luxus-Apartments und Geschäfte. Noch gibt es nicht mal ein Fundament, nichts als Erdhügel sind auf der eingezäunten Ödnis zu sehen. Aber das stört die Vermarkter nicht. Im kommenden Dezember wollen sie die Wohnungen Investoren auf einer Messe in Shanghai verkaufen.

Es gilt, Anleger, die tausende Kilometer entfernt leben, davon zu überzeugen, dass das Geschäft mit dem Berliner Betongold auf kühl kalkulierten Fakten beruht. Dass es nur logisch wäre, wenn die Immobilienpreise der deutschen Hauptstadt weiter an das Niveau von Paris oder London heranwachsen. Woher soll ein chinesischer Geschäftsmann auch wissen, dass 27 Jahre nach der Wiedervereinigung nahe des Potsdamer Platzes immer noch triste Plattenbauten stehen und organisierte Verbrecher den Straßenstrich beherrschen?   

Die Kurfürstenstraße sei eine Gegend mit "großem Entwicklungspotential", verspricht der "Schönegarten"-Anbieter in seinem Verkaufsprospekt. Wie teuer die Wohnungen genau werden, wieviele schon verkauft wurden - diese Fragen von rbb|24 hat er nicht beantwortet. "Straßenseitig zeigt sich das bunte Berlin", heißt es stattdessen, recht treffend. "Und im Innenhof wird eine grüne Oase entstehen, welche den Großstadttrubel vergessen lässt."

Anmerkung: Erst nach Veröffentlichung dieses Textes beantwortete der frühere Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU) eine frühzeitig gestellte rbb|24-Anfrage. Seine Antwort haben wir nachträglich in den Text eingearbeitet.

Sendung: radioeins, 13.07.17, 17.12 Uhr

Beitrag von Sebastian Schneider und Robin Avram, rbb|24

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