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Quelle: Sandra Then

Rückblick | Berliner Theatertreffen 2019

Die um sich selbst kreisen

Das Theatertreffen hatte 2019 Herausragendes zu bieten - aber auch reichlich Déjà-vus, so sehr ähnelten einige der Inszenierungen früheren Arbeiten der Regisseure. Gut, dass es dank der Frauenquote für einige der Platzhirsche künftig eng werden dürfte! Von Fabian Wallmeier

Der Theatertreffen-Jahrgang 2019 gehörte wieder den Etablierten des Betriebs - und zwar vor allem den Männern. Nur drei der zehn eingeladenen Inszenierungen kamen von Regisseurinnen, wobei die Einladung für das Kollektiv She She Pop eher pflichtschuldig wirkte: "Oratorium", ein interaktives Lehrstück über Gentrifikation und das Erben, gehört nicht zu ihren stärksten Arbeiten. Die Einladung lag vielleicht schlicht deshalb nahe, weil She She Pop in diesem Jahr auch den Theaterpreis Berlin für ihr bisheriges Schaffen bekommen haben - und das vollkommen zurecht.

Ansonsten erklärten Männer die Welt. Thorsten Lensing bekam endlich die erste Einladung für seine brillant gespielte, auf ein Minimalbühnenbild und vier kurzweilige Stunden komprimierte David-Foster-Wallace-Adaption "Unendlicher Spaß". Sebastian Hartmann war zum zweiten Mal dabei - für seine kompromisslose, an Frank Castorfs Volksbühnen-Exzessen geschulte Dostojewski-Dekonstruktion "Erniedrigte und Beleidigte" aus Dresden. Beide Regisseure sind auf ihre ganz eigene Art seit Jahrzehnten feste Größen im Betrieb.

Die früh Etablierten

Fünf der eingeladenen Männer galten dagegen noch vor wenigen Jahren als Entdeckungen, vier von ihnen waren da noch ungewöhnlich jung für das Theatertreffen: Thom Luz (Jahrgang 1982) und Christopher Rüping (1985) wurden 2015 das erste Mal eingeladen, Ersan Mondtag (1987) und Simon Stone (1984) ein Jahr später und 2017 der etwas ältere Ulrich Rasche (Jahrgang 1969). Doch alle fünf gehören längst zum Kreis der Etablierten - sie waren nun zum dritten Mal dabei.

Sie alle haben ihre unverkennbaren Handschriften entwickelt - doch bei einigen von ihnen ist seither augenscheinlich nicht mehr viel passiert. Statt neue Wege zu gehen, kreisen sie zunehmend um sich selbst. Simon Stone etwa macht immer wieder exakt dasselbe: Er überschreibt Klassiker der Theaterliteratur mit hysterischen Modernismen, steckt exzellente Schauspieler mit Mikroports hinter Plexiglas und lässt sie hochtourig seine weitgehend faden, auf humoristische Knalleffekte und emotionale Vorschlaghammer setzenden Texte krakeelen. "Hotel Strindberg" funktioniert nach demselben Prinzip - und hat nichts Neues zu erzählen.

Szene aus "Das große Heft" von Ulrich Rasche | Quelle: Sebastian Hoppe

Auch Ulrich Rasche hat sich auf ein Alleinstellungsmerkmal festgelegt: gewaltige rotierende Bühnenmaschinen in Kombination mit peitschender Musik und chorischem Sprechen. Dem bleibt er auch in "Das große Heft" treu, nach dem großen Roman von Ágota Kristóf über die innere Verhärtung junger Zwillinge in Kriegszeiten. Bis zu 16 Männer stapfen mechanisch über zwei sich drehende, kippbare Scheiben und zerhacken den Text mal allein, mal im Chor. Sie schreien mit donnergrollender Bedeutungsschwere ins Parkett hinab. Dieses Übermaß an schreckenspornografischem Pathos kommt einem Verrat an der Vorlage gleich, die ein Manifest der Nüchternheit und sprachlichen Eiseskälte im Angesicht des Entsetzlichen ist.

Bemerkenswert ähnlicher Nebel

Bei Thom Luz gab es auch ein Déjà-vu: Wieder saß man auf der Hinterbühne, wieder gab es hochsympathische stille Schrulligkeiten - und wieder gab es viel kunstvoll eingesetzten Nebel. "The Girl from The Fog Machine Factory" gefällt sich vor allem darin, viele große und kleine Nebelmaschinen zum Einsatz zu bringen. Der schönste Moment: Zwei aus breiten Schläuchen gestoßene Nebelschwaden formen sich zu Ringen, die aneinander vorbei in den Bühnenhimmel treiben und vergehen. Das ist wunderbar anzusehen, war aber (mit nur einem Ring) schon 2017 bei "Traurige Zauberer" zu bestaunen.

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Ersan Mondtag erfindet sich ebenfalls nicht neu. "Das Internat" zeigt ein an Vedard Vinge und Ida Müller geschultes windschiefes Bühnenbild, durch das wie ferngesteuert Menschen in Nacktanzügen laufen. Doch Mondtag entwickelt hier eine neue Dringlichkeit und Düsternis. Der Abend ist radikal herausfordernd wie wenige. Leider konnte die Inszenierung beim Theatertreffen nicht gezeigt werden - doch dank nachtkritik.de gibt es nun immerhin einen Eindruck davon, wie herausragend gut dieser Abend am Schauspiel Dortmund war: Noch bis Montagabend 23 Uhr ist auf dem Theaterportal eine Aufzeichnung der Generalprobe zu sehen.

Der einzige der fünf Hattrick-Regisseure, der zu ganz neuen Ufern aufbricht, ist Christopher Rüping: Mit der zehnstündigen Antiken-Beschwörung "Dionysos Stadt" zeigt er vier in Stil und Tonlage komplett unterschiedliche Inszenierungen, die doch durch das Oberthema und durch den Event-Charakter zusammengehalten werden. Dieser durch und durch bemerkenswerte Abend von den Münchner Kammerspielen geriet auch in Berlin zum Triumph.

Szene aus "Dionysos Stadt" | Quelle: Sebastian Hoppe

Alles neu macht die Quote?

Klar ist in jedem Fall: Die Jury wird sich in Zukunft ein paar andere Namen ansehen müssen als die der altvertrauten Platzhirsche - und zwar weibliche: In den kommenden beiden Jahren gilt eine Frauen-Quote von 50 Prozent auf der Regieposition. Dass dann wieder so viele Männer eingeladen werden, die immer dasselbe machen, ist schon rein rechnerisch unmöglich. Für die vierte Simon-Stone-Klassikerhyperventilierung hinter Plexiglas wird die Jury dann verdammt gute Argumente brauchen.

Wohin die Reise stattdessen gehen könnte, zeigt vor allem Anna Bergmann. Mit "Persona", einer Koproduktion des Deutschen Theaters mit dem Staasteater Malmö, hat sie den Film von Ingmar Bergman adaptiert und daraus ein höchst eigenständiges und zudem fast rein weibliches Bravourstück gemacht. In "Persona" hat eine Schauspielerin inmitten einer Vorstellung zu sprechen aufgehört und soll sich nach ihrem Zusammenbruch nun auf dem Lande erholen, unterstützt von einer Krankenschwester. In Malmö spielte Corinna Harfouch die stumme Schauspielerin und Karin Lithman die Krankenschwester, in Berlin tauschten sie ihre Rollen. Für das Theatertreffen hat Bergmann nun erstmals eine Version mit beiden Fassungen inszeniert.

Szene aus "Persona" von Anna Bergmann. | Quelle: Arno Declair

Grinsend dem Wahnsinn entgegen

Diese gedoppelte Langversion ergibt tatsächlich sehr viel Sinn und lässt die Inszenierung ein ganzes Stück wachsen. Die beiden Frauen spiegeln sich ineinander, "I'll be your mirror" ist der zentrale Song der Inszenierung. Nicht als stupide Behauptung, sondern gebrochen, zu Mehrdeutigkeiten einladend und im Vollplayback grinsend dem Wahnsinn entgegen gesungen.

Wenn das Stück an seinem sonstigen Ende nun also noch einmal neu einsetzt, erkunden Bergmann, Harfouch und Lithman den Stoff noch einmal anders. Die direkte Sichtbarkeit der Unterschiede macht einen großen Reiz aus. Harfouch spielt etwa die ätherischere und abgeklärtere Krankenschwester, Lithman die kraftstrotzendere, naivere. Hier begegnen, beäugen und reflektieren sich nicht nur zwei Figuren und zwei Schauspielerinnen, sondern auch zwei Generationen mit ihren unterschiedlichen Perspektiven auf das eigene bisherige Leben.

"Geil" oder "ungeil"?

Claudia Bauer dagegen setzt in "Tartuffe oder das Schwein der Weisen" von Peter Licht nach Molière auf die ganz schrillen Töne. Die Inszenierung vom Theater Basel ist gekonnt gemacht in ihrer konsequenten Nervigkeit. "Laberkaskaden" nannte das die Jury in ihrer Begründung - und tatsächlich wird hier gelabert, was das Zeug hält. Über "Tüffi", über Nasenhaar-Extensions und vor allem darüber, wie "geil" oder "ungeil" alles ist. Der Abend klingt nach den Diskursschleifen von René Pollesch, ist aber weniger schlau - und die schrillen Figuren und Performances könnten auch durch eine Herbert-Fritsch-Inszenierung purzeln, nur dass sie es dort wohl virtuoser täten.

Weniger Platzhirsche bitte!

Wenn also ein möglicher Trick für eine Theatertreffen-Einladung darin besteht, zwei etablierte Regie-Stars miteinander zu verschränken: Vielleicht gibt es irgendwo eine Regisseurin, die eine gigantische Theatermaschine hinter Plexiglas bauen möchte? Das klingt zwar fast schon wieder aufregend. Noch aufregender wäre es aber, wenn die Jury ganz neue weibliche Handschriften entdecken könnte.

Sie wird dafür noch mehr als bisher in die vermeintliche Theaterprovinz und auf die kleinen Bühnen schauen müssen als bisher - denn dort ist die männliche Dominanz etwas weniger stark. Wäre doch gelacht, wenn sich da nichts entdecken ließe! Die Quote könnte dann tatsächlich eine Chance sein, Spannendes jenseits des Etablierten aufzuspüren. So sehr die Platzhirsche auch röhren mögen - der Wald gehört ihnen nicht mehr allein.

Sendung: Inforadio, 20.05.2019, 07:55 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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