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Video: rbb|24 | 21.01.2020 | Mit Material von zibb, Tatort, Archiv | Quelle: imago images

Interview | "Tatort"-Kommissar Lamprecht wird 90

"Ich habe die Schnauze voll von dieser allabendlichen Ballerei"

Als Franz Markowitz ermittelte er im "Tatort". Als Franz Biberkopf brillierte er in Rainer Werner Fassbinders "Berlin Alexanderplatz". Anlässlich seines 90. Geburtstags erzählt Schauspieler Günter Lamprecht ein bisschen Filmgeschichte.

Als DDR-Grenzsoldat trat Günter Lamprecht 1970 im allerersten "Tatort" auf, zwischen 1991 und 1995 löste er als Berliner Kommissar Franz Markowitz dann selbst acht Kriminalfälle. 2016 spielte er in der 1000. "Tatort"-Folge nochmal als Ermittler a.D. an der Seite der Kommissare Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Klaus Borowski (Axel Milberg). Fernsehzuschauer kennen den Schauspieler aber auch als Franz Biberkopf in Rainer Werner Fassbinders Serie "Berlin Alexanderplatz" (1980). Am Dienstag (21.01.2020) feiert der gebürtige Berliner seinen 90. Geburtstag - im Gespräch mit Knut Elstermann erinnert er sich vor allem an seine prägende "Tatort"-Figur.

rbb: 1991 erschien die "Tatort"-Folge "Tödliche Vergangenheit" aus dem wiedervereinten Berlin mit Ihnen als Kriminalhauptkommissar Franz Markowitz. Wie kam es dazu?  

Günter Lamprecht: Damals kam ein Anruf vom SFB (Sender Freies Berlin) mit dem Angebot, Tatort-Kommissar für Berlin zu werden. Ich wollte eigentlich gar nicht ran an die Geschichte, aber mir fiel ein, dass ich noch einen Krimi zu liegen hatte, an dem ich selber schreibe. Ich sah darin die Chance, einen anderen und neuen Kommissar zu entwickeln. Mir schwebte der französische Kommissar Jules Maigret vor, der von Jean Gabin gespielt wurde. Ich dachte, ein Maigret für Neukölln wäre nicht schlecht. Dann habe ich Blut geleckt und zugesagt. Anschließend haben wir angefangen, den Franz Markowitz zu entwickeln, aber das war sehr schwer beim SFB. Die hatten bereits fertige Drehbücher in der Schublade. Ich wollte die Dinger aber selber schreiben.

Sie haben sich den Namen Franz selbst ausgesucht, wie es üblich ist. Die Figur ist ein sehr sympathischer Ur-Berliner und gehört zum Kiez. War das für Sie als gebürtiger Berliner vielleicht auch eine Art Rückkehr?

Ich stand damals einmal an einem Brötchenstand als zwei Polizisten im Dienst vorbeikamen und sagten: "Na endlich haben wir jetzt den Richtigen". Das schmeichelte mir natürlich unheimlich, bedeutete aber auch eine Verpflichtung.

Lamprecht in seinem ersten "Tatort". | Quelle: imago images

Erst hatten sie die Rolle abgelehnt. Was hat Sie dazu bewogen, sie dann doch zu spielen?

Ich habe Geschmack daran gefunden. Mir fiel so viel zu der Figur ein und sie wuchs immer weiter in meinem Kopf. Ich hatte Markowitz gedanklich schon angezogen. Regisseurin Marianne Lüdcke war da hundertprozentig dabei und so haben wir die Figur gemeinsam erfunden. Wenn man jemanden gefunden hat, der mit einem gemeinsam denkt, kann man daraus schöpfen und so wurde er lebendig. Ich wollte auf keinen Fall einen Kommissar haben, der durch die Türen springt und 'Scheiße' brüllt. Ich wollte, dass man sich in so einer Figur wiedererkennt und das ist zum Teil gelungen.

Sie haben damals extra vertraglich verhandelt, dass es keine Action- oder Gewaltszenen bei Markowitz gibt, er aber sehr wohl einen Revolver tragen soll.  

Ich habe die Schnauze voll von dieser allabendlichen Ballerei auf dem Bildschirm. Es wird geschossen, gemordet und in Blut gestapft. Ich habe eine solche Wut, wenn ich das sehe. Ich mag nicht mehr, was da gemacht wird. Darum fand ich damals schon, dass der Markowitz eine ganz andere Figur ist. Ich bin mit der Polizei zusammen Streife gefahren, um kennenzulernen, wie das funktioniert. Dabei habe ich gesehen, was das für schwere Arbeit ist und was die sich gefallen lassen müssen.

Zur Person

Günter Lamprecht wurde 1930 in Berlin geboren. Er arbeitete zunächst als Orthopädiemechaniker, bevor er an der Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel studierte. Seit Mitte der 1950er Jahre war er in verschiedenen Theaterproduktionen zu sehen, bevor er Ende der 1960er Jahre ins Fernsehen wechselte. Für die Rolle des "Tatort"-Kommissars Franz Markowitz wurde Lamprecht 2000 mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. Ein Jahr zuvor wurde er bei einem Amoklauf im bayrischen Bad Reichenhall angeschossen. 

Die "Tatort"-Folge hat noch viel mehr mit Ihnen zu tun. Es gibt zum Beispiel eine Szene, in der Sie Trompete in einem Jazzclub spielen und singen. War das eine Hommage an den berühmten Berliner Jazzkeller "Badewanne"?

Das sind Wunschträume von mir gewesen. Der erste Beruf, den ich gelernt hatte, war Orthopädiemechaniker. Ich habe jeden Tag in der Klinik eine sehr anstrengende Arbeit geleistet. Wir waren in der "Badewanne" zu Hause und sind zwei- bis dreimal die Woche dort verschwunden. Es war einfach toll mit wunderbarer Musik und wunderbaren Menschen. Damals haben wir zu Glenn Miller und Benny Goodmann abgetanzt.

Wie sind Sie dann zur Schauspielerei gekommen?

In der "Badewanne" sagte ein Kollege zu mir, ich müsse Schauspieler werden. Er quälte mich richtig damit und vermittelte mich dann an eine der bekanntesten und größten Schauspiellehrerinnen in Berlin: Else Bongers. Ich wurde dahin bestellt und kam mir so blöd vor - und plötzlich stand dort Hildegard Knef vor mir. Da dachte ich, hier bin ich richtig. Ich habe drei Monate Privatunterricht bei Bongers bekommen und sie hat mich für die Max-Reinhardt-Schule vorbereitet. Ich fing dann im Theater in Oberhausen an und habe anschließend zehn Theater verschlissen. Zwischendurch habe ich ein bisschen gedreht - bis der WDR kam, für den ich "Hausspieler" wurde und 40 Produktionen machte.

In der von Rainer Werner Fassbinder gedrehten 14-teiligen Fernsehserie "Berlin Alexanderplatz" (1980) spielen Sie die Hauptrolle des Franz Biberkopf. Er kommt aus dem Gefängnis und hat im Gegensatz zu Markowitz einen ganz anderen Hintergrund. Hat er trotzdem persönlich etwas mit Ihnen zu tun?

Wir haben insgesamt ein Jahr lang gedreht und in dieser Zeit war ich Franz Biberkopf. Ich wusste vorher gar nicht, wer das ist, als Fassbinder mich zu sich bestellte und sagte: "Du bist der Biberkopf". Ich bin wahnsinnig geworden und sagte ihm, er sei verrückt. Es dauerte aber nur zwei oder drei Tage bis ich die Drehbücher in der Post hatte. Ich habe mich dann in die Einsamkeit verzogen und die Bücher gelesen. Dabei merkte ich ganz stark, dass ich Biberkopf bin. Der "Alexanderplatz" wurde dann in einem großen Kino in Paris vorgeführt und dort saß ein Mann in der Menge, der sagte: 'Der Lamprecht muss schon existiert haben, als mein Vater den Biberkopf schrieb.' Das war der Sohn von Alfred Döblin.

Sie sind auch ein literarischer Mensch. Sie schreiben sehr anschaulich und haben bereits zwei Erinnerungsblenden geschrieben. Diese enden in den 1990er Jahren mit der Schießerei, in die Sie hineingeraten sind. Nun sind dreißig Jahre rum und es ist viel passiert.

Das schreibe ich gerade auf und denke, dass ich Ende des Jahres mit dem dritten Buch fertig bin. Es drängt und will raus - ich muss das aufschreiben. Den Titel weiß ich schon.

Sie haben wahnsinnig viel gespielt. Welche Bedeutung hat Kommissar Markowitz in ihrem Gesamtwirken?

Ich habe öfter schon daran gedacht, dass man mit ihm nochmal etwas machen könnte. Aber wenn man in den Kalender schaut, wäre er ganz schön alt.

Mit Günter Lamprecht sprach Knut Elstermann in der rbb Filmlounge. Dieser Text ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Version. Das Originalinterview können Sie mit Klick auf das Videosymbol im Aufmacherbild sehen.

Sendung: Film im rbb, 16.01.2020, 19 Uhr

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