Theaterkritik | "Hamlet" im Gorki
Wie ist einem Über-Klassiker wie Shakespeares "Hamlet" heute noch beizukommen? Christian Weise entscheidet sich am Berliner Maxim-Gorki-Theater für prallen Metatheater-Spaß, der sich Stück für Stück von Shakespeare entfernt. Von Fabian Wallmeier
Ein Trommelwirbel und los geht's - aber erst einmal für lange Zeit nur per Video: Die gesamte Bühnenfront ist an diesem "Hamlet"-Abend im Container des Maxim-Gorki-Theaters eine riesige Projektionsfläche. Darauf sieht man nun zunächst eine stark überzogene, lustvoll trashige B-Movie-Horror-Parodie: Das verkommene Personal des Shakespeare-Dramas sagt in windschiefen Kulissen sehr gestelzt die Texte auf.
Nicht nur ihre Kleider sind gestrickt, sondern auch ihre Frisuren: Sie erinnern teils an die Plastikhaarhelme früherer Herbert-Fritsch-Inszenierungen an der Volksbühne, teils an zementierte Wischmopps. Jeder ihrer Schritte wird von einem überlauten Stapfen vom Band verstärkt. Auf- und Abtritte erfolgen über einen Fahrstuhl - und es ist nicht ganz klar, ob die Neuankömmlinge in einem Loft gelandet sind oder in einem Kellergewölbe.
Wie soll man einen so rauf und runter gespielten Klassiker wie "Hamlet" neu erzählen? Was gibt es noch Neues zu sagen über die Geschichte des Prinzen von Dänemark, der seinen vom Onkel ermordeten Vater rächen möchte und dabei blutiges Unheil anrichtet? Regisseur Christian Weise setzt im Gorki auf pralles postdramatisches Metatheater ohne Rücksicht auf Verluste.
So kommt nach 20 Minuten Live-B-Movie der erste große Bruch. Plötzlich ist die Filmsituation selbst Thema der Inszenierung. Horatio (Oscar Olivo) entpuppt sich als Regisseur des Films, der aus New York nach Berlin gekommen ist. Hamlet (Svenja Liesau) tritt schließlich durch den Vorhang noch vorn und spricht in einem sehr witzigen teils improvisierten Monolog als berlinernde Göre das Publikum direkt an. Sie quatscht über Erwartungen an einen "Hamlet"-Abend im Gorki und zieht dabei neue Meta-Ebenen ein, sich ständig weiter entfernend von Shakespeare.
So metatheatral und mit ähnlich großer Hingabe an den höheren Blödsinn geht es weiter: Der Geist des ermordeten Vaters erscheint mit Karl-Marx-Bart, später hält seine Darstellerin (Ensemble-Urgestein Ruth Reinecke an ihrem letzten Premierenabend) eine Rede an frühe Zeiten mit Thomas Langhoff, als die Schauspieler noch echte Schauspieler waren. Rosencrantz und Güldenstern sind verstrahlte NYC-Hipster. Polonius (Falilou Seck) wird ausgesperrt und man sieht ihn per Video-Übertragung vom Container Richtung Gorki-Kantine stapfen. Und so weiter.
Dass Hamlet hier von einer Frau gespielt wird, spielt übrigens (ähnlich wie vor einigen Monaten bei Ersan Mondtags "Baal" am BE mit Stefanie Reinsperger in der Titelrolle) gar keine Rolle. Wenn Svenja Liesau sich in ihrem ersten Meta-Monolog berlinernd darüber ereifert, dass sie den Hamlet ja eigentlich gar nicht habe spielen wollen, gibt sie dafür auch völlig andere Gründe an als ihr Geschlecht: Sie sei ja eigentlich eher auf die Nebenrollen abonniert - und dieser Hamlet habe ganz einfach verdammt viel Text.
Einen Mangel an Ideen kann man Weise und seinem Team jedenfalls nicht vorwerfen. Der Abend ist schnell, witzig und phänomenal gespielt. Doch wo er eigentlich hin will, bleibt unklar. Da hilft auch nicht, dass Oscar Olivo die Orientierungsschwierigkeiten gegen Ende direkt thematisiert: Um die deutsche Gesellschaft habe es gegen sollen - "es ist was faul im Staate Germany" - heißt es schließlich an diesem Abend in leichter Abwandlung Shakespeares. Doch ständig, sagt Olivo seien ihm da die Bedeutung und die deutsche Schwere in die Quere gekommen. Ah ja.
Ganz ohne Tragödienpathos geht es bei aller Metatheater-Fixierung auch bei Weise nicht. Doch diese Szenen, in denen Liesau plötzlich starr in die Kamera blickend mit boshaftem Krächzen in der Stimme finstere Monologe in die Kamera spricht, wirken wie Fremdkörper. Aber sie sind auch nie von langer Dauer - und werden grundsätzlich vom doppelten Boden der Ironie abgefedert.
"Cut", ruft Hamlet gegen Ende des knapp dreistündigen Abends immer wieder. Es ist sein großer Sterbemonolog. Ein ums andere Mal setzt Svenja Liesau neu an, immer wieder unterbricht sie die Szene, schickt nach und nach alle anderen von der Bühne. "Marlene, die Kamera kannst du auch einfach dahin stellen", sagt sie zur Kamerafrau. "Der Rest ist Schweigen" - der berühmte Satz fällt dann zwar noch, aber ihm wird seine Tonnenschwere genommen: Hamlet blökt ihn dem phänomenalen Bühnenmusiker Jens Dohle entgegen. Der Rest ist Schweigen? Nein, hier ist auch das Schweigen Meta. Warum auch nicht?
Sendung: Radioeins, 01.02.2020, 09:00 Uhr
Beitrag von Fabian Wallmeier
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