Theaterkritik | "Ödipus" an der Berliner Schaubühne
Die Berliner Bühnen haben es gerade mit dem "Ödipus"-Stoff. Nach Deutschem Theater, Deutscher und Komischer Oper legt jetzt die Schaubühne mit ihrer Lesart nach. Ute Büsing sah die Uraufführung: ein zeitgenössisches Konversationsdrama in antiker Kulisse.
Stylisch ist der Spielort, eine schwarze Küche irgendwo in einem griechischen Ferienhaus, begrenzt von leuchtend weißen Neonröhren. Rot-verbrannt-verdorrt wirkt die Landschaft auf einer Filmzuspielung. Blutrot ist der morgendliche Smoothie, den die hochschwangere Christina für sich und ihren Bruder Robert mixt. Der ist angereist, um Unheil vom Familienunternehmen abzuwenden.
Tatsächlich wird dann über eine drohende Umweltkatastrophe in einem niedersächsischen Dorf gestritten und wie die Besitzer der Verursacherfirma diese am besten vertuschen könnten. Seit ihr Mann bei einem Lkw-Unfall ums Leben kam, leitet Christina den Chemiekonzern. Während Robert den Möchtegern-Macho-Boss mimt, und nach allen Seiten austeilt, ist Christinas neuer Lebensgefährte und Angestellter, der sanfte Michael, um Aufklärung und Transparenz bemüht. Dafür wurde er schließlich eingekauft.
Vom klassischen "Ödipus" ist in Maja Zades Neuschreibung als zeitgenössisches Konversationsdrama nur das Gerüst übriggeblieben: unwissentlicher Vatermord und Mutterschwängerung. Ins schier Ausweglose eskaliert aber dennoch die Situation für Michael, den Ödipus von nebenan. Götterhimmel und Chor entfallen. Die Menschen sind allein verantwortlich für ihr Schicksal und das Waisenkind Michael kann nicht schultern, was auf ihn zurollt, ebenso wenig wie die anderen am Entstehen der unheilvollen Kettenreaktion beteiligten.
In der Schaubühne rücken korrupte Strukturen in den Fokus, Umweltsünden und deren Vertuschung und entgleisende Familienverhältnisse hinter der glänzenden Wohlstands-Fassade. Wie Michael zum modernen Ödipus wird, schlüsselt sich einigermaßen überzeugend auf. Auch wenn die Fallhöhe des klassischen Dramas, die antike Wucht, komplett entfällt und das doch eher banale Ringen der Figuren um die familiäre Wahrheit nicht einer gewissen Komik entbehrt. Christian Tschirner verkörpert den angepasst-zynischen, letztlich aber seiner Schwester treu ergebenen Robert. Isabelle Radfern ist die pragmatische langjährige Freundin, eingeholt von einem Auftrag aus der Vergangenheit.
Renato Schuch gibt den jugendlichen Michael, dem sich gerade neue berufliche und private Perspektiven öffnen, der ebenso ganz bei sich angekommen scheint, wie Firmenlenkerin Christina. Wie glücklich sie mit ihm ist, das tupft Caroline Peters, die schon in der "Yerma"-Inszenierung von Simon Stone überzeugende neue Spielerin im Ensemble der Schaubühne, unaufdringlich-überzeugend hin. Je mehr Spurenelemente der Iokaste des Ödipus-Dramas sie im Verlauf der Handlung in sich aufnimmt, desto rasanter verdüstert sich ihr Gemütszustand. Das ist toll anzuschauen.
Dieses Paar und wie es sich abarbeitet am Ungeheuerlichen bildet den Glutkern der Inszenierung, die gegen Ende deutlich Fahrt aufnimmt. Da zeigt sich die Handschrift von Thomas Ostermeier, der schon viele psychologisch genaue Kammerspiele in den wie hier sprechenden Bühnenbildern von Jan Pappelbaum auf die Schaubühne gebracht hat.
Auch wenn dieser "Ödipus" in letzter Konsequenz vielleicht nicht unbedingt schlüssig ist und zudem auf zu viele in Filmbildern zusätzlich multiplizierte Weltverpestungen rekurriert. Er bietet dennoch zwei kurzweilige Stunden Schauspielertheater.
Sendung: Inforadio, 20.09.2021, 07:55 Uhr
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