Kritik | "Fliegender Holländer" an der Komischen Oper
Seine Fangemeinde an der Volksbühne war riesig. Regisseur und Medienkünstler Herbert Fritsch hat sich jetzt an Wagners kürzestes Werk gewagt und auch noch an der Komischen Oper. Kann das gutgehen? Von Maria Ossowski
Wagner witzig? Der "Fliegende Holländer" komisch und leger mit wilden Ausflügen in die Film- und Gespensterszene? Was radikale Wagnerianer garantiert auf Barrikaden treibt, hat Regisseur Herbert Fritsch lässig auf die Bühne der Komischen Oper gebracht.
In einer amüsanten Melange aus "Fluch der Karibik" und Zwanziger- Jahre-Revue hat das Wagnerische Erlösungspathos null Chance. Der Fliegende Holländer flirtet hier mit dem Schicksal in einer Mischung aus Johnny Depp und Sonnenkönig, als roter Lockenkopf baggert Günter Papendell Dalands Töchterchen Senta androgyn, charmant und sexy an.
In seiner Mannschaft bleicher Untoter schwanken Typen wie Alice Cooper oder Harry Potters Gespenster über den blanken Boden um ein riesiges Spielzeugschiff. Auch Dalands Matrosen stolpern und straucheln an Land. Besser sie s-tolpern. Und s-traucheln. Denn wenn in dieser Inszenierung schon nix heilig sein darf, dann auch nicht Wagners krude Sprache. Norddeutsch stolpern die Sänger immer wieder über s-pitze S-teine. Frei nach dem Motto: Kein Gag kann flach genug sein, um den Tiefgang aus der Story um den verfluchten Seemann zu nehmen.
Das macht Spaß, solange die Bühne voll ist mit Matrosen, Gespenstern und spinnenden Mädchen. Oder wenn der Holländer das tragische Wagnerideal mit seiner Stummfilmmimik konterkariert.
Leert sich die Bühne, wird’s kritisch. Wenn der arme Erik seine Senta anfleht, wenn Senta den Holländer anhimmelt, wenn Vater Daland beide verkuppelt, dann reicht Komik nicht aus, dann zieht es sich trotz aller Mätzchen eben doch.
Zur Musik: Das Orchester unter Dirk Kaftan fetzt in hohem Tempo und lautstark durch den Abend, nicht eben sauber in jedem Takt, aber leidenschaftlich und mit Wumms. Daniela Köhlers Senta hat einen markerschütternden, enorm präsenten dramatischen Sopran, der deshalb etwas zu laut ist für die kleinste der Berliner Opern. Klasse: ihre Textverständlichkeit und die fast aller Sänger. Brenden Gunnell als Erik wiederum hatte nicht seinen besten Abend mit einem engen Tenorton.
Schluss mit Nörgeln. Die Komische Oper ist kein Haus mit Wagner-Tradition, den Holländer gabs hier das letzte Mal vor 60 Jahren. 2010 die Meistersinger, das war’s. Dem Publikum hat’s nicht nur gefallen, der Jubel explodierte immer wieder in spitze Begeisterungsschreie, auch für die Regie.
Warum gerade Günter Papendell komplett überflüssige Buhrufe einstecken musste, ist nur mit den Unartigkeiten des Berliner Publikums zu erklären. Ich fand ihn in seiner Spiellust als Anti-Holländer anbetungswürdig und Grund genug, diese Inszenierung insgesamt froh zu loben.
Sendung: rbb kultur, 28.11.2022, 07:45 Uhr
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