Konzertkritik | Wiener Symphoniker in der Berliner Philharmonie
Am Dienstagabend konnte man in der Berliner Philharmonie ein Gastspiel der Wiener Symphoniker erleben. Auf dem Programm stand ausschließlich Musik von Ludwig van Beethoven. Von Hans Ackermann
Geleitet vom israelischen Dirigenten Omer Meir Wellber präsentieren die Wiener Symphoniker bei ihrem Gastspiel im großen Saal der Berliner Philharmonie ein Programm mit Musik von Ludwig van Beethoven. Zu Beginn das Klavierkonzert Nr. 3, das Beethoven selbst im Jahr 1803 in Wien uraufgeführt hat.
Gut drei Minuten muss der Pianist Seong-Jin Cho auf seinen ersten Einsatz im Klavierkonzert Nr. 3 von Beethoven warten. Konzentriert am Flügel sitzend, hört der Solist der Exposition des Orchesters zu, mit ihren für Beethoven typischen Wechseln von Moll nach Dur. Dann steigert sich das Orchester schließlich zum Fortissimo, lässt eine kleine Pause, in die hinein der Pianist einen kräftigen Akkord spielt - und endlich zeigen kann, wie gut ihm Beethovens Musik in den Fingern liegt.
Denn Seong-Jin Cho und Beethoven - diese Kombination ist noch ziemlich neu. Bekanntgeworden ist der 1994 in Seoul geborene Koreaner - der seit 2017 in Berlin lebt - mit der Klaviermusik von Frédéric Chopin. Nachdem er im Jahr 2015 den Warschauer Chopin-Wettbewerb gewonnen hat, einen der renommiertesten Klavierpreise weltweit.
Mit seinem Sieg hat sich Seong-Jin Cho damals in eine "Liste" späterer Weltstars eingetragen, Pianistinnen und Pianisten, die in Warschau ihre Karriere starten konnten: 1960 Maurizio Pollini, fünf Jahre später war Martha Argerich die strahlende Siegerin des Jahrgangs 1965.
Und so hat Seong-Jin Cho bisher nur Konzerte von Chopin und Mozart aufgenommen, aber kein einziges Beethoven-Konzert. Obwohl dieser Komponist für den extrem fingerfertigen Koreaner eigentlich ideal geeignet ist. Seine exzellente Spieltechnik maximal herausfordert und ihm ermöglicht, eine makellose Virtuosität zu zeigen - vor allem in der großen Solokadenz am Ende des ersten Satzes.
Virtuos präsentiert sich an diesem Abend auch das Orchester. Geleitet von Omer Meir Wellber, der als Operspezialist die langsamen Sätze lyrisch und gesanglich gestaltet. Bestaunenswert ist dabei immer wieder Wellbers besonderer Umgang mit der Dynamik - wenn er sein Orchester leisestes Pianissimo spielen lässt, dabei selbst mit dem ganzen Körper in die Knie geht, damit "Noch leiser!" zu fordern scheint, um dann, ausgehend von kaum noch hörbaren Streicherklängen in ein kräftiges Fortissimo hinaufzusteigen.
Die schnellen Sätze geht Wellber tatsächlich mit allerhöchsten Tempi an. Seong-Jin Cho kann im Klavierkonzert ohne Probleme mithalten, legt bei seiner anschließenden Solo-Zugabe im Tempo sogar noch eine "Schippe" drauf.
Doch dem Orchester - das nach der Pause, zu Beginn des ersten Satzes der Sinfonie Nr. 5, das markante Motiv mit den drei kurzen und dem einem langen Ton spielt, jenes berühmte "Tatata-daaa" der "Fünften" - verschwimmt ausgerechnet an dieser wichtigen Stelle kurzzeitig die rhythmische Kontur, weil der höchst ambitionierte Maestro hier vielleicht einfach zu schnell ist.
Insgesamt ist die Sinfonie dadurch auch schon nach nur 30 Minuten zu Ende, andere Dirigenten brauchen für das gleiche Werk tatsächlich bis zu fünf Minuten länger. Im grandiosen Schlusssatz dieser bekanntesten aller Sinfonien aus der klassischen Epoche stimmt aber trotzdem alles. Der Komponist wechselt noch ein letztes Mal von Moll nach Dur und der Beethoven-Abend geht strahlend zu Ende.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.11.2022, 6:55 Uhr
Beitrag von Hans Ackermann
Artikel im mobilen Angebot lesen