Theaterkritik | Gob Squad in der Volksbühne
Das deutsch-britische Performance-Kollektiv Gob Squad übernimmt im Live-Film "Is Anybody Home?" für eine Stunde das Leben und die Wohnung einer jungen Frau. Banal? Nicht unbedingt. Eine Reise, auf die man sich einlassen muss. Von Barbara Behrendt
Nur für wenige Momente steht an diesem Abend in der Berliner Volksbühne ein Mensch leibhaftig auf der Bühne. Zarah Kofler ist das, eine Spielerin vom Jugendtheater der Volksbühne P14. Sie kommt im Pyjama herein, trägt ein Kissen im Arm und sieht sich suchend um: "Hello, anybody home?"
Ein typischer Satz aus Horrorfilmen, bevor der Mörder hinter der Tür hervorspringt. Hier aber wird lediglich die Performerin Mira Partercke aus der Garderobe zugeschaltet, auf einer großen Leinwand, die sich über die ganze Bühnenbreite zieht. Die Beiden schließen einen Pakt: Zarah gibt ihr Leben und ihre Wohnung für eine Stunde an Gob Squad ab.
Sie darf über einen breiten Steg gehen, der sich von der Bühne quer durchs Publikum zieht, und sich hinter der letzten Reihe in ein kuscheliges Bett legen. Von hier sieht sie auf der Leinwand dabei zu, wie Gob Squad sich auf den Weg in Zarahs Wohnung machen – und das Publikum sieht Zarah dabei zu, wie sie Gob Squad zusieht.
Diese Live-Filme sind bei Gob Squad gute Tradition. Zuletzt ließen sich die Performer:innen in ihrer zwölfstündigen Arbeit "Show me a good time", mit der sie 2021 zum Theatertreffen eingeladen waren, live von der Straße ins Theater zuschalten.
Was machen Gob Squad nun in Zarahs Wohnung? Zunächst beginnt eine märchenhaft und leicht unbehaglich aufgeladene Reise. Der Wohnungsschlüssel muss wie bei einer Schatzsuche gefunden werden, nur ein Performer kann dabei gewinnen. Der zweite, Sean Patton, irrt weiter durch die eiskalte Neuköllner Nacht und befragt Passanten wie Orakel, ihm den Weg zu weisen.
Dann sehen wir Simon Will dabei zu, wie er zum behutsamen und charmanten Wohnungseindringling wird. Er ist jetzt Zarah und fragt sie per Knopf im Ohr nach sich selbst aus. "Was lässt mich morgens aus dem Bett kommen?" Sie antwortet: deine Nichte. Also nähert man sich der Familie an. Er probiert ihre exquisiten selbstgenähten Klamotten an. Er fragt: "Wovon träume ich?" Er liest sogar in ihrem Tagebuch und erfährt, dass etwas in ihrem Leben passiert ist – sie ergänzt live aus dem Bühnenbett, dass sie vor einem Jahr sehr krank war und wieder neu laufen lernen musste.
Ob man das nun banal findet oder darin einen künstlerischen Wert entdeckt – daran scheiden sich bei Gob Squad seit jeher die Geister. Man muss sich auf die Reise einlassen und viele Banalitäten wie einen Vorhang zur Seite schieben, um auf berührende kleine Wahrheiten zu stoßen. Wenn etwa Simon als neue Zarah herausfindet, dass er sich nicht nur mit seinem Vater gut versteht, sondern auch eine Wahlfamilie aus Freunden hat, mit der er zusammenlebt. Und sich darüber unglaublich freut – wie man ein solches Glück oft nur mit Außenblick wertzuschätzen weiß.
Der Abend lebt von diesen philosophischen Momenten zwischen den Alltäglichkeiten. Und von der echten Annäherung zwischen der jungen Zarah und dem doppelt so alten Simon, dem sie ihre Welt öffnet. Längst nicht alles ist einstudiert: Bei jeder Vorstellung besuchen unterschiedliche Performer:innen unterschiedliche Wohnungen.
Natürlich fragt der Abend auch nach dem Platz im Leben, den alle suchen, und nach dem sicheren Zuhause im Gegensatz zur Unbehaustheit, durch die Sean Patten lange irrt. Selbst der böse Wolf taucht zuletzt in der Person von Mira Partercke auf – dabei hätte es diese artifizielle Märchenebene gar nicht gebraucht. Auch ohne sie ist der Abend eine kleine, feine Empathieschule, die versucht, das Leben des Gegenübers so gut wie möglich nachzuvollziehen.
Angekündigt war die Premiere in den neuen "Prater-Studios" der Volksbühne – doch diese "Studios" entpuppen sich als Etiketten-Schwindel. Gemeint ist damit schlicht ein Schauspiel auf der verkleinerten Vorderbühne oder auf der Hinterbühne mit weniger Zuschauenden. Eine "neue Spielstätte" ist es wahrlich nicht.
Rätselhaft bleibt, warum es lange hieß, die Prater-Studios seien noch nicht fertig. Im Herbst fiel sogar eine Premiere aus, weil nach einem Krankheitsfall angeblich nicht mehr genügend Probenzeit in den "Prater-Studios" zur Verfügung gestanden habe. Ein typisches Kommunikationswirrwarr der neuen Volksbühne, bei dem ohne Not Erwartungen geweckt und nicht erfüllt werden.
Gob Squads neue Produktion aber nimmt davon jedenfalls keinen Schaden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.12.2022, 8.55 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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