Doku "Berlin 1933 - Tagebuch einer Großstadt"
Vor 90 Jahren wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die Doku "Berlin 1933 – Tagebuch einer Großstadt" zeigt, wie aus einer der modernsten Städte der Welt die Hauptstadt des "Dritten Reiches" wurde. Zur Preview im Delphi Filmpalast kam hoher Besuch. Von Corinne Orlowski
Als das Licht im Kino wieder angeht, hört man ein Aufatmen. Die Naivität der Mitläufer, die Brutalität der Nazihorden ist erschreckend – der Redebedarf anschließend groß, wie auch das Interesse am Film. Botschafter aus Polen, der Slowakei und Tschechien sind gekommen, sogar die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey.
Die SPD-Politikerin bedankt sich bei den Filmemachern für diese Doku, weil sie aufzeige, "dass eine Demokratie niemals sicher ist und das gilt auch für heute. Und ich glaube, das macht ja auch der Alltag, den wir hier sehen werden, deutlich, wachsam zu sein für die kleinen Anzeichen der Abwendung von der Demokratie."
Berlin 1933. Die pulsierende Metropole ist tief gespalten, aber alle sind sich sicher: "Nun wird es anders". Am 22. Januar macht sich Joseph Goebbels auf den Weg zu einer Demo am Bülowplatz und schreibt in sein Tagebuch: "Berlin, dicke Luft, die Straße wimmelt vor Mob, lebensgefährlich hier durchzufahren. Aber alles geht gut. Die Schupo sorgt dafür, dass nicht auf uns geschossen wird. Punkt zwei Uhr trifft Hitler ein. Unsere SA marschiert vor dem Karl-Liebknecht-Haus. Eine tolle Sache."
16.000 Polizisten sorgen dafür, dass dieser Tag nicht in einem Blutbad endet. Zwei Tage später zeigt das Barometer -18 Grad. Männer schieben den Schnee auf die gefrorene Spree. Es folgt eine Grippe-Epidemie und die Machtübernahme Hitlers. Das Unheil nimmt seinen Lauf.
1933 ist ein Jahr des radikalen Wandels: Aus einer Demokratie wird ein totalitäres Regime. Dem widmet sich der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Filmemacher Volker Heise, weil es mit unserer Gegenwart korrespondiert – und dass, obwohl er seit "Berlin 1945" nie wieder eine Hitler- oder Goebbels-Rede anhören wollte, wie Heise sagt.
"Wir leben auch wieder in so einer Zeit des Übergangs – in der Arbeitswelt, globale Mächte steigen auf, andere steigen ab, der Klimawandel – und wir wissen nicht, wie es weitergeht. Und ich dachte, vielleicht muss man in so einer Situation erzählen, wie eine Gesellschaft den absolut falschen Weg wählt oder man sagt auch, wie ein Teil der Gesellschaft die andere dazu zwingt, diesen Weg zu gehen."
Heise kommentiert die Ereignisse nicht, sondern montiert multiperspektivisch Tagebücher, Briefe und Dokumente mit dazu passenden Fotos, Originaltonaufnahmen und Filmausschnitten. Chronologisch folgt man so der Geschichte und es ist wie bei den Zeitgenossen damals: Zukunft offen. Das ist eine Schnittmeisterleistung. Und auch wenn alle Bilder in Schwarz-Weiß sind, die Menschen werden lebendig, kommen einem ganz nah, ob Hausfrau oder Propagandaminister.
Wie der Moderator des Abends, rbb-Urgestein Knut Elstermann, ist man am Ende erstaunt, wie sich die Ereignisse überschlagen und wie blind doch viele gegenüber dem sind, was da kommen wird. In wenigen Wochen kippt die Gesellschaft. Die Juden werden bereits boykottiert und verfolgt. Erste Konzentrationslager entstehen.
"Die Schnelligkeit ist schon verblüffend", sagt Volker Heise. "Und das sieht man richtig, wie die Nationalsozialisten immer ein Schritt schneller sind als die anderen. Die SPD denkt noch darüber nach, ja, sie sind ja legal gewählt. Die Nazis denken schon darüber nach, wie man sie loswerden kann. Die, die am gewalttätigsten und radikalsten sind, gewinnen in so einer Situation."
Heise macht das Jahr 1933 lebendig und erzählt eindrücklich von der Zersetzung einer Gesellschaft, wie eine Masse manipuliert, ja emotionalisiert wird durch Propaganda und Gewalt, wie der Funke überspringt.
Der zweiteilige Dokumentarfilm "Berlin 1933 – Tagebuch einer Großstadt" läuft am Dienstag, 24. Januar, auf Arte und am Samstag, 28. Januar, im rbb Fernsehen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 17.01.23, 19:30 Uhr
Beitrag von Corinne Orlowski
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