32. Tanztage Berlin
In den Sophiensælen in Berlin-Mitte ist die 32. Ausgabe der Tanztage gestartet. Bei dem Festival wird die Arbeit des Tanznachwuchs der Hauptstadt in den Mittelpunkt gestellt - zur Eröffnung gab es eine Doppel-Vorstellung, die kraftvoll und sexy war. Von M. Bienert
In "Bang Bang Bodies" passiert nach kurzer Strobo-Licht und Metal-Musik-Einlage in den ersten zwanzig Minuten kaum mehr, als dass die zwei Performer:innen ihre langen Haare vor den eigenen Gesichtern kreisen, schwenken und schütteln. Ganz ohne Musik. In der Performance der griechischen Choreografin und Perfomerin Xenia Koghilaki, eine Produktion des Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT), ist das klassische Headbangen Ausgangspunkt.
Man hört jedes Geräusch im ausverkauften Saal in den Sophiensælen. Und gerade als die ersten anfangen zu kichern, zu husten und zu tuscheln, setzt wieder Musik ein und aus dem hypnotischen Headbangen wird ein Exzess. Ohne je mit dem Kopfkreisen aufzuhören, beginnen die Tänzer:innen, sich entweder auszuziehen, Chips zu essen oder eine Zigarette zu drehen.
Und, legt sich die Künstlerin - während Körper und Kopf rhythmisch zucken - da wirklich eine Binde in die Unterhose? Spannend, wie sich die weiblich gelesenen Körper dieser sehr männlichen Ausdrucksweise bedienen, dabei unaufhörlich mit den langen Haaren ihre Gesichter verdecken und das Ganze mit Alltagshandlungen auf die Spitze treiben – bis zur totalen Erschöpfung.
Der künstlerische Leiter und Kurator der Tanztage, Mateusz Szymanówka, erzählt, dass in diesem Jahr bei den 150 Bewerbungen ähnliche Themen auftauchten: "Erschöpfung und Erholung, Informations- und Reizüberflutung, gerade in diesem Jahr, wo es soviele Debatten über Ressourcen gab." Gemeint sind damit nicht nur die natürlichen Ressourcen der Erde, sondern auch unsere ganz persönlichen und diesem wichtigen Thema sollen die Tanztage auch einen Raum geben, erklärt Szymanówka.
Das Workshop-Programm, das das Tanz-Festival flankiert spiegelt das mit Angeboten zu mentaler Gesundheit in der Tanzszene und Arbeitskultur wieder. Psychische Gesundheit bekommt in diesem Jahr auch in den Sophiensælen eine besondere Aufmerksamkeit.
Die 32. Ausgabe der Tanztage Berlin möchte "unsere tägliche Reizüberflutung und chronische Müdigkeit untersuchen, indem sie darüber nachdenkt, wie wir uns dem Rhythmus der gegenwärtigen, von sozialen Medien geprägten Highspeed-Realität anpassen und uns durch ihre Herausforderungen navigieren", heißt es auf der Webseite zum Festivalprogramm [tanztage-berlin.sophiensaele.com].
Vielleicht zählen dazu auch Erholungspausen fürs Publikum? Nach "Bang Bang Bodies" folgt eine 45-minütige Pause, eigentlich zu lang. Doch die braucht es wohl, um den Saal mit genügend Nebel zu füllen, den die zweite Aufführung für ihre mystische Stimmung benötigt.
Das zweite Stück namens "Lounge" kommt von der Portugiesin und Wahl-Berlinerin Marga Alfeirão (auch eine Absolventin des HZT Berlin) und ihre Performance im Duett lässt sich mit einem Wort beschreiben: heiß. Das ist quasi 45 Minuten getanzter Sex. Was zuvor das Headbangen, also Kopfkreisen, war, ist hier der Po. Stichwort: Lapdance, also das Imitieren von Geschlechtsverkehr in sitzender Pose.
Die Performer:innen, mit schwarzen Tangas über den weißen Hosen, lassen kaum eine angedeutete Sexpraktik aus, liebkosen zu treibenden, südamerikanischen Rhythmen den Körper der anderen. Aber immer mit Abstand, nur mit ihren tänzerischen Mitteln - und das ist explizit und subtil zugleich, ist pure Erotik und formvollendete Tanzkunst, alles durch einen Nebelschleier und gedämmtes Licht. Sehr beeindruckend und ein gelungener Auftakt für die 32. Tanztage in den Sophiensælen.
Eine weitere Doppel-Aufführung findet am Freitagabend statt, ist aber, wie das gesamte Wochenende, bereits ausverkauft. Man kann sich aber ab 18 Uhr an der Abendkasse anmelden und auf nicht abgeholte Tickets hoffen.
Die Tanztage in den Sophiensælen laufen noch bis zum 21. Januar und bilden ab, was der zeitgenössische Tanz "Made in Berlin" aktuell zu bieten hat.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.01.2023, 7.55 Uhr
Beitrag von Magdalena Bienert
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