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Audio: rbb24 Inforadio | 28.01.2023 | C. Orlowski | Quelle: dpa/J. Carstensen

Buchvorstellung | "Zwischen Welten" von Juli Zeh und Simon Urban

Was ist los mit der deutschen Debattenkultur?

Der neue Roman von Juli Zeh ist erst diese Woche erschienen – und polarisiert bereits. Am Freitag hat sie "Zwischen Welten" zusammen mit Co-Autor Simon Urban im großen rbb-Sendesaal vorgestellt - und für das Aushalten anderer Meinungen plädiert. Von Corinne Orlowski

Juli Zeh und Simon Urban schreiten winkend auf die Bühne im ausverkauften rbb-Sendesaal und obwohl Zeh sagt, dass sie solche Lesungssituationen nicht so mag, bedankt sie sich bei Radioeins-Moderatorin Marie Kaiser, dass der Abend trotz Streik beim rbb stattfinden kann. "Ich muss einmal ganz kurz sagen, dass wir uns wahnsinnig freuen, dass wir hier sein können. Danke, dass das unter den Bedingungen möglich ist. Der erste Abend mit dem Buch ist etwas ganz Besonderes."

Es ist die Deutschlandpremiere von "Zwischen Welten". Der Roman ist erst vor wenigen Tagen erschienen und hat im Netz schon heftige Kontroversen ausgelöst. Ein Interview mit Zeh und Urban in der "Neuen Züricher Zeitung" hat die sozialen Medien heißlaufen lassen. Aber damit unterstreicht sich im Grunde nur, was das Autoren-Duo mit ihrem Buch aufzeigen wollte: Äußerungen werden aus dem Kontext gerissen, sich empört und eine Debattenkultur verunmöglicht. So zerreiße das Land, vornehmlich in zwei Lager. "Das ist ein akademisches, links-grünes, in Teilen wokes Milieu in der Großstadt und ein ländliches, in Teilen zumindest politikverdrossenes oder -fernes, systemkritisches Milieu auf dem Land", sagt Urban.

Hitziger Schlagabtausch in vertauschten Rollen

Und diese Milieus greifen sie im Roman auf: Da ist Stefan, überheblicher Kulturchef einer großen Wochenzeitung in Hamburg, und Theresa, gestresste Landwirtin auf einem Ökobauernhof in Brandenburg mit Eheproblemen. Zwei Lebenswelten, die gegensätzlicher kaum sein können.

Die zwei Mittvierziger sind alte Studienfreunde. Nach zwanzig Jahren treffen sie sich zufällig wieder und es beginnt ein hitziger Schlagabtausch per Mail und Messenger-Diensten - eben zwischen den Welten, zwischen Mann und Frau, Stadt und Land, Ost und West. "Und das sind auch zwei Berufe, die denkbar gegensätzlich sind", ergänzt Zeh, "Theresa steht morgens um vier mit Gummistiefeln in der Matsche und treibt Kühe in die Melkmaschine, da geht Stefan mit seinen Kulturfreunden gerade ins Bett nach seinem letzten Cocktail."

Online diskutieren sie über die Themen der Zeit: Klima, Gender, Identität, der Ukraine-Krieg. Aktueller geht es kaum. Aber das ist kein klassischer Grabenkampf zwischen links und rechts, eher ein Familienstreit. Und der geht hoch her. Zeh und Urban lesen in vertauschten Rollen. Denn das, versichert Juli Zeh, sie seien wie ein Schreibgehirn gewesen und hätten alles gemeinsam verfasst.

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Zeitgenössischer Briefroman als Schreibprojekt

Der schnippische Ton, das Dialogische kommt beim Publikum sehr gut an. Und auch die ruhige und sympathische Art von Zeh und Urban, ihre Vertrautheit. Das Buch wolle ja nicht provozieren, die beiden Autoren auch nicht Stellung beziehen – eher darlegen, wie Kommunikationsverwerfungen entstehen, sagen sie.

Und so verläuft der Abend, auch dank der souveränen Moderatorin Kaiser, ziemlich versöhnlich. Sie kommen auf den Impuls zu sprechen, der am Anfang des Romans stand, die Fragen: Woher kommt die Politikverdrossenheit? Wohin führt der Aktivismus? Dabei hätten beide zu Beginn gar nicht so recht an das Schreibprojekt geglaubt, verrät Juli Zeh: "Als die Rohfassung dann fertig war und wir das Skript von der ersten bis zur letzten Seite vor uns liegen hatten, waren wir beide nicht so richtig in der Lage zu sagen, ob das jetzt lesbar ist", erzählt sie, "es gibt ja auch so wenige zeitgenössische Briefromane. Die Gattung ist ja ein bisschen in Vergessenheit geraten, obwohl eigentlich dieses Kommunikationszeitalter fast schon danach schreit."

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Andere Meinungen aushalten, aneinander dranbleiben

Die mündliche Form erhöht die Emotionalität. Auch auf der Bühne. Die Textnachrichten ermöglichen einen ständigen Perspektivwechsel ohne Erzählinstanz. Eindrücklich und humorvoll geht die Kommunikation aneinander vorbei. Und wird vielleicht am Ende doch noch eine Liebesbeziehung daraus?

Zeh und Urban sind sich jedenfalls einig. Sie appellieren daran, dass es durchaus möglich und nötig ist, andere Meinungen auszuhalten, zu diskutieren, aneinander dranzubleiben – so wie Theresa und Stefan. "Wir sprechen die ganze Zeit von Shitstorms und was das mit uns macht. Wir schauen wie Kaninchen auf die Schlange. Aber das hält unser gesamtes Land nicht im Würgegriff. Die meisten Leute sind schlau genug, um entscheiden zu können, welches Buch sie lesen wollen oder nicht, ganz egal was auf Twitter steht. Daran muss man sich nur einmal erinnern und kann wieder etwas tiefer ins Zwerchfell atmen", sagt Juli Zeh zum Schluss.

Dafür gibt es Applaus - und eine endlose Schlange am Büchertisch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.01.2023, 08.00 Uhr

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