Austauschprogramm der "Science Gallery"
Eine Künstlerin aus Irland und ein Mineraloge aus Berlin tun sich zusammen und bringen Steine zum Sprechen. Klingt etwas fantastisch, ist aber ein wesentlicher Gedanke eines Projekts der "Science Gallery". Von Hans Ackermann
Gefesselt vom leuchtenden Grün eines Malachits wird man in der Mineralogischen Sammlung der Technischen Universität (TU) Berlin gleich an der ersten Vitrine buchstäblich gefangengenommen. Über dem polierten Malachit thront ein großer Brocken aus Azurit, dessen beeindruckend blaues Inneres fast wie ein lebender Organismus aussieht.
Viele Exponate in dieser Vitrine stammen aus dem namibischen Tsumeb. In Kolonialzeiten "die größte Kupferlagerstätte Deutschlands außerhalb von Deutschland", sagt Johannes Giebel, der Leiter der mineralogischen Sammlung der TU Berlin. "Was wir hier sehen, sind eben nicht nur schöne, glitzernde Minerale und Gesteine, sondern auch Rohstoffe mit einem ökonomischen Wert", sagt der Mineraloge, der im südafrikanischen Bloemfontein studiert hat. "Wir haben den Leuten aber nicht nur Rohstoffe gestohlen, sondern haben uns mit diesem Raub eigentlich erst unsere jetzige Zivilisation erschaffen."
Mit seinem umfassenden Wissen ist Johannes Giebel der ideale Forschungspartner für Niamh Schmidtke. Die 25 Jahre alte Künstlerin aus Dublin lebt in London, wo sie auch ihr Kunststudium absolviert hat. Inzwischen produziert sie den Podcast "Future Artefacts FM" über auditive Kunst. Außerdem verarbeitet sie Keramiken aus dem 3D-Drucker zu Installationen über Windkraft.
Niamh Schmidtke ist zwar auch am "Schmuck-Aspekt" der Minerale interessiert und kann sich, wie sie erzählt, für "Lapislazuli und Labradorit" begeistern. Bei ihrem Forschungsaufenthalt in Berlin will sie aber vor allem ökologische und ökonomische Fragen bearbeiten. "Selbst wenn wir es wollen", sagt die Künstlerin, "können wir uns gar nicht mehr vollständig mit erneuerbaren Energien versorgen. Dafür reichen sämtliche Minerale im Boden nicht aus". Eine Ansicht, die auch Johannes Giebel vertritt.
Die menschliche Zivilisationsgeschichte im Verhältnis zur "Geologischen Zeit" betrachten - wo lässt sich dieser Zusammenhang besser erforschen, als an den großen Vitrinen mit Exponaten aus allen denkbaren Erdzeitaltern? Eisenerz, Steinsalz und Kohle, Rubine, Amethyste und Lithiumkristalle, Manganknollen vom Meeresboden und Diamanten aus den Tiefen der Erde.
Insgesamt, erzählt Johannes Giebel, sei in den Vitrinen allerdings nur ein "Bruchteil" jener rund 200.000 Minerale, Metalle und Fossilien zu sehen, mit denen die einzigartige Sammlung zu den größten weltweit gehört. Gegründet wurde sie 1770 als Teil der "Bergakademie Berlin". Im 20. Jahrhundert wurde sie dann in die TU eingegliedert.
Der meisten Exponate lagern unter den Vitrinen in Schubladen, die mit kleinen grünen Schachteln gefüllt sind. Dort findet Giebel auch den "Baddeleyit", einen optisch eher unauffälligen Stein, der nach seinem Entdecker Joseph Baddeley benannt ist.
Die Faszination dieses Steins beruht nicht auf Schönheit, sondern auf seinem unvorstellbaren Alter. "Der Baddeleyit hier stammt aus Phalaborwa in Südafrika", erzählt Giebel, "das ist eine Lagerstätte, von der man weiß, dass sie Milliarden Jahre alt ist. Dieser Baddeleyit ist also ein Zeitzeuge für die "Deep Time" dieses Komplexes. Er belegt, wie unvorstellbar alt dieser Gesteinskomplex ist". Mit der "Uran-Blei-Methode", erklärt Giebel, lasse sich das Alter von Steinen sehr genau bestimmen - 2,06 Milliarden Jahre.
Geologische Zeiträume, die jede menschliche Vorstellungskraft überschreiten, möchte Niamh Schmidtke als "Artist in Residence" in Berlin künstlerisch erforschen und diese "Deep Time" der Steine mit unserer Gegenwart in Verbindung bringen. "Dieser Stein hier ist zwei Milliarden Jahre alt, älter als die Dinosaurier", sagt die Künstlerin. "Aber was bedeutet so eine Zeitspanne für uns? Darum geht es beim Konzept der 'Deep-Time'".
Neben seiner unvorstellbar langen "Lebensgschichte" kann der schwarzgraue Stein auch eine kurze koloniale Geschichte aufweisen, die aus dem kleinen "Beipackzettel" in der Aufbewahrungsschachtel hervorgeht: "Südafrika, 1965" ist dort als Fundort verzeichnet.
Niamh Schmidtke - die ihren Nachnamen ihrem deutschen Großvater verdankt - wird mit Unterstützung des Berliner Mineralogen während ihres Aufenthalts somit verschiedene Themen künstlerisch bearbeiten: die "Kolonialgeschichte" der Minerale, deren gegenwärtige und zukünftige Bedeutung als Ressourcen und das philosophisch-geologische Thema der "Deep Time". Für Johannes Giebel ist die menschliche Zivilisationsgeschichte innerhalb der "Deep Time", wie er sagt, nur ein "Wimpernschlag".
Mit ihren übereinstimmenden Ansichten freuen sich Giebel und Schmidtke auf die Zusammenarbeit. Künstlerinnen und Künstler, meint Niamh Schmidtke, hätten ja bei allem Interesse von Haus aus normalerweise kaum wissenschaftliche Kenntnisse: "Wir haben keinen naturwissenschaftlichen Abschluss, sind keine Experten", sagt sie - und sie werde sicher niemals "so viel über Minerale wissen wie Johannes". Doch wenn die künstlerische Auseinandersetzung mit den Mineralen am Ende in ein Hörstück und einen Workshop mit Studierenden mündet, würde sich auf diese Weise auch mineralogisches Wissen verbreiten.
Niamh Schmidtkes Projekt ist der letzte Teil des "Artist-in-Residence"-Programms "Earth Water Sky" der "Science Gallery". Dieses Netzwerk sucht an sieben europäischen Universitäten nach Antworten auf die "großen Umweltfragen des 21. Jahrhunderts", wie die Initiatorin des Programms, Ariane Koek, sagt. Die renommierte britische Kuratorin freut sich, der jungen irischen Künstlerin in Berlin eine Plattform zu bieten. "Niamhs Idee, über 'Deep Time' zu forschen und damit die Binarität von Kultur und Natur zu künstlerisch zu durchbrechen, fanden wir absolut überzeugend", sagt Koek.
"Eisen, Gold, Nickel, Zink, Lithium, all diese Minerale beherbergen Informationen und 'Pulling Blood from a Stone' bedeutet, diese Information aus dem Stein 'herauszudrücken'", erklärt Johannes Giebel den Titel des Projekts, bei dem Niamh Schmidtke die Steine buchstäblich zum Sprechen bringen wird - getreu einer Redewendung aus ihrer irischen Heimat: "Wenn jemand zum Beispiel von einer langen Reise zurückkommt, und dann mit keinem Wort erzählt, was er alles erlebt hat. So einen wortkargen Menschen zum Sprechen zu bringen, das nennen wir 'Pulling Blood from a Stone'."
Erste Resulte aus Niamh Schmidtkes Arbeiten sind ab Oktober zu sehen, eine komplette Ausstellung dann 2024 in der "Science Gallery" der TU Berlin. Interessierte Besucher können aber schon vorher die Mineralogischen Sammlungen besuchen. Jeden Freitag von 9 bis 12 Uhr ist der gut 200 Quadratmeter grosse Raum mit seinen thematisch geordneten Vitrinen für das Publikum geöffnet.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.01.2023, 10:25 Uhr
Beitrag von Hans Ackermann
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