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Quelle: dpa/Michael Sohn

Interview | Rückgabe von Raubkunst

"Man muss sich entscheiden: Zählt die Wirtschaft oder zählt die Moral?"

Nofretete, Pergamonaltar, Beninbronzen: In Berlin lagern Zehntausende Kulturobjekte aus der deutschen Kolonialzeit. Aus heutiger Sicht ist die Aneignung oft nicht mehr vertretbar. Was geschieht damit? Ein Interview mit dem Kolonialismus-Experten Jürgen Zimmerer.

rbb|24: Herr Zimmerer, die deutschen Kultusminister haben bereits 2019 Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus der Kolonialzeit veröffentlicht: Man wolle die Voraussetzungen für Rückführungen von Objekten schaffen, "deren Aneignung in rechtlich und/oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte". Auf wie viele Objekte in Berlin trifft das zu?

Jürgen Zimmerer: Auf Zehntausende. Es lässt sich nicht quantifizieren, weil die Museen selbst teilweise keinen Überblick haben, was sie alles in ihren Magazinen lagern. Aber es sind Zehntausende. Darunter sind auch viele, die aus einer Region stammen, die lange Zeit unter osmanischer Herrschaft stand. Im Pergamonaltar ist dies eindeutig im Nachfolgestaat Türkei zu verorten, das Ischtar-Tor stammt aus dem heutigen Irak und die Nofretete aus Ägypten.

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Die Nofretete wird im Neuen Museum in Berlin ausgestellt, Ischtar-Tor und Pergamonaltar stehen im Pergamonmuseum. Kann man die Verhältnisse vergleichen, unter denen diese drei Objekte erworben worden sind?

Die Nofretete ist der eindeutigste Fall eines unter Fremdherrschaft erworbenen Objektes, weil Ägypten zum Zeitpunkt der Ausgrabung durch Großbritannien besetzt war. Der Chef der Antikenverwaltung war zudem ein Franzose. Im Grunde haben Briten und Franzosen den Deutschen attestiert, dass sie die Nofretete außer Landes bringen können.

Im Fall des Ischtar-Tors haben wir das Problem, dass der Export in zwei Teilen genehmigt worden ist. Bei der ersten Entscheidung wurde der Irak vom Osmanischen Reich in einem Abhängigkeitsverhältnis beherrscht und bei der zweiten war der Irak nach dem Ersten Weltkrieg unter britischer Verwaltung. Der Export war also legal, aber er ist unter Bedingungen imperialer Fremdherrschaft erfolgt.

Bei dem Pergamonaltar ist es so, dass man das Osmanische Reich genötigt hat, das aus außenpolitischen Gründen auf das Wohlwollen Deutschlands angewiesen war. Das gab dem Deutschen Reich Druckmittel in die Hand, die zumindest Fragen hinsichtlich der Freiwilligkeit der Exporterlaubnis aufwerfen.

Sind denn all diese Objekte unrechtmäßig in der Kolonialzeit erworben worden?

Das ganze Instrument der Fundteilung muss man genauer unter die Lupe nehmen, ob das überhaupt nach heutigen Verständnissen legal war. Legitim war es nicht. Die Fundteilung an sich kann also keinen legitimen Besitzanspruch begründen.

Es sei denn, wir lehnen jede moralische Herangehensweise ab. Denn auch im Kontext des NS-Raubguts gab es Gesetze, die die Arisierung vermeintlich legalisierten, oder den erzwungenen Verkauf von Kunst forcierten. Ich glaube, das ist ein großer Fortschritt unseres Rechtsempfindens, dass wir sagen, nur weil es irgendwann mal Gesetze dazu gab, sind die noch lange nicht legitim. Und wir wollen nicht davon profitieren.

Was ist die Fundteilung, von der Sie sprechen?

Bei der sogenannten Fundteilung werden archäologische Funde zwischen dem Land, in dem die Objekte gefunden wurden, und dem Land, das die Ausgrabung organisiert hat, oder aus dem der Ausgrabende kommt, nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt. Historisch war damit der Versuch verbunden, einen Anreiz für Ausgrabungen zu schaffen und dabei wenigstens einen Teil der Funde für das Land zu sichern, in dem sie aufgefunden wurden.

Es mangelte an Macht, die Funde ganz für sich zu reklamieren und einen Export zu verhindern. Diese Fundteilung wurzelte in der kolonialen beziehungsweise imperialen Situation, in der sich die Kolonialmächte einen Wettstreit um die besten archäologischen Objekte lieferten, den sie weitgehend ohne Rücksicht auf die Interessen der Länder durchführten, in denen die Grabungen stattfanden. Gleichzeitig bestand bei ihnen die Vorstellung, dass nur Europäer die Fähigkeiten zum fachgerechten Umgang besäßen. Dass im Falle der Nofretete etwa ein Franzose die Einhaltung der Fundteilung überwachte, illustriert dies sehr treffend.

Wie sieht es das Recht? Könnte ein Gericht eine Rückgabe anordnen?

Auf dem Rechtsweg wäre das schwierig. Allerdings hält niemand den Bundestag davon ab, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, nach denen man diese Objekte zurückgeben könnte. Bei den Benin-Bronzen hieß es am Anfang auch immer, dass das gesetzlich eigentlich nicht geht.

Es ist letztendlich eine politische Frage, etwas zurückzugeben oder nicht. Wenn der politische Wille da ist, kann man es machen, und es gibt nichts, was dagegen spricht. Wenn der politische Wille nicht da ist, dann wird es schwierig. Jede politische Entscheidung muss sich auch immer daran orientieren, welche Auswirkungen das auf unseren Anspruch uns selbst gegenüber hat, aus der Vergangenheit gelernt zu haben und von bestimmten Unrechtskontexten nicht profitieren wollen. Und Kolonialismus war eben ein strukturell rassistisches Unrechtssystem. All diese Transaktionen stehen grundsätzlich unter dem Verdacht, unrechtmäßig gewesen zu sein. Es sei denn, man kann im Einzelfall nachweisen, dass es legal, fair und freiwillig war. Das kann man in diesen drei Fällen nicht.

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Gibt es denn überhaupt aktuell eine Rückforderung aus Ägypten? Im Land herrscht eine Militärdiktatur unter Führung des Präsidenten und Ex-Feldmarschalls Abdel Fattah al-Sisi, der dazu auf die EU und Deutschland angewiesen ist.

Es gibt schon maßgebliche Stimmen der ägyptischen Gesellschaft, die die Nofretete zurückhaben wollen. Ob das Regime momentan eine offizielle Rückgabeforderung eingereicht hat, weiß ich nicht. Dass unter Umständen aus ganz anderen politischen Gründen vielleicht davon abgesehen wird, steht nochmals auf einem anderen Blatt.

Das wirft aber auch die Frage auf, ob man im Umgang mit autokratischen Regimes immer sagt, die Meinung des Autokraten ist die allein entscheidende. Oder ob man nicht gerade als demokratischer Staat auf die Zivilgesellschaft schauen möchte. Was will eigentlich die Zivilgesellschaft?

Es ist der Bundesrepublik Deutschland unwürdig zu sagen, es muss schon der Autokrat mit Brief und Siegel unterschrieben haben, sonst erkennen wir es nicht an. Das Pochen auf formalen Kriterien gab es auch bei den Versuchen, die Rückgabe der Benin-Bronzen abzuwehren, wo es lange hieß, es gebe keine offizielle Rückgabeforderung, da fehle die Unterschrift et cetera. Jeder wusste, dass die im Grunde da war. Das sind diplomatische Taschenspielertricks.

Die Gegenseite könnte aber sagen, in Ägypten herrscht eine Militärdiktatur oder im Irak verbreitet sich die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg. Die Artefakte wären da gar nicht sicher.

Vom Ursprung her ist das ein koloniales Argument. Die Gesellschaften, aus denen diese Objekte sind, interessierten sich nicht dafür, hätten gar kein Bewusstsein von Kultur oder würden nicht darauf aufpassen können. Mittlerweile hat sich aus diesem kolonialen Argument ein neokoloniales Abwehrargument gebildet, um zu behaupten, man könne die Objekte nicht zurückgeben, weil man dort kein Museum fände oder die Sicherheit der Objekte wäre dort nicht gewährleistet. So hieß es eins zu eins bei den Benin-Bronzen: Die haben kein Museum oder die sind doch korrupt, die Statuen werden sofort im Kunsthandel landen. Das sind eigentlich kolonial-apologetische Argumente.

Auch ist es kein Argument, dass die Objekte hier besser geschützten wären vor Krieg und Gewalt. Selbst in Deutschland gilt das nur mit der Einschränkung, dass man den Zeitraum 1945 beginnen lässt. Wenn man die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs mitrechnet, stellt sich die Situation völlig anders dar.

Was würde denn dann in der Berliner Museen ausgestellt werden, wenn alle Ausstellungsstücke in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden?

Dann werden andere Objekte ausgestellt. Wenn es darum geht, für fremde Kultur zu sensibilisieren, dann kann man mit Hologrammen sehr viel ansprechendere Ausstellungen schaffen als über diese Objekte. Das können andere Museen auch.

Und es wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn statt der Nofretete dort einfach nichts stehen würde außer einer leeren Vitrine, die sagt, hier stand die Nofretete. Erworben und angeeignet zu einer Zeit, als wir imperial auf die Welt schauten und zurückgegeben, als wir uns bekannten und erkannten, dass die Menschheit nur in Kooperation überleben kann. Das wäre ja auch eine gute Vitrine.

Wie viele Eintrittskarten würde so ein Museum verkaufen?

Ja, genau. Klar. Aber dann sind wir jetzt bei dem Punkt, der dahinter steckt, dass hinter der ganzen Debatte, ob es legal war, handfeste Interessen stehen, sowohl im Nationen-Marketing, als auch im Tourismus in Berlin. Das kann man auch machen. Aber dann sollte man bitte das moralische Herumgerede lassen.

Und dann stellt sich irgendwann die Frage, warum man bestimmte Objekte restituiert und andere nicht. Wenn es nur darum geht, was Eintrittskarten verkauft, dann gibt es auch das eine oder andere moderne Kunstwerk, das zwischen 1933 und 1945 widerrechtlich angeeignet wurde, das man behalten und auf die verkauften Eintrittskarten verweisen könnte. Man muss sich entscheiden, zählt die Wirtschaft oder zählt die Moral.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Jürgen Zimmerer sprach Efthymios Angeloudis, rbb|24.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.01.2023, 12:30 Uhr

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