Ausstellung | Zineb Sedira im Hamburger Bahnhof
Auf der Biennale in Venedig feierte Zineb Sedira mit "Dreams Have No Titles" im französischen Pavillon einen großen Erfolg. Nun lädt die Installation der französisch-algerischen Künstlerin erstmals in Deutschland zum Tanzen und Diskutieren ein. Von Marie Kaiser
Ist das eine Ausstellung oder sind wir doch versehentlich an ein Filmset geraten? Wer Zineb Sediras Installation "Dreams Have No Titles" im Hamburger Bahmhof [smb.museum.de] betritt, fühlt sich als wäre er Teil eines Filmdrehs. Überall sind Kulissen aufgebaut. Ein altmodisches Ankleidezimmer mit Garderobenständer, Spiegel und Frisiertisch. Ein 60er-Jahre-Wohnzimmer mit lila Couch, Teppich, Plattenspieler, Bücherregalen und flimmerndem Fernseher. Auf dem Couchtisch laden zwei volle Gläser mit Rotwein zum Verweilen ein. Und in der Kulisse nebenan, einer kleinen schummerigen Bar, tanzt ein Paar Tango - mit viel Hingabe und großer Ernsthaftigkeit. Als er ihr zu nahe kommt, weist sie ihn abrupt zurück.
Eine Szene aus dem französisch-algerisch-italienischen Spielfilm "Le bal - Der Tanzpalast" aus dem Jahr 1983, die Zineb Sedira im Hamburger Bahnhof in Berlin neu inszeniert. Für ihre Installation ist die Künstlerin tief in Filmarchive eingetaucht und hat die Kulissen verschiedener Filme mit viel Sorgfalt nachgebaut.
Die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, alles anzufassen und in diesem Film mitzuspielen, betont Zineb Sedira vor der Eröffnung: "Ich möchte, dass die Menschen mittanzen und sich im Wohnzimmer aufs Sofa setzen und miteinander diskutieren. Ich möchte, dass sie sich die Bücher, Schallplatten und Filmposter genau anschauen. Denn ich habe dort auch einige Hinweise versteckt. Gerade auf die Zeit der 1960er Jahre, in der es nicht nur im Kino, sondern auch in der Musik und im Theater militante politische Bewegungen gab."
"Dreams have no titles" war zum ersten Mal 2022 bei der Biennale von Venedig zu sehen. Die beiden neuen Direktoren des Hamburger Bahnhofs, Till Fellrath und Sam Bardaouil, hatten Sediras erfolgreichen Auftritt im französischen Pavillon kuratiert. Auch deshalb ist es ihnen nun ein besonderes Anliegen, dass die in Frankreich und Großbritannien schon sehr bekannte Künstlerin auch von einem deutschen Publikum entdeckt werden kann. "Die Installation ist wie Zineb selbst. Es ist, als würde man bei Zineb Sedira zu Hause im Wohnzimmer sitzen, was wir unzählige Male getan haben", sagt Fellrath.
Im hinteren Teil der Installation ist ein kleines Kino mit altmodischen hölzernen Klappsitzen aufgebaut. In einem etwa zwanzigminütigen Film, in dem Freunde und Freundinnen, Verwandte von Sedira und auch Fellrath und Bardaouil als Laienschauspieler auftreten, erzählt die Künstlerin die eigene Lebensgeschichte. Als Tochter algerischer Einwanderer wurde sie in Paris geboren und lebt heute in London. Schon als Kind entdeckte Sedira ihre große Leidenschaft für den Film, als ihr Vater sie in den 1960er Jahren immer mit ins Kino nahm.
Doch Sedira inszeniert in "Dreams have no Titles" nicht nur aufs Schillerndste die eigene Leidenschaft fürs Kino und den Tanz. Sie belässt es auch nicht bei Wohnzimmergemütlichkeit. Der Künstlerin geht es um große Fragen wie Diskriminierung, Rassismus und Dispora, und so erzählt sie auch vom Selbstmord der eigenen Schwester.
"Dreams have no titles" zeigt, wie eng das Persönliche mit den großen Fragen der Geschichte und der Politik verknüpft ist. "Ich selbst bin ein Produkt von Kolonialismus und Immigration. Wenn ich also über Themen wie diese spreche, warum soll ich dann nicht auch eine der Hauptrollen in meinem Film spielen. Ich bin überzeugt davon, dass das Politische zugänglicher wird, wenn wir es als persönliche Geschichte erzählen", sagt Sedira vor der Eröffnung der Ausstellung im Hamburger Bahnhof.
"Es ist eine Ausstellung, die stark auch mit dem zu tun hat, was uns in Berlin bewegt", erklärt Fellrath. "Es geht um konfliktreiche Identitäten. Um Menschen, die unterschiedlichen Kulturkreisen angehören und mit ähnlichen Konflikten, Widersprüchen, aber auch Träumen und Hoffnungen leben. Insofern ist die Geschichte, die Zineb Sedira uns hier sehr persönlich erzählt, auch die gelebte Realität von sehr vielen von uns."
Wenn die Künstlerin am Ende des Films im knallgelben Kleid vor gelbem Hintergrund zum Song "Express yourself" von Charles Wright tanzt, wird klar, wie wichtig der Tanz für die Kunst, aber auch das Leben von Sedira ist. Fellrath fasst es so zusammen: "Es ist eine Einladung, schwierige Themen und Gegensätze zu überwinden - im Moment des gemeinsamen Tanzens und Lachens."
Sendung: Radioeins, 24.02.2023, 09:45 Uhr
Beitrag von Marie Kaiser
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