Interview | Was macht man als Oscar-Nominierter?
Am Sonntag werden die Oscars veriehen. Der Berliner Filmausstatter Bernhard Henrich war selbst schon nominiert. Er erzählt, was für ein "Wahnsinn" das damals in Hollywood war - und welche Chancen er dem deutschen Film "Im Westen nichts Neues" einräumt.
Der 70-jährige Bernhard Henrich ist Set Decorator (Filmausstatter). Für "Bridge of Spies" von Steven Spielberg war Henrich 2016 zusammen mit Adam Stockhauen und Rena DeAngelo für den Oscar für das beste Szenenbild nominiert. Seit Juni 2016 ist er Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Science. Er entscheidet damit mit über die Oscar-Vergabe. Selbst hat er an zahlreichen internationalen Produktionen mitgearbeitet.
rbb|24: Der deutsche Film "Im Westen nichts Neues" von Edward Berger ist für neun Oscars nominiert. Welche Chancen räumen Sie dem Film tatsächlich auf einen Oscar ein?
Bernhard Henrich: Der Film trifft in erschreckender Weise den Zeitgeist. Er erweckt Ängste in uns, da das Kriegsthema leider hochaktuell ist. Es gibt für mich Parallelen mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine und dem Stellungskrieg an der Westfront während des Ersten Weltkrieges, was der Film zeigt - ein brutaler, altmodischer Grabenkrieg.
Netflix hat die Wirkung von "Im Westen nichts Neues" erkannt und den Film sehr gefördert. Allerdings muss man dazu sagen, dass das Buch vor dem Kriegsausbruch geschrieben und der Film auch vorher gedreht wurde. Aber "Im Westen nichts Neues" zeigt uns auf eindringliche Weise den Schrecken eines neuen europäischen Kriegs.
Dass der Film neun Oscar-Nominierungen erhalten hat, finde ich gerechtfertigt. Er ist für den besten Film, den besten fremdsprachigen Film, die beste Kamera, das beste adaptierte Drehbuch, die besten visuellen Effekte, das beste Szenenbild, Make-up und Frisuren, die beste Filmmusik und den besten Ton nominiert. Ich habe mir im Vorfeld des Interviews alles noch einmal angeguckt und auch die Back of Reels, wo man sehen kann, wie sie alles gemacht haben. Der Film hätte es in jeder einzelnen Kategorie verdient, einen Oscar zu erhalten. Ob "Im Westen nichts Neues" tatsächlich einen Oscar erhält, das weiß ich nicht. Am wahrscheinlichsten halte ich es in der Kategorie bester fremdsprachiger Film.
Es gibt wahnsinnige Konkurrenz zum Beispiel bei den Visual Effects. Da ist beispielsweise auch "Avatar" nominiert. Ich weiß nicht, was sich die Academy-Mitglieder denken, ob sie wirklich in dem Segment eine Großproduktion mit einem riesigen Budget gleichsetzen mit einer wesentlich günstiger hergestellten Produktion. Das ist für mich zu schwierig einzuschätzen. Aber ich drücke "Im Westen nichts Neues" die Daumen. Das wäre so gut für den deutschen Film.
Der Stellenwert des deutschen Films ist in Hollywood nicht riesig. Umso überraschender ist es, dass der Film nicht nur als bester fremdsprachiger Film nominiert ist. Was macht "Im Westen nichts Neues" so anders?
Es ist eine internationale Koproduktion. So ist der Kameramann James Friend beispielsweise Engländer und ich würde daher sagen, dass ein gutes Team zusammengekommen ist, bei dem die meisten Deutsche sind, so wie der Regisseur.
Das hat nichts direkt mit Netflix zu tun, aber Streaming-Anbieter lassen auch Bücher verfilmen, die auch ein bisschen schwieriger sein können. Hier hat man mehr Freiheit, auch etwas Neues auszuprobieren und davon leben Netflix & Co. auch.
Ich habe auch schon für Netflix gearbeitet. Der Film damals war überhaupt nicht erfolgreich, aber woanders hätte man ihn nie produzieren können. Bei Netflix haben Produzenten etwas mehr Spielraum.
Bei "Im Westen nichts Neues" hat man den Machern die Möglichkeit gegeben, so etwas zu produzieren. Das ist eine gute Sache. Dazu kommt eine international erfahrene Crew. In Deutschland, in Berlin-Brandenburg gibt es zahlreiche Teams, die für Großfilme arbeiten, die absolute Profis sind. Und wenn dann ein gutes Buch kommt und Netflix einem die Möglichkeit gibt, es zu produzieren, dann entsteht eben ein guter Film.
Nach Corona sind Kinos noch nicht wieder so voll wie vor der Krise. Schon vorher sind die Kinobesuche in Deutschland eingebrochen. Sind Streaming-Anbieter mit ihrem ständigen Hunger nach Content jetzt Segen für die Filmindustrie?
Zunächst muss man sagen, dass Streaming-Anbieter wie Netflix in Deutschland niedrigere Budgets zur Verfügung stellen als in den USA. Aber auf der anderen Seite ernähren Netflix & Co. natürlich viele Filmschaffende. Und natürlich muss man sagen, dass die Streaming-Anbieter, die beispielsweise in Babelsberg produzieren, von dem passablen internationalen Know-how hier profitieren.
Zudem gehe ich davon aus, dass sich das Kino nach Corona wieder erholen wird. Das hat man beispielsweise bei "Avatar" und "Top Gun: Maverick" gesehen, dass die Kinos über Wochen ausverkauft waren. Es ist schon etwas Besonderes, ins Kino zu gehen - das Gemeinschaftserlebnis. Und das wird wieder zurück kommen - vielleicht nicht mehr so erfolgreich wie früher. Voraussetzung hier ist aber, dass die Kinos technisch nachrüsten, dem Publikum etwas mehr bieten als früher.
Für das lineare Fernsehen sind die Streaming-Anbieter mit ihren Serien und Filmen viel gefährlicher, weil der Content permanent konsumiert werden kann. Vor allem die Jungen konsumieren ihre Serien auf Handys oder Tablets. Ob diese dann fürs Kino begeistert werden können? Aber es ist gut, dass es die Streaming-Anbieter gibt.
Bislang entstand der Eindruck, dass Streaming-Anbieter bei den Oscars nicht groß abräumen konnten? Stimmt das eigentlich?
Das stimmt nicht. Ich habe das mal ganz kurz gecheckt. Im letzten Jahr hat "Coda" den Oscar für den besten Film geholt und den hat Apple TV gemacht. Ich erinnere auch an "The Power of Dog", der hatte zwölf Oscar-Nominierungen. Ich könnte die Liste fortsetzen wie "Being the Ricardos" oder "The Tragedy of Macbeth". Das waren alles Streamingdienste. Und das würde ich nicht als erfolglos bezeichnen.
Die Oscars sind wirklich offener geworden. Voraussetzung aber ist, dass die Streamingangebote ihre Filme trotzdem eine gewisse Zeit in ausgewählten Kinos zeigen. Menschen mussten im Kino Zugang zum Filn gehabt haben. Und das ist mittlerweile, glaube ich, schon akzeptiert bei den Academy-Members und alle machen mit.
Sie waren 2016 selbst für einen Oscar mit "Bridge of Spies" von Star-Regisseur Steven Spielberg als bester Set Decorator nominiert. Sie kennen das Gefühl. Was mag in Regisseur Edward Berger und seinen Leuten jetzt vorgehen?
Ich bin ja kein Regisseur. Ich war als Set Decorator für die Ausstattung mit den Designern mitnominiert. Was Edward Berger mit den vielen Nominierungen erreicht hat, wo er auch das Buch mitgeschrieben hat, ist natürlich unglaublich. Das hätte vorher niemand gedacht. Ich glaube, dass Berger wirklich baff war und auch seine Leute drum herum. Die haben ja schon bei den Baftas abgeräumt. Das ist so eine Überraschung, dass man dann für den größten Filmpreis der Welt nominiert wird, gerade noch als deutscher Film.
Ich weiß nicht, ich war nicht nervös. Es war damals alles so wie in einem Traum, als wäre man gar nicht selbst gemeint. So ging es mir jedenfalls. Das war so unfassbar. Und jetzt sind es so viele Leute mit "Im Westen nichts Neues", die auch noch neunmal nominiert sind.
Wie soll es einem da gehen? Ich glaube phänomenal. Man wird bei den Oscars überall hofiert, trifft so viele Leute. So viel Presse ist da vor Ort. Alle Gewerke werden bei der Oscar-Woche gleich behandelt. Es war Wahnsinn, was uns in Hollywood geboten wurde. Ähnliche Erfahrungen wird Berger und seine Crew drüben jetzt auch bestimmt machen.
Waren Sie sehr enttäuscht, die begehrte Trophäe nicht bekommen zu haben?
Das wurde ich von der Presse 2016 oft gefragt. Ich müsste doch traurig gewesen sein, dass ich nichts bekommen habe. Aber ich habe diese Frage gar nicht verstanden. Ich habe den Journalisten erst einmal erklärt, was ich bei den Oscars alles erlebt habe, was da alles abging. Es wurde uns alles bezahlt. Allein die Flüge und das alles waren bestimmt bis zu 36.000 Euro und das wurde allein für mich ausgegeben. Wie soll man da enttäuscht gewesen sein? Es war der Wahnsinn.
Ist eine Nominierung oder ein Oscar eine Eintrittskarte ins große internationale Film-Business?
Nein, überhaupt nicht. Bei mir war es nicht so, dass hinterher irgendetwas entstanden ist.
Sie sind seit 2016 lebenslanges Mitglied der Oscar Academy, dürfen über die Preisvergabe mitabstimmen. Welchen Favoriten haben Sie?
Ich darf natürlich nicht verraten, was ich gewählt habe. Es ist natürlich eine enorme Ehre, Academy-Mitglied zu sein. Wir haben uns schriftlich dazu verpflichtet, nichts über unsere Abstimmung zu verraten.
Wenn Sie dem Team von Regisseur Bergen einen Rat geben könnten: Was sollten sie in der Oscar-Woche nicht verpassen?
Ich glaube nicht, dass Edward Berger und sein Team von mir einen Rat brauchen. Ein unbedingtes Muss ist aber der Govenors Ball. Der ist direkt im Anschluss an die Verleihung und dort können die Preisträger dann ihre Namen in die Oscars gravieren lassen.
Übrigens: Von den Oscar-Partys reden nur die, die keine Tickets für die Preisverleihung oder den Govenors Ball haben. Diese Partys laufen ja parallel zur Preisverleihung und dem Ball.
Was Edward Berger und seine Crew unbedingt machen sollten, sind eigene Fotos zu schießen. Es ist da wie in einem Traum. Ich hatte damals zum Glück eine Assistentin auf dem roten Teppich dabei, die geknipst hat. Solche eigenen Fotos sind die besten Erinnerungsstücke. Von den Fotos zehre ich heute immer noch. Daher mein ultimativer Rat: Zurücklehnen, genießen, Fotos machen!
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Georg-Stefan Russew.
Sendung: rbb 88.8, 10.03.2023, 18:10 Uhr
Beitrag von Georg-Stefan Russew
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