Theaterkritik | "Biedermann und die Brandstifter"
Aus Feigheit und politischer Dummheit gibt Biedermann in Max Frischs Theaterstück den Brandstiftern seines Hauses selbst noch die Streichhölzer in die Hand. Am Schlosspark Theater wird daraus eine groteske Farce. Von Barbara Behrendt
Fast 70 Jahre ist dieses Theaterstück alt, und noch immer steht es als "moderner Klassiker" auf zahlreichen Lehrplänen und auf den Spielplänen der Theater: Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter".
Als subtil oder reich an Zwischentönen lässt sich die Inszenierung dieses "Lehrstücks ohne Lehre" (so der Untertitel) am Schlosspark Theater in Berlin-Steglitz nun wirklich nicht beschreiben. Schon als der Vorhang sich hebt, ist die Bühne in dichte Rauchschwaden gehüllt - während Gottlieb Biedermann an der Rampe eine Zigarette herauskramt. Dazu erklingt ein antikes Nebelhorn und ein Trupp grotesker Feuerwehr-Cowboys in knallroten Western-Hüten hebt drohend die knallroten Pistolenköpfe der Wasserschläuche: "Bürger der Vaterstadt Berlin! Seht ...! Feuergefährlich ist viel! Aber nicht alles was feuert ist Schicksal!"
Nein, das Schicksal lässt sich wahrlich nicht für alles verantwortlich machen. Manches geschieht schlicht aus menschlicher Blödheit, aus Angst oder wegen eines fehlendes Rückgrats: "Viel kann vermeiden Vernunft", weiß der Cowboy-Chor.
Und damit ist denn auch die Moral von der Geschicht' in Minute drei entdeckt. Durch die Persiflage dieses antiken Chores, der immer alles besser weiß - und trotzdem nicht eingreift. So ist das auch in Max Frischs Vorlage: Mit dem Holzhämmerchen scheint er diese Parabel auf die politische Dummheit des Menschen in die Maschine getippt zu haben. Ein Biedermann-Jedermann, der den Brandstiftern im Haus noch die Zündhölzer reicht - deutlicher geht's nun wirklich nicht.
Im Schlosspark Theater setzt Regisseur Philip Tiedemann noch eins oder zwei drauf - und macht, ganz konsequent, aus der Holzhammer-Parabel eine Farce, eine groteske Komödie, auf flinke 70 Minuten entschlackt.
Die Brandstifter, die Biedermann auf dem Dachboden einquartiert, könnten halbseidener kaum sein: Georgios Tsivanoglou spannt ein verzogenes Feinripp-Unterhemd über dem dicht behaarten Schmerbauch, beim Zirkus würde er jedem Löwen Angst einjagen. Mario Ramos dagegen trägt mit Glatze und Rollkragen eine intellektuelle Hinterlist zur Schau. Beide sagen sie stets die Wahrheit - Biedermann glaubt sie bloß nicht: "Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand."
Dieter Hallervorden als Gottlieb Biedermann, hier ein spießiger Villenbesitzer aus dem alten West-Berlin, setzt der Überzeichnung ein schön realistisches Komödienspiel entgegen. Typ: bigotter Besserwisser, der jedoch sympathisch bleibt. Klar, das kann Hallervorden. Immer zwischen Unterwerfung und Unglaube im Gespräch mit seinen neuen Freunden, die ihm Benzinfässer, Zündkapseln und Zündschnüre vorführen - was Biedermann als besonders perfiden Witz abtut. Nach dem Motto: Wer wirklich ein Brandstifter ist, fragt nicht nach Streichhölzern.
Dass Tiedemann am Ende auch Max Frischs kabarettistisches Nachspiel in der Hölle mitinszeniert, ist dann ebenfalls konsequent. Der Abend lässt sich insgesamt zwar allzu leicht weglachen, als dass man ihn auf heutige politische Brandstifter und ihre willigen Opfer übertragen könnte. Doch mit Hallervorden sehen wir in den besten Momenten zumindest auch ein kleines bisschen Duckmäuser-Biedermann von uns selbst auf der Bühne.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.03.2023, 6:55 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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