Theaterkritik | "Ich habe die Nacht geträumet" am BE
Einen Abend aus Traumfetzen, ohne Botschaft und Antworten wollte die Regiemeisterin Andrea Breth inszenieren, mit vielen Textsplittern, Poesie und Musik. Entstanden ist allerdings auch eine etwas biedere musikalische Zeitreise. Von Barbara Behrendt
Andrea Breths momentanes Lebensgefühl ist nachvollziehbar: Ratlos und sprachlos zeigt sich die Regisseurin angesichts der derzeitigen Lage auf der Welt. Sie denke, es könnten die letzten Tage der Menschheit sein, sagte Breth in Interviews vor der Premiere von "Ich habe die Nacht geträumet" am Berliner Ensemble. Und sie setzte ihren Namen als Erstunterzeichnerin unter das schwer in die Kritik geratene "Manifest für den Frieden" von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, das einen Stopp der Waffenlieferung an die Ukraine fordert.
Sie sei, wird Andrea Breth nun auch im Programmheft zitiert, derzeit nicht in der Lage, ein stringentes Drama zu inszenieren. Stattdessen möchte sie eine Collage aus surrealen Traumfetzen kreieren, aus skurrilen Rätseln, Angstträumen. Jenseits aller Logik, ohne Botschaften, ohne Antworten. Ein Abend, wie man ihn nur im Theater erleben kann. Es klingt: traumhaft.
Nach drei Stunden mit beinahe 80 Text- und Musikschnipseln ist die Ernüchterung allerdings groß, denn: Andrea Breths Traumfetzen kommen auf der Bühne so bieder und altbacken daher, als entstammten sie einer Zeitreise in die Bundesrepublik der 1950er Jahre.
Der gemischte Chor - die Männer in Anzügen und Hüten, die Frauen in knielangen, grauen Röcken und weißen Blusen - trippelt an die Rampe und lässt einen kleinen Dompfaff am Holzstab hüpfen, während er eine Schnulze von Ernst Bader aus dem Jahr 1954 singt: "Der kleine Dompfaff sang in den Zweigen, als wir die ersten Küsse getauscht."
In einer anderen Szene ruft Alexander Simon als spießiger Angestellter mit Lederaktentasche auf einem vorsintflutlichen Wandtelefon seine Frau an: "Ja, in einer halben Stunde muss alles gelüftet sein. Also, alle Fenster weit auf, gell? Warst du schon auf dem Klo?" Corinna Kirchhoff dagegen gibt in zahlreichen Miniaturen die Diva in Pelzstola, die wahlweise einem weißen Spitz oder einer alten Koffertruhe alte Liebeslieder vorsingt.
Hinter einem hauchdünnen Gaze-Vorhang, der das Ensemble leicht verschwimmen lässt, stehen die fünf Schauspieler:innen und zehn singenden Laiendarsteller:innen in einer Guckkastenbühne mit vielen Fluchten und Türen. Zu sehen ist der Flur eines großen Büros mit verschiebbaren Wänden, wo immer wieder neue Stühle und Koffer hin und her geschoben werden.
Zwischendurch meint man, in den Texten und Liedern eine Reise durchs deutsche Kulturgut auszumachen: von Robert Schumann über Franz Schubert bis hin zu Friedrich Hollaender geht es musikalisch, außerdem hat der Pianist Adam Benzwi viele Texte hübsch vertont. Von Heiner und Herta Müller, von Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Erich Fried oder Meret Oppenheim. Doch dann tauchen plötzlich auch internationale Filmszenen auf, etwa aus David Lynchs "Twin Peaks".
In seinen schönsten Momenten ist der Abend von einer romantischen Melancholie und Wehmut getragen, vor allem, wenn Schubert gespielt wird. Mit präziser Bühnenmechanik schnurren die Mini-Szenen nacheinander ab. Doch das Abgründige, das Andrea Breth sonst so meisterhaft unter der Oberfläche spürbar werden lässt, ist selten zu finden. Abgelöst hat es eine etwas bräsige Witzigkeit, zum Beispiel, wenn sich Johanna Wokalek mit Cocktailkleid und Hütchen im Träger ihrer Lackhandtasche verheddert.
Manches erinnert an die situationskomischen Chöre von Christoph Marthaler, nur weniger komisch. Und die Texte sind mitunter so harmlos intoniert, dass selbst der eindringliche Thomas Brasch klingt wie ein Schlager.
Nichts gegen völlig aus der Zeit und aus der Mode gefallenes Schauspiel wie dieses. Im Gegenteil: Das deutschsprachige Theater hat eine Andrea Breth mit ihrer psychologischen Präzision fernab jedes flachen Aktivismus bitter nötig. Umso trauriger, dass sich die Regisseurin hier in sentimentalen Eskapismus flieht, statt für das Beunruhigende, den Irrsinn unserer Albträume angesichts dieser Welt eine Sprache zu finden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.03.2023, 6 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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