Konzertkritik | Etta Scollo in Berlin
Mit ihrem neuen Programm "Ora - Jetzt" ist die sizilianische Sängerin Etta Scollo am Donnerstag in der Berliner Bar jeder Vernunft aufgetreten - dort, wo die Karriere der 1958 in Catania geborenen Wahlberlinerin vor zwei Jahrzehnten begonnen hat. Von Hans Ackermann
Begleitet von Akkordeon und Cello beginnt Etta Scollo ihr Programm in der ausverkauften Bar jeder Vernunft mit "C’è una pace". Ein Lied, das von der Sehnsucht nach Frieden handelt. Mit "Cantanotta" folgt ein schneller Walzer und von der Nacht handelt auch das anschließende "A notti u cici o jornu"- unverkennbar im sizilianischen Dialekt geschrieben.
Nach einigen traditionellen Volksliedern aus ihrer Heimat steuert Etta Scollo mit dem Lied "Lingua e dialettu" nun dem ersten Höhepunkt ihres neuen Programms "Ora" entgegen. Ihre Gitarre legt sie dabei kurz zur Seite, begleitet den Gesang nur mit einer rhythmisch geschlagenen Handtrommel - wodurch ihre direkt ins Herz gehende Stimme noch stärker wirken kann.
Im sizilianischen Dialekt singt Scollo den Text von Ignazio Buttitta. Ein berühmter, 1899 geborener sizilianischer Dichter, den bei uns aber kaum jemand kennt. Deshalb hilft die Sängerin dem Publikum mit einem treffenden Vergleich auf die Sprünge. "Er ist unser Pablo Neruda gewesen, hat in den 50er, 60er und 70er Jahren soziale Poesie geschrieben und gegen die Mafia gekämpft."
Von sozialer Poesie bis zu schönen Liebesliedern - das Programm dieser ganz und gar besonderen Sängerin ist erfrischend abwechslungsreich. Scollo ist eine stimmlich und vermutlich auch kommerziell in keine Schublade passende Künstlerin mit Mut zu stilistischen Experimenten: So lässt sie auf ihrem aktuellen Album "Ora" einen "Muschelchor" auftreten, mit Tönen, die auf riesigen Muscheln aus dem Mittelmeer geblasen werden. Im Konzert ist diese Kuriosität leider nicht mit dabei, dafür kann man das phantasievolle Spiel der Cellistin Zoe Cartier beobachten. Sie spielt ihr Streichinstrument auch mit Schlägeln und steuert damit interessante perkussive Klänge bei.
Neben sizilianischen Dichtern hat Etta Scollo auch Lyrik aus dem Veneto im Programm - wo ein Dialekt gesprochen wird, den sie richtig lange üben musste. Überhaupt sei die Region um Venedig aus sizilianischer Sicht etwas speziell- "Sie müssen wissen", erzählt sie dem Publikum, "das Veneto ist ein Gebiet mit so vielen Kirchen, wie in ganz Italien zusammen."
Nach der Pause wendet sich Etta Scollo dem Thema Krieg zu, singt ein Lied aus dem italienischen Widerstand, dem der spätere Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1951, Salvatore Quasimodi angehört hat. Aus Sizilien stammend hat der Lyriker mit "Alle fronde dei Salici - In den Zweigen der Weiden" ein höchst aktuelles Antikriegslied geschrieben. Etta Scollo trägt es als als weiteren musikalischen Höhepunkt vor, wird dabei vom Akkordeonisten Daniel Moheit expressiv begleitet.
Zum Schluss erzählt Etta Scollo noch die anrührende - und wie sie sagt - eigentlich recht "intime Geschichte", dass sie während der Pandemie vor allem darunter gelitten habe, niemand berühren zu können. Mit der Hand, mit der man Menschen "aus dem Meer retten", jemanden streicheln oder trösten könne - aber auch "eine Heizung reparieren" oder ein Regal aufbauen. Mit solchen "handfesten" Aktivitäten habe sie sich durch die Pandemie gerettet, interessanterweise in dieser Zeit aber überhaupt nicht musiziert.
Umso größer ist jetzt das Glück der Sängerin, von allen Einschränkungen befreit, endlich wieder auftreten zu können. Mit einem Programm, das nicht zufällig "Ora" heißt - sondern der Appell ist, mit neuem Mut das "Hier und Jetzt" tatkräftig zu gestalten. Lebensfreude, die sich von der Bühne direkt auf das Publikum überträgt und folgerichtig mit viel Beifall bedacht wird.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.04.2023, 7 Uhr
Beitrag von Hans Ackermann
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