#musikistkeinhobby | Carsten Münz und Kassettenricardo
Carsten Münz war schon vieles: Dachdecker etwa, oder Hausbesetzer, und er war auf Tour mit Andrea Berg. Jetzt ist er Sänger der Berliner Band Kassettenricardo, spielt mit 35 die ersten Konzerte seines Lebens und hört nicht auf zu träumen. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag
In der rbb|24-Reihe #musikistkeinhobby treffen Hendrik Schröder und Christoph Schrag jede Woche Musiker:innen aus der Region, die gerade auf dem Sprung nach oben sind - und ihre ganz besondere Message und Geschichte erzählen.
Ich stand vor knapp drei Jahren, also mit 35 Jahren das erste Mal überhaupt auf der Bühne. Mit meiner Band Kassettenricardo [Externer Link]. Ich habe zwar vorher schon mal Straßenmusik gemacht und mit Kumpels zusammen in der Küche gespielt, aber das waren immer nur so Anfänge, so richtig ist nie was dabei rausgekommen. Musik habe ich aber schon immer geliebt. Ich war auch bei Bandcastings, eine Band hatte mich sogar auch schon genommen, das hat dann aber doch nicht geklappt. Diese Erfahrung hat mich dann gehemmt. Ich kann nur auf die Bühne gehen mit etwas, mit dem ich mich 100% wohl fühle. Das kann ich wohl nur mit meinen eigenen Sachen, also wenn der Grundkontext von mir ausgeht. Mit der Gründung von Kassettenricardo hatte ich dann das erste Mal das Gefühl, mich wirklich ausdrücken zu können. Und das finde ich wahnsinnig schön. Bei Kassettenricardo ist eigentlich Tom der Bandleader, obwohl ich der Sänger bin. Aber er hängt sich total rein in alles und macht viel, damit die Band voran kommt, das reißt mich dann auch mit. Ohne ihn hätte ich vielleicht immer noch keinen einzigen Auftritt gespielt.
Einer meiner ersten eigenen Songs handelt von den inneren Dämonen, "Dämontiert" heißt der. Burn Out und Depressionen kennen ja viele heutzutage. Und darüber zu sprechen und das zu thematisieren ist in meinen Augen eine wichtige Sache. Darum geht es in diesem Song. Von diesem Gefühl, das man hat, wenn einen die eigenen Gedanken überrennen und zerfetzen und nicht mehr los lassen. Und wie man es schafft, aus diesem Strudel auch wieder rauszukommen und sich mit seinen Dämonen auch zu versöhnen. Weil: Die gehören ja auch zu Dir, die machen Dich ja am Ende auch zu dem, der Du bist. Musik ist da auch eine Bewältigungssache. Ich hatte den Text schon länger und dann haben wir gejammt im Proberaum und der Text passte einfach auf die Melodie und ich dachte, ok, anscheinend bin ich jetzt gerade an dem Punkt in meinem Leben, wo ich gewisse Dinge zu verarbeiten habe und habe das in die Zeilen gepackt.
Gebürtig komme ich aus Flensburg. In Hamburg habe ich ursprünglich Schifffahrtskaufmann gelernt und hab die großen Seeschiffe betreut. Aber das war nichts für mich, ich musste kündigen. Ich habe quasi im Hafen gewohnt, ein wahnsinnig aufreibender Job. Dann habe ich als Dachdecker gearbeitet, dann als Bootsbauer, dann habe ich Bühnentechnik gemacht und Bühnenbau. Ich war sogar mal mit Andrea Berg auf Tour und habe ihre Bühne aufgebaut. Es hat mich da schon immer in die Nähe der Musik gezogen, nur auf die Bühne habe ich es nicht geschafft.
Ich bin halt ein Mensch, der viel Freiheit braucht und sich immer selbst verwirklichen will. Es gibt nichts schlimmeres, als unseren eigenen Geist einzusperren und den in Kästen zu stellen und uns am Ende des Tages darüber zu ärgern, dass wir an Orten sind, an denen wir eigentlich gar nicht sein wollen. Und deswegen habe ich viel mitgenommen in meinem Leben. Ich hab in besetzten Häusern gewohnt, in Kollektiven gearbeitet. So bekommt man viel mit, wie man gerade durch Zusammenhalt und durch gegenseitigen Austausch viel erreichen kann und Verständnis lernen kann. Ich finde gerade jetzt müssten wir gesellschaftlich viel mehr zusammenhalten. Deswegen finde ich Musik auch so wichtig. Mit Musik erreichst Du die Leute ja regelrecht körperlich. Die empfinden dann mit, die machen sich Gedanken. Musik hilft, sich selbst besser zu spüren. Also alles um uns herum ist doch Klang und Frequenz.
Wenn ich mich frage, wo es mit meiner Band hingehen soll, muss ich sagen: Die Jüngsten sind wir ja alle nicht mehr, aber wir haben trotzdem den Traum, dass es weit gehen kann. Auf größeren Festivals zu spielen, vielleicht eine Agentur zu finden, eine Plattenfirma. Klar ist das ab einem gewissen Alter nicht mehr so realistisch, aber ich habe immer schon so gelebt, wie ich das gerne wollte und mache das noch immer und versuche immer, Dinge zu machen, die mir Spaß machen. Diese Band ist für mich auch ein wahnsinniger Katalysator. Wenn es mir schlecht geht, dann stelle ich mich ans Mikrofon und schreie, dann geht es mir besser. Wenn Du etwas hast, was Deine Seele antreibt, dann kannst Du das nicht mehr loslassen. Und dieses Gefühl auf einer Bühne zu stehen und die Leute anzutreiben, das ist einfach das Größte, was ich mir vorstellen kann.
Sendung:
Beitrag von Hendrik Schröder und Christoph Schrag
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