Theaterkritik | "Warten auf Godot" im Hans Otto Theater
Wer ist dieser Godot, auf den Didi und Gogo in Becketts berühmtem Stück warten? Seit 70 Jahren lädt dieser Klassiker dazu ein, über den Sinn des Lebens zu sinnieren. In Potsdam kann Fanny Brunner das schwierige Stück nicht ganz ins Heute holen. Von Barbara Behrendt
Irgendwie ist es dann doch fast eine Beckettsche Pointe: Die Kritikerin steckt wegen eines Polizeieinsatzes auf freier Strecke in der S-Bahn fest und kann das Warten kaum aushalten, möchte sie doch mit den Menschen im Theater auf Godot warten. Und als sie dann 40 Minuten zu spät, die alles oder auch nichts bedeuten können, just in dem Moment ins Theater trampelt, als auf der Bühne absolute Stille herrscht, packen die ersten Zuschauer:innen schon ihre Sachen. Die Einen haben genug gewartet, die Anderen an der falschen Stelle, die Dritten ... wer weiß es schon.
Das Warten auf der Bühne sieht traurig aus. Obwohl Gogo und Didi mit weißer Farbe im Gesicht zu Clowns geschminkt sind, hängen ihre grauen Bärte trist herab. Henning Strübbe als Gogo trägt freien Oberkörper und sieht ganz schmal und halb erfroren aus. Und das mitten im Schnee, der in kleinen Häufchen auf dem Boden liegt. Seine Stimme ist kurz vor dem Verlöschen: "Hilf mir dran zu denken, dass ich morgen einen Strick mitbringe."
Jon-Kaare Koppe als Didi ist da beherzter. Optimistischer. Er glaubt, dass Godot kommen wird. Warten auf Godot – das ist eine Lebensaufgabe: "Was machen wir hier? Das muss man sich fragen. In dieser ungeheuren Verwirrtheit haben wir das Glück, es zu wissen. Wir warten darauf, dass Godot kommt. Wir sind keine Heiligen, aber wir sind da. Wie viele Leute können das von sich behaupten?"
Pozzo und Lucky jedenfalls nicht. Dieses Gegensatzpaar zu den Clowns macht sich keine Gedanken über einen Godot oder einen anderen Existenzsinn. Es beschäftigt sich damit, Herr und Sklave zu spielen. René Schwittay gibt den dicken Pozzo als verblassten Las-Vegas-Kapitalisten ganz in weiß, mit Pelzmantel und Cowboyhut. Paul Wilms als nackter Lucky dagegen wirkt mit seiner Zottelmähne und dem dichten Bart wie ein Jesus-Märtyrer mit Nietzsche-Irrsinnsblick.
Als menschliches Zirkuspferd vertreibt Lucky nicht nur den Clowns die elende Wartezeit, sondern auch dem Publikum. "Tanze, zu Schwein!", befiehlt Pozzo. Und dann macht Lucky ein paar unmotiviert ausdruckstänzerische Bewegungen, wie Beckett sich das gewünscht hätte. Bevor Lucky in seinem zweiten Auftritt gegen den Kaktus pinkelt.
Genau, ein Kaktus. Das Bühnenbild versucht nämlich auf die hippe und lustige Tour mit dem Publikum zu sprechen. Statt des halbtoten Baumgerippes, das Beckett sich für sein Stück gewünscht hat, inspiriert von Caspar David Friedrich, steht hier ein Baumstamm so massiv und unverrückbar wie eine Walze. Und daneben: der Kaktus. Daran ein Zettel: "Nimm dir einen Spiegel und schau dir deine Vulva an." Aha. Vielleicht will das absurdes Theater sein – ziemlich genial wäre das, wenn Didi und Gogo tatsächlich eine Vulva unter ihren zu weiten Hosen präsentieren würden. Aber so ist es nicht. Und wir schweifen ab.
Auf der anderen Bühnenseite der Depri-Satz: "Nothing moves me anymore" – nichts bewegt mich mehr. Vermutlich: weder im Inneren, noch weg von diesem Ort. Darüber hängt eine gigantische Kartoffel, wohl ein Apokalypse-Meteorit kurz vor dem Einschlag auf die Erde.
Fanny Brunners Inszenierung bemüht sich also gleichzeitig um Lustigkeit und Tiefsinn und manche Szenen gelingen hier wirklich schön tiefschwarz. Die meiste Zeit aber changieren Didi und Gogo zu sehr zwischen Witzigkeit und Rührseligkeit, ohne dass es existenziell würde oder sie uns hier und heute näher angingen.
Da wird das Warten lang, selbst mit 40 Minuten Abkürzung. Es ist eben eine hohe Kunst, Langeweile auf der Bühne darzustellen, ohne zu langweilen. Man könnte auch sagen: ein Beckettsches Paradox.
Sendung: rbbKultur, 29.04.2023, 11:45 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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