Konzertkritik | Umstrittener Roger Waters in Berlin
Viel wurde im Vorfeld diskutiert über den ehemaligen Pink Floyd Musiker. Ihm wird unter anderem ein latenter Antisemitismus vorgeworfen. Manche forderten sogar ein Verbot der Shows. Nun aber fand das erste der beiden in Berlin geplanten Konzerte statt. Von Hendrik Schröder
Vorweg: Es sollte in diesem Artikel eigentlich um die Musik gehen. Es war genug berichtet worden über Roger Waters' politische Umtriebe, sein seltsames Weltbild, seine unangenehmen Äußerungen.
Zeit, über die Musik zu sprechen. Aber man kann bei Roger Waters Werk und Haltung und Auftritt gar nicht voneinander trennen. Denn er selbst lässt das nicht zu. Noch bevor es losgeht, kommt seine Stimme aus den Lautsprechern, die übersetzt sagt: Gleich beginnt die Show und übrigens, solltet ihr zu den Leuten gehören, die zwar Pink Floyds Musik gut finden, aber Roger Waters politische Einstellung ablehnen, dann "fuck off and go to the bar".
Also: Verpisst euch und geht zur Bar. Wow. Gleich am Anfang alle Fans zu bepöbeln, die nicht exakt seiner Meinung sind. Das muss man erst mal bringen. Eigentlich will man jetzt sofort wieder gehen. Denn wer einigermaßen Interesse daran hat, die politische Weltlage differenziert zu beobachten, kann unmöglich Roger Waters' Meinung sein. Die geschätzt 10.000 in der nahezu ausverkauften Mercedes Benz Arena klatschen lauten Beifall. Oh.
Dann geht es aber los und natürlich ist es gigantisch. Die Bühne liegt wie ein eingeschlagener Komet in der Mitte, da wo sonst die Stehplätze sind. Die Zuschauer sitzen drumherum. So sind natürlich viel mehr Leute viel näher dran. Sehen aber viel weniger, als bei herkömmlichen Aufbauten.
Roger Waters wechselt die vier Hallenseiten durch, auf jeder hat er ein Mikro stehen, was zur Folge hat, dass er drei Viertel der Zeit mehr oder weniger mit dem Rücken zu einem steht. Ein seltsames Konzept. Seine vielköpfige Band verteilt sich gleichmäßig auf die Ecken der Bühne. So steht quasi jeder Musiker alleine und für sich. Dadurch entsteht überhaupt keine gemeinsame Energie, man hat gar nicht das Gefühl, eine Band zu sehen.
Erst ganz zum Schluss kommen all' die Gitarristen und Backgroundsängerinnen zusammen an einen Fleck. Als würden sie drei Stunden brauchen, sich endlich zu finden.
Der Auftritt fühlt sich in weiten Teilen eher an, wie ein Videofilm mit Musikbegleitung. Denn über der Bühne hängt eine wirklich unfassbar riesige mehrteilige Videowand, die zu fast jedem Song Videoclips, animierte Filmchen, Bilder, Farben und nicht zuletzt politische Parolen zeigt und die alles, wirklich alles dominiert und zukleistert.
Irgendwann hat man viereckige Augen und ein kaputtes Gehirn von dieser visuellen Flut, weil man natürlich immer nur auf die Videowand glotzt und nicht auf den 20 Meter entfernten, mäßig attraktiven Rücken von Roger Waters.
Selbst zu einem so zarten Song wie "Wish you were here" laufen meterhohe Buchstaben und Bilder über die Leinwände und erklären die Entstehungsgeschichte des Songs und der Band Pink Floyd (aus der Sicht von Roger Waters) und ersticken allen Zauber der Musik mit Botschaften, Botschaften und Botschaften.
Derartiger Inszenierungsbombast wird selbstverständlich von Roger Waters erwartet und er liefert, aber eigentlich ist es schade, dass die Videotechnik so viel wichtiger ist, als alles andere. Denn Waters ist für seine Ende 70 echt fit, singt okay und turnt gut durch die Gegend, seine Band spielt so toll, als wären Pink Floyd nie aufgelöst worden.
Die vielen Pink Floyd Songs an diesem Abend wirken zeitlos gut, die fünf, sechs jüngeren Solo-Stücke reihen sich perfekt ein. Und doch dauert es fast zwei Stunden bis so etwas wie echte Stimmung aufkommt in der Halle. Bis die Leute aufstehen und aus sich herausgehen, singen und lachen.
Vielleicht liegt es aber auch am Dauerbombardement von einfältigen Botschaften, die man im Stakkato vor den Latz geknallt bekommt. Am Ende ist das hier ja doch viel mehr eine politische Gehirnwäsche als ein echtes Rockkonzert. Es geht gegen die USA. Unter anderem wird Ronald Reagan als Kriegsverbrecher dargestellt und Bilder und Videos von Krieg und Leid werden so geschickt ineinander montiert, dass der Eindruck entstehen kann, die USA und Israel seien für wirklich fast alles Leid auf der ganzen Welt verantwortlich, Russland wird nicht mal erwähnt. Es geht um Black Lives Matter, Menschenrechte, aber eigentlich vor allem gegen die USA.
Und es geht gegen den Kapitalismus. "Resist capitalism" steht auf der Videowand, Roger Waters reckt die Faust, die Leute jubeln. Auf einem Konzert, bei dem die billigsten Karten rund 90 Euro kosten und ein Mineralwasser 5,20 Euro ruft der Multimillionär Rockstar auf der Bühne zum Widerstand gegen den Kapitalismus auf.
Ist das jetzt lustig oder traurig? Es ist lächerlich.
Roger Waters gibt alles, um sein grandioses Werk als Künstler hinter ultraoffensiver, holzschnittartiger Politagitation zu verstecken. Das ist nicht neu, wirkt aber durch modernste Videotechnik noch geballter, noch aggressiver, noch unangenehmer.
Man fragt sich am Ende der fast drei Stunden Konzert, inklusive Pause, nur noch: Warum macht er das?
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.05.23, 8:10 Uhr
Beitrag von Hendrik Schröder
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