Konzertkritik | Sam Smith
Seit Sam Smith als non-binäre Person auftritt, hagelt es Hass im Netz, Morddrohungen auf offener Straße. Doch die Fans lieben Smith für den offensiven Umgang damit. Und für grandiose Live Shows, so wie am Montag in Berlin. Von Hendrik Schröder
"Ganz schön viele Heteros hier", sagen Zwei auf der Raucherterrasse kurz vor dem Konzert, "das hätten wir ja gar nicht gedacht". Ordentlich in Schale geschmissen haben sie sich, mit bauchfreiem Top, wallendem Abendkleid. Feuergebend klatschen sie mit einer Frau in Lack und Leder ab.
Ja, manche der Outfits an diesem Abend würden es auch mühelos in den KitKat Club schaffen. Glitzernde Pailettenmäntel sind dabei, durchsichtige Netz Shirts. Aber daneben auch Jeans, T-Shirt, Jogginghose. Sam Smith ist eben für alle, so scheint es.
Wer sonst schafft es, zig Millionen Tonträger, Downloads und Streams zu verkaufen, schnulzige Liebessongs zu singen, für eine an diesem Abend des 1.Mai quasi ausverkauften Mercedes Benz Arena zu sorgen und trotzdem ein bisschen wie ein Paradiesvogel zu wirken? Madonna vielleicht noch. Lady Gaga. Aber die hatten das Game gewissermaßen von der weiblichen Seite aufgerollt.
Jetzt aber zum Konzert. Sowas hat man ja noch nicht gesehen. Auf der Bühne liegt eine riesige Buddha-gleiche Statue, golden. 25 Meter lang und fünf Meter hoch, auf dem Bauch. Und aus dem Hintern der Statue, so sieht es zumindest von knapp vor der Bühne aus, steigt dann Sam Smith empor und grinst. Gekleidet in ein Mieder, das von einer Krawatte gehalten wird, in goldene Spandex Hosen, High Heels Stiefel, auf dem Kopf eine Kapitänsmütze.
Wie geil sieht das denn aus bitte? Die Band steht auch auf der Statue und rockt ordentlich los. Auch alle in goldfarbenen Anzügen, dass es glitzert und funkelt. Und dann kommt die Stimme und man möchte ja kurz ehrfürchtig die Luft anhalten. Klar, laut, durchdringend, selbstbewusst, dabei weich und warm. Man mag von Smiths Radioschnulzen halten, was man will, aber dahinter steckt ein Organ, was an manchen Stellen manchmal nicht von dieser Welt zu sein scheint.
21 Songs aus quasi allen vier Alben gibts an diesem Abend. Gerade die Sachen von der neuen Platte "Gloria" gehen ganz gut ab und live sind Show, Spiel und Party so dominant, dass auch die Schmalz und Schmonzetten Momente gar nicht groß stören. Klar, manchmal wird es ein bisschen viel, wenn Sam sich dann gespielt gedanken - und gefühlsschwer unten auf die goldene Statue setzt und im Duett mit Sängerinnen und Sängern aus der Band den zigsten Song mit irgendwas mit "love" darin spielt.
Aber gleich danach ist dann ja auch wieder Party angesagt und Smith kommt in neuem, immer monströser werdendem Outfit auf die Bühne. An einer Stelle in einem riesigen pinkfarbenen Wollmantel-Etwas, das aussieht, als ob es lebt. "Das ist hier euer Abend" , heißt es in einer Ansage und Sams Augenlider flattern lasziv dabei, "also feel free, wir haben hier einen safe Space". "Genau, geil, schön", grölt ein schon ordentlich angezündeter Mittvierzierger, der besitzergreifend seine Freundin im Arm hält und und reckt seinen Bierbecher gen Bühne als sei er bei den Toten Hosen. Genau so hat Sam Smith eventuell nicht gemeint, naja, aber der Gröler tut ja auch keinem was und weiter geht es.
Der Abend ist unterteilt in drei Akte. Love, Beauty und Sex heißen sie. Und zu jedem kommt Smith mit neuem Outfit. Und manchmal noch zusätzlich zwischendurch. Es hat wirklich Lady Gagaeske Dimensionen langsam. Irgendwann steht Smith im Ledertanga mit nacktem Hintern, da und wackelt den Po, die Ohrringe baumeln wild an den Ohrläppchen, es ist ein Schauspiel.
Sam Smith bekommt im Internet Todesdrohungen und auf der Straße Beschimpfungen für solche Auftritte. Und man fragt sich schon, wie klein, fragil und unsicher sich so manche da draußen in ihrer Identität fühlen, wenn sie so ein bisschen popkulturelle, bestens gelaunte, kreative und lebensfrohe Genderfluidität, die nichts als Wärme ausstrahlt, schon derart provoziert. Sam Smith ist mittlerweile viel mehr als Popstar, ist Ikone geworden, Role Model und Vorkämpfer:in.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 02.05.2023, 09:55 Uhr
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