Theaterkritik | "Der Bus nach Dachau" beim Theatertreffen
Die niederländische freie Gruppe "De warme Winkel" hat am Bochumer Schauspielhaus ein Stück übers Erinnern an den Holocaust inszeniert. Brisantes Thema, verschenkt durch die Inszenierung. Von Barbara Behrendt
Auch die allerletzten Zeitzeugen werden bald gestorben sein. Wie erinnern wir ohne sie an den Holocaust? Und was hat sich bis heute ins kulturelle Gedächtnis der jüngeren Generationen hinübergerettet? Eher hollywoodeske Erzählungen statt Auschwitz-Fotos und Zeitzeugenberichte? Zum Beispiel: Schindlers Liste?
"Man sollte verhindern, dass der Holocaust auch so wie der Trojanische Krieg endet", heißt es auf der Bühne, als die Schauspieler:innen um einen Tisch sitzen und diskutieren. "Homer hat den Trojanischen Krieg annektiert. Wenn wir über den Trojanischen Krieg reden, dann reden wir über seine Ilias. Und wenn zukünftige Generationen über den Holocaust reden, dann reden sie eigentlich über Schindlers Liste."
Ausgerechnet Steven Spielbergs Schindlers Liste. Ein Film, der den guten Deutschen zeigt, der Juden rettet. Fast 30 Prozent aller Deutschen glauben, diese Studie wird kurz zitiert, ihre Vorfahren hätten Jüdinnen und Juden gerettet – dabei waren es in Wirklichkeit nur 0,3 Prozent. So weit ist es mit der angeblich weltmeisterlichen deutschen Erinnerungskultur dann also doch nicht her. "Stanley Kubrick hat gesagt: Warum ist Schindlers Liste ein Film über den Holocaust? Es ist ein Film über Erfolg. Sechs Millionen Menschen wurden ermordet. In Schindlers Liste werden 600 gerettet."
Es ist also ein ungeheuer brisantes Thema, dass das niederländische Theaterkollektiv "De Warme Winkel" mit dem Ensemble des Bochumer Schauspielhauses auf der Bühne diskutiert. Nur leider springt die Gruppe dabei von einem halb ausgegorenen Gedanken zum nächsten. Bis nur lauter lose Enden bleiben.
Da ist zunächst einmal die Rahmenhandlung, die Ward Weemhoff einer Gruppe von Zuschauer:innen, die auf der Bühne sitzen, vorträgt, während auch wir im Saal lauschen. Als das KZ in Dachau im April 1945 von den Amerikanern befreit wird, holen alle Länder ihre Gefangenen ab – nur die Niederlande nicht. Bis einige Gefangene einen Bus mieten und auf eigene Faust nach Hause fahren, nur um dort von der Polizei behelligt zu werden, weil sie Quarantänevorschriften nicht beachtet hätten.
Über diesen "Bus aus Dachau" gibt es ein Buch, das Weemhoffs Vater in den 1990ern zum Anlass nimmt, ein Drehbuch über eine Rückkehr dieser Gefangenen zu schreiben, der "Bus nach Dachau". Der Film wird nie gedreht, doch der Sohn beschäftigt sich nun damit auf einer deutschen Theaterbühne.
Wie könnte man diese Rückkehr und die Rückschau auf die Zeit im Lager filmen? Naturalistisch? Oder doch lieber mit CGI, also mit computergenerierten Bildern wie bei Spielbergs Jurassic Park? "CGI ist eine große Gefahr für den Holocaust", warnt die Kamerafrau. "Das ist ein schmaler Grat. Heute ein T-Rex, morgen 50 computergenerierte Juden, die wir in der Gaskammer sterben sehen."
Die Inszenierung probiert beides in Filmsequenzen. Erst den Naturalismus: Gefangene in Sträflingskleidung auf ihren Pritschen, die um eine Kelle Suppe betteln. Und dann die Special Effects: Cartoon-Gesichter, die auf der Leinwand über die menschlichen gelegt werden.
Der Clou an diesen Filmaufnahmen: Sie werden in einem großen, für uns verschlossenen Würfel produziert, nur die fertigen Bilder dringen nach außen. Als sich die Box schließlich dreht und öffnet, ist sie komplett leer – ein fiktiver Raum, der sich nur durch die Kamera in den Ort des Leids verwandelt hat.
Weil die niederländische Gruppe die Kritik der Deutschen schon kommen sieht, nimmt sie sie vorweg: "Was ist das denn überhaupt für eine Idee? Nach Deutschland kommen und ein Stück über den Krieg machen? Ich geh doch auch nicht nach Holland und mach ein Stück über Käse!" Und: "In Deutschland sind wir doch schon 35 Jahre weiter mit unserer Erinnerungskultur! Das hat Adorno doch damals schon..." Bis zu: "Erinnerungsvergewaltigung!"
Das ist böse-ironisch, aber eben auch nicht zu Ende gedacht. Denn die großen filmischen Shoah-Verarbeitungen kommen ja gerade nicht aus Deutschland: die Serie "Holocaust" aus den 1970ern mit Meryl Streep ist wie "Schindlers Liste" eine amerikanische Produktion, Claude Lanzmanns "Shoah" eine französische. Vom Italiener Roberto Benigni stammt "Das Leben ist schön". Und die angeführten Beispiele zeigen auch: Es ist möglich, Bilder für die Erinnerung an den Holocaust zu finden.
So verständlich es ist, dass bei diesem Thema viele Fragen offen bleiben – die Inszenierung wirkt wie steckengeblieben in der zweiten Probenwoche: skizzenhaft, kurzschlussartig, ungenau, schwer zu entschlüsseln. Eigentlich kein Kandidat für eine bemerkenswerte Regieleistung.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.05.2023, 5.00 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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