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Quelle: dpa/J.Carstensen

Trends in Clubmusik

Zz-zz-la-la statt Tzz-bum-tzz

Elektronische Musik wird schneller und poppiger. Das zeigt eine Analyse des rbb|24-Datenteams. Welche Rolle Corona dabei gespielt hat und was das mit den Dancefloors und Künstler:innen in Berlin macht, versucht Haluka Maier-Borst zu verstehen.

Man könnte tanzen. Man kann aber auch meckern und rumstehen. Ist es (zu) langsam, heißt es "Schneckno". Ist es (zu) schnell und hart, nennt man es "Schranz". Doch egal, ob man es nun schranzig mag oder nicht, in den vergangenen Jahren hat sich elektronische Musik massiv verschnellert. Geübte Feierhasen und ihre Ohren wissen das natürlich. Genauso wie DJs, Produzent:innen, Veranstalter:innen. Aber das Phänomen lässt sich – jenseits von Geschmacksfragen – auch mit Daten untermauern. Und wenn man tiefer gräbt, gibt es noch die ein oder andere Überraschung in der Musik zu finden.

Das rbb|24-Datenteam hat für seine Analyse die Top-20 Tracks des Szenemagazins "Groove" genommen und diese von den Leser:innen gewählten Tracks der Jahre 2022 und 2016 mit verschiedenen Methoden verglichen. Dabei zeigt sich, dass – wie zu erwarten – die Tracks deutlich schneller geworden sind. Es hat sich die Anzahl der Beats Per Minute (BPM), also die Taktschläge pro Minute, gesteigert. Aber auch die Genres und der Aufbau der Tracks haben sich verändert.

Ein ziemlich anschauliches Beispiel dafür sind die beiden unter Groove-Leser:innen beliebtesten Tracks für das Jahr 2022 und 2016 . Während "Miss You" vom Produzenten und DJ Southstar bei einem Tempo von 145 BPM durch Vocals und Synthesizerklänge rast, ist der beliebteste Track aus 2016 geradezu langsam. Konstantin Sibolds "Mutter" läuft bei 129 BPM und ist geprägt von einem hypnotischen Sound, gänzlich ohne Gesang.

Selbst der Aufbau und die Länge (dazu aber später mehr) unterscheiden sich, wenn man sich den Verlauf der Lautstärke für beide Tracks anschaut. Während der Song aus 2022 kurz hintereinander einmal in der Energie hoch und runter schwingt, ist es bei Sibolds "Mutter" ein stetiges, langsames Auf- und Abebben über rund 10 Minuten. Und auch viele andere Tracks der Jahre 2022 und 2016 unterscheiden sich wie Tag und Nacht. Sie können sich davon auch selbst vergewissern. Nämlich wenn Sie in der folgenden, interaktiven Grafik sich Songs aussuchen und auf den kleinen Play-Button drücken.

Corona erklärt den Trend nicht wirklich

Wenn man mit Leuten in Clubs und auf Festivals darüber spricht, wieso es schneller zugeht, dann wird oft immer ein Grund genannt: Corona. Die These geht wie folgt: Während der Lockdowns, der Tanzverbote und dem reinen Tanzen im Wohnzimmer hat sich viel Energie aufgestaut. Und die will nun mit schnellen Tracks bedient werden. Aber lässt sich das wirklich so sagen?

Nein, zumindest nicht, wenn man sich die Jahrescharts der Groove anschaut. Denn schon 2019 waren die Tracks deutlich schneller als noch 2016.

Doch was ist dann vor Corona passiert, dass Clubmusik so anders geworden ist? Nun, seit September 2016 gibt es die App Tiktok. Seit 2017 auf Instagram das Feature der Stories. Beides dreht sich um kleine, kurze Videos, die im Feierkontext zu einer Art digitalen Trophäe werden. Nach dem Motto: Schaut, wie wild es dort war, wo ich heute war. "Und das Wilde siehst du einfach bei 135 BPM aufwärts mehr, da bewegen sich die Arme und Beine richtig", sagt Ersin Akgül von der Booking-Agentur Miracle Management, die zahlreiche Künstlerinnen und Künstler in Berlin vertritt. Das Phänomen hat sogar einen Namen: "Ravetok".

Auch dass in Berlin das Zukleben von Handykameras in vielen Clubs normal ist, um geschützte Räume zu erhalten, wirkt nur mäßig entgegen. Denn einerseits mag die Hauptstadt der Ort für elektronische Musik sein. Andererseits wird umso mehr an Video-Highlights von DJs und ihren Fans gepusht, wenn Partys in anderen Städten stattfinden. Oder die besonders Social-Media-Begeisterten posten in Berlin schlicht Clips, die mit zugeklebter Kamera aufgenommen wurden. Clips, in denen das Wummern, Stampfen, Dröhnen aus wahlweise Berghain, Tresor oder Kater Blau zu hören ist.

Ersin Akgül arbeitet als Booker und spürt wie Social Media die Clubszene beeinflusst. | Quelle: privat

Wie "shareable" muss eine Party sein?

Überhaupt ist der Einfluss von Social Media eine zweischneidige Sache, wie zum Beispiel die Berliner DJ Naomi bestätigen kann. Einerseits sei sie lieber auf Partys, bei denen die Handy-Kameras abgeklebt sind, die Leute nicht mitfilmen und alle sich voll und ganz auf die Musik einlassen. Andererseits sagt sie: "Klar, hilft es mir mehr für künftige Gigs, wenn Festivals und Clubs Ausschnitte von meinen Sets auf Social Media posten." Und das sagt sie als jemand, der in größeren Clubs wie Watergate und Tresor spielt und auch bei Streams von Arte und rbb vertreten ist.

Bei der Musik selbst sei für sie allerdings klar, dass sie sich nicht anpassen wird. Sie werde nicht anfangen, schneller zu spielen, um mehr "shareable" zu sein, ein anderes Genre vertreten. "Am Ende muss ich dahinterstehen können. Und außerdem merke ich ja, dass ich Leute mit Sets im Club für meinen beim ersten Eindruck ruhigeren Stil gewinnen kann", sagt Naomi. Entsprechend lässt sie auch einen Trend an sich vorbeiziehen, der sich in den letzten Jahren verstärkt hat. Der zu mehr Tracks mit Elementen aus Trance und Hard Techno.

Wie wir welche Tracks analysiert haben

Datengrundlage

Als Grundlage haben wir die Top 20-Tracks der Jahrescharts des Magazins "Groove" genommen [groove.de]. Wir haben uns bewusst für die Charts der Leser:innen entschieden, weil die wohl dem nahekommen, was gerade auf den Floors gefragt ist – und nicht dem, was DJs gerne spielen würden.

Charts von Spotify und Co. kamen für uns nicht infrage, weil diese vor allem die Hörgewohnheiten zu Hause abbilden. Auch Anbieter für elektronische Musik wie Beatport oder Bandcamp und deren Charts sind nur bedingt aussagekräftig, da womöglich ein Song nie offiziell releast wurde, aber beliebt ist.

Methodik

Wir haben die Länge der Tracks, die BPM, so wie das Vorkommen von Vocals selbst analysiert teils mithilfe der Library "Librosa". Bei den Genre-Klassifikationen haben wir auf die Library "Essentia" zurückgegriffen und dafür auf Hilfe von Kollegen vom SWR bauen können.

Alle Algorithmus-basierten Ergebnisse haben wir stichprobenweise gegengecheckt.

Schwächen und Stärken

Da wir ein Leser:innen-Ranking genommen haben, sollte der Geschmack des Publikums besser abgebildet sein als bei DJ-Charts. Gleichwohl kann es natürlich sein, dass einzelne Leser:innen mehrfach abgestimmt haben oder es Verzerrungen gibt, weil inzwischen ein anderes Publikum bei den Leserumfragen abstimmt.

Natürlich sind auch 20 Tracks pro Jahr keine sehr große Zahl für eine Analyse. Und denkbar ist auch, dass bei der Genre-Klassifikation die Algorithmen nicht gut genug sind. Darum haben wir unsere Ergebnisse mit Expert:innen in der Szene diskutiert. Einige davon kommen im Artikel zu Wort.

Trance ist zurück auf den Danceloors

Das Revival von Trance attestierte das Groove-Magazin [groove.de] schon bereits 2019. Und auch ein Modell mit künstlicher Intelligenz (KI), das der rbb gemeinsam mit dem SWR für die Analyse benutzt hat, bestätigt das.

Die KI versucht dabei Tracks verschiedenen Subgenres zuzuordnen, indem sie die Tracks mit der Datenbank von Discogs vergleicht. Für 2016 fand die KI neben klassichen House und Techno-Elementen noch vereinzelnt ruhigere Ambient-Elemente. 2019 dagegen gehörten bereits verschiedene Trance-Subgenres zu den zehn häufigsten von der KI erkannten Genre-Elementen. Und 2022 ist Trance endgültig neben Techno das dominierende Genre quer durch die Tracks.

Ersin Akgül hat für diese Dominanz von Trance und Hard Techno auch eine Erklärung, die doch ein wenig mit Corona und Lockdowns zu tun hat: "Viele von denen, die aktuell über 18 sind und die, die Clubs voll machen, haben während der Pandemie zu Hause Hard Techno-Versionen von Popsongs auf Tiktok gehört. Und entsprechend war das erstmal das, worauf sie jetzt feiern wollten." Social Media hat demnach nicht nur eine Bedeutung als Feiertrophäe aktuell. Sondern es hat wohl während der Pandemie auch maßgeblich den Geschmack der jüngsten Clubgänger:innen geprägt.

Harter bis tranciger Sound, schnelle Tracks und das zugehörige Publikum – das macht etwas mit der Szene. Zum Beispiel ob gewisse DJs gebucht werden. Oder eben nicht, wie eine andere Berliner DJ und Producerin erzählen kann. "Für gewisse Clubs komme ich im Moment gar nicht infrage. Ich spiele denen schlicht zu langsam", sagt DJ und Produzentin Intaktogene. Ihr Vorteil ist, dass es zum einen mit Kater Blau, Ritter Butzke oder der Wilden Renate nach wie vor mehr als genügend Clubs in Berlin gibt, die sie buchen. Und dass sie noch einen anderen Job hat.

Intaktogene merkt als DJ und Producerin, dass ihr Sound aktuell für manche Clubs zu langsam ist. | Quelle: privat

Auch Spotify und Co. haben einen Einfluss

Das Verlangen zu mehr Höhepunkten mehr Geschwindigkeit beim Clubmusik macht aber auch noch etwas anderes mit den Tracks. Die produzierte Musik wird kürzer. Und auch dieser Trend zeichnete sich bereits vor Corona ab.

Beeinflusst wird hier die elektronische Musikszene ebenfalls von der Popmusik. Streaminganbieter wie Spotify, Deezer, AppleMusic und Co. rechnen nicht nach gespielten Sekunden von Songs ab, sondern vollständigen "Plays". Also wie oft der Track bis zum Ende gehört wurde. Und die Chance dazu ist schlicht höher, wenn der Track selbst kurz ist und kein langes Intro hat.

In der Popmusik führt das inzwischen zu oft nur zwei Minuten langen Songs. Ganz so extrem ist es bei elektronischer Musik nicht. Trotzdem sagt Intaktogene, dass es die Art der Produktionen verändert. "Kein Mensch hört sich 10 Minuten lange Tracks zu Hause an. Darum 'belohnt' Spotifys Algorithmus Produzent:innen dafür, wenn man nicht so lange Tracks produziert und steckt einen auch in mehr Playlisten." Sprich nicht nur das Bezahl-Modell bevorteilt kürzere Tracks. Auch die Chance Nutzer:innen vorgeschlagen zu werden, ist bei kürzeren Tracks höher.

Überhaupt lässt sich festhalten, dass elektronische Musik sich wieder mehr Richtung Pop orientiert und zugänglicher wird. Die Algorithmen, die wir über die Tracks der Jahre 2016, 2019 und 2022 haben laufen lassen, attestieren der Musik eine größere Zugänglichkeit für die Allgemeinheit über die Jahre – wenn auch auf niedrigem Niveau.

Und es finden sich inzwischen auch mehr gesungene oder zumindest gesprochene Elemente in den Tracks, sogenannte Vocals. Auch etwas, das Musik oft zugänglicher macht.

Wie man diesen Trend bewerten möchte, das ist Geschmacksfrage. Die einen werden bemängeln, dass das langsame, präzise Aufbauen von Stimmungen in den Hintergrund tritt, wenn es nur noch ein Jagen von Highlight zu Hightlight ist. Dass man zu wenig Feiernde mit unbekannten Sachen überrascht und mehr auf bekannte Poptracks mit Elektrobeats setzt. Die anderen freuen sich darüber das Clubmusik zugänglicher ist und mehr Geschwindigkeit hat.

"Harter Techno und Trance haben auf jeden Fall seine Berechtigung. Es wäre ja auch unbefriedigend, wenn alle zur gleichen Musik tanzen würden", sagt die DJ Naomi. Trotzdem hoffe sie, dass sich auch wieder mehr Raum für House-Musik findet. Darum versucht sie ab Ende Juli eine neue Partyreihe für House in Berlin zu etablieren.

Ihre DJ-Kollegin Intaktogene glaubt auch, dass der Einfluss von Social Media auf die Musik abnehmen kann. "Ich sehe ja, dass Leute, die vor drei Jahren auf Gigs die ganze Zeit mit dem Handy rumgefilmt haben, inzwischen es weg lassen. Dass die merken, wie geil es ist, sich einfach nur auf die Musik einzulassen", sagt sie.

Um mehr Platz für House-Musik zu schaffen, startet die DJ Naomi nun eine eigene Partyreihe | Quelle: privat

Rechnen Hard Techno-Parties sich nicht?

Und vielleicht ändert sich bald wirklich wieder der vorherrschende Musikgeschmack. "Noch vor sechs Monaten war gefühlt jeder Hard Techno Event egal wo rappelvoll. Inzwischen ist das aber nicht mehr so ein Selbstläufer", sagt Booking-Manager Akgül.

Er erzählt auch, dass erste Veranstalter und Clubs bewusst sich gegen den Trend zu hartem Techno entscheiden – weil es sich nicht rechnet. Die Gagen von DJs, die schnellen und harten Techno spielen, hätten sich teils verdoppelt. Gleichzeitig sei das Publikum, das zu solchen Raves kommt, sehr jung, hat nicht so viel Geld. "Außerdem kommt noch der Drogenkonsum ins Spiel. Einfach gesagt, die bestellen zu wenig an der Bar und trinken zu viel Wasser, als dass es sich rechnet", sagt er.

Am Ende könnte also das Trendpendel bald wieder in die andere Richtung schwingen. Weil Geschmäcker sich ändern. Oder weil eben auch das liebe Geld eine Rolle in der Szene spielt.

Ach, und ganz zum Schluss sei noch ein Gerücht der Szene ausgeräumt. Und zwar vom Soundtechniker der Stadt sozusagen, Felix Kirsch, dessen Firma in vielen Berliner Clubs die Anlagen baut und betreut. "Dass harter Techno per se die Anlagen kaputt macht, das ist Quatsch. Am Ende kommt es egal bei welcher Musik darauf an, dass man die Technik nicht überreizt."

Sendung:

Beitrag von Haluka Maier-Borst

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