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Audio: Radioeins | 16.06.2023 | Marie Kaiser | Quelle: Bildagentur-online

Freier Eintritt am Wochenende

"Der Hamburger Bahnhof ist für alle da"

An diesem Wochenende lädt der Hamburger Bahnhof zu einem "Open House" ein, um das Museum als "Nationalgalerie für zeitgenössische Kunst" neu zu entdecken. Es winken freier Eintritt, eine neue Sammlungspräsentation, und Blicke hinter die Kulissen. Von Marie Kaiser

Manchmal müssen für einen Neuanfang jede Menge Wände eingerissen werden. So haben es die beiden neuen Direktoren des Hamburger Bahnhofs Till Fellrath und Sam Bardaouil gemacht. Die vielen weißen Stellwände, durch die die Kunst in der Dauerausstellung immer wie in einem "White Cube" wirkte, sind verschwunden. Nun strukturieren silberne Aluminiumwände auf Zementfundamenten, die Räume.

Dadurch wirkt die Sammlungspräsentation ein wenig wie eine Dauerbaustelle oder ein Güterbahnhof, auf dem demnächst Container verladen werden.

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Wir nennen das "ehrliche Architektur"

"Es war wichtig für uns, den Umgang mit Architektur komplett zu überdenken", erklärt Sam Bardaouil. "Kunst lebt nicht im White Cube, sondern im Kontext des Lebens. Das Gebäude war einmal ein Bahnhof. Anstatt also diese Architektur zu ersticken und zu verbergen, wollen wir den Ort in seiner ursprünglichen Bestimmung annehmen und mit ihm in einen Dialog treten. Wir nennen das 'ehrliche Architektur'."

Dass alle, die den Hamburger Bahnhof besuchen, immer im Hinterkopf behalten, dass hier einmal Züge abgefahren sind, dafür sorgen die beiden Direktoren mit einer eigenen kostenlosen Ausstellung direkt hinter dem Museumsshop. Mit zahlreichen Fotos und Dokumenten wird hier die Geschichte eines der ältesten Bahnhöfe Deutschlands erzählt, der lange an der Trennlinie zwischen Ost und West stand und 1996 zum Museum wurde und eine wichtige Rolle gespielt hat beim Aufstieg Berlins zur Kunststadt.

"Wir möchten, dass die Menschen den Hamburger Bahnhof in ihren Herzen verankern"

Mit kostenlosem Eintritt ins Museum für alle wollen Till Fellrath und Sam Bardaouil nun an diesem Wochenende ihren Neuanfang im Hamburger Bahnhof feiern. Und Gründe zu feiern, gibt es wirklich genug. Nach dem Verlust der Sammlung Flick, nach dem langem Zittern darum, ob ein Immobilienspekulant die Rieckhallen abreißt und hier Eigentumswohnungen baut, ist das Land Berlin im November 2022 eingesprungen und hat den Hamburger Bahnhof für die Hauptstadt gesichert.

"Wir wollen uns bei der Öffentlichkeit wirklich bedanken für den Ankauf der Gebäude mit öffentlichen Mitteln und deswegen möchten wir ganz bewusst ein Zeichen setzen, dass der Hamburger Bahnhof auch wirklich für alle da ist.", erklärt Fellrath. "Wir möchten, dass die Menschen das Museum in ihren Herzen verankern.

Quelle: rbb/Marie Kaiser

Picknick, Techno und Wände anmalen

Die Menschen können hierher kommen, auch wenn sie noch nie im Museum waren oder Berührungsängste mit zeitgenössischer Kunst haben." Die Besucherinnen und Besucher dürfen an diesem Wochenende nicht nur Kunst gucken, sondern auch im Innenhof picknicken, zu Techno-Beats tanzen oder sich in einer "Silent Drawing Disco" austoben Museumswände bemalen.

Bei Führungen an die geheimen Orte des Museums, können die Depots, die Restaurierungswerkstatt oder das Büro der Direktoren entdeckt werden. Auch all jene, die den Hamburger Bahnhof gut zu kennen glauben, sollten sich das nicht entgehen lassen. Denn dem neuen Direktorenteam gelingt mit der neuen Sammlungspräsentation ein echter Neustart. Sie zeigen, dass der Hamburger Bahnhof, der von nun an "Nationalgalerie für zeitgenössische Kunst" heißen wird, wirklich im 21. Jahrhundert angekommen ist.

DDR-Einflüsse in der Sammlung

Insgesamt 59 Künstler und Künstlerinnen sind Teil der neuen Dauerausstellung. Darunter viele vertraute Namen wie Joseph Beuys oder Martin Kippenberger. Doch Till Fellrath und Sam Bardaouil haben sich dafür entschieden, die Sammlung zu öffnen und durch Arbeiten aus anderen Sammlungen zu ergänzen. Durch Leihgaben vom Institut für Auslandsbeziehungen weiten sie unseren Blick und zeigen Kunst von Menschen, die in Berlin leben, aber eigentlich in Nigeria, im Libanon, in der Türkei, Korea oder im Kosovo geboren sind. Es wurden auch 18 Arbeiten neu angekauft - darunter viele von Künstlerinnen.

Was schon auf ersten Metern positiv auffällt: Der Auftakt der Ausstellung wurde gestaltet von Künstlerinnen und Künstlern, die in der DDR geboren wurden. "Der Hamburger Bahnhof befindet sich direkt neben dem ehemaligen Grenzübergang Invalidenstraße neben der Berliner Mauer. Hier ist das erste Maueropfer zu beklagen gewesen bei einem Fluchtversuch: Günter Litfin." , sagt Till Fellrath. "Es um Fragen wie: Wie stark sind Menschen mit Biografien in Ostdeutschland in der Sammlung vertreten? Und da gibt es noch sehr, sehr viel Arbeit. ich glaube schon, dass wir in den nächsten Jahren dahin kommen werden, dass der Hamburger Bahnhof am Ende so aussieht wie die Stadt, in der wir leben und arbeiten. Das muss unser Ziel sein. Und das ist natürlich auch ein Anspruch für uns, dass wir uns dafür einsetzen müssen, diese Grenzen und diese Teilungen zu überwinden, hier in der Nachbarschaft, aber auch in unserer Gesellschaft."

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Ein Kokain-Berg und ein Mülleimer als Skulptur

So werden wir in der neuen Sammlungspräsentation von Stillleben des Fotografen Manfred Paul empfangen, die echte Berliner Geschichten erzählen. Manfred Paul hat dafür in den 1980er Jahren in Wohnungen in Prenzlauer Berg kleine private Dinge fotografiert. Vom auf einem Stuhl zusammengeknüllten Paar getragener Socken bis zur angebissenen Birne. Auch manche Arbeit aus den 1990er wirkt noch sehr gegenwärtig.

Mit seiner Skulptur "Mountain of Cocaine" schenkt der Künstler Georg Herold dem vergleichsweise platten Berlin immerhin einen Kokain-Berg. Die schwedische Künstlerin Klara Lidén holt einen orangenen BSR-Mülleimer mit dem Spruch "Krassere Öffnungszeiten als dein Späti" als Skulptur ins Museum. Schnell wird klar, dass es der neuen Sammlungspräsentation vor allem darum geht, die Stadt Berlin mit allen Zumutungen und Freiheiten, die damit einhergehen, hier zu leben, zu spiegeln.

Die Geschichte der Kunststadt Berlin neu erzählen

Auch wer verstehen will, wie Berlin sich als Kunststadt entwickelt hat, kann das hier erfahren, das war Sam Bardaouil ein echtes Anliegen: "Es gibt in Berlin kaum einen Ort, an dem man sich einen Überblick darüber verschaffen kann, wie sich Berlin als Kunststadt entwickelt hat. Oder welche Kunstströmungen in Berlin entstanden sind, die andere Künstlerinnen und Künstler in der ganzen Welt beeinflusst haben. Die Sammlungspräsentation ist wie eine Neuerzählung der Geschichte. Die Geschichte der Stadt Berlin, aber auch die Geschichte der Kunstszene in Berlin".

Sendung: rbb 88.8, 16.06.2023, 9:03 Uhr

Beitrag von Marie Kaiser

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