Konzertkritik | Danger Dan feiert Geburtstag in der Wuhlheide
Danger Dan feierte mit 15.000 Fans in der Wuhlheide seinen 40. Ein Abend voller überraschender Wendungen und ein Geburtstag, den Berlin so schnell nicht vergessen wird, meint rbb24-Reporter Jonas Wintermantel.
Eine gute Geburtstagsparty ist eine Kunst für sich. Gäste, Musik, Deko, Rausschmeißer - alles muss passen, sonst droht der Reinfall. Vor allem aber braucht es die Überraschung, das Unerwartete. Dass Danger Dan auch diese Kunst beherrscht, stellt er an diesem Abend in der Wuhlheide unter Beweis.
Das Konzert vor fast 15.000 Menschen ist für Danger Dan die Krönung einer langen musikalischen Karriere. Der Höhepunkt, den vor zwei Jahren so niemand erwartet hätte - am wenigsten das Geburtstagskind selbst, das für die erste Auflage seines Klavier-Albums "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" gerade einmal 500 Exemplare hatte pressen lassen. Es sollte ihn an die Spitze der deutschen Charts katapultieren und ihm ein ganz neues Publikum erschließen. Der Danger Dan, der als Rapper mit seiner Antilopen Gang einst in linksautonomen Jugendzentren spielte, zieht heute auch das ältere, bürgerlichere Publikum an.
Auf dem langen Weg zur Parkbühne mischt sich das alte und das neue Publikum zu einem bunten Potpourri. Punk trifft Grönemeyer trifft Hip Hop, könnte man meinen - einige Paare Doc Martens marschieren durch den Schotter, plötzlich saust eine Rikscha vorbei, auf der sich ein älteres Ehepaar zum Konzert fahren lässt. Ein Mann mit schwarzem Festival-Shirt ruft "Wir sitzen links, wo sonst?". Aus den Boxen dröhnt ein Danger Dan-Song – alle singen mit – und werden es auch die nächsten vier Stunden noch gemeinsam tun.
Pünktlich um 19 Uhr soll es beginnen, das "größte und längste" Geburtstagsfest von Danger Dan in der Parkbühne Wuhlheide. Eine Vorband gibt es nicht – stattdessen ist eine Feier mit "all meinen Freundinnen und Freunden" geplant. Wer genau das sein wird – das ahnt jetzt noch niemand. So ganz pünktlich geht es dann doch nicht los – das wäre ja auch etwas spießig für einen Künstler wie Danger Dan. Um 19:20 Uhr beginnt das Fest mit einer (nicht ganz ernsten) Zaubershow von Siegfried und Joy – am Ende halten fast 15.000 Menschen in der Wuhlheide die Mittelfinger in die Höhe. Der Trick ist gelungen – und mit ihm das erste Statement dieses Abends. Ein bisschen Punk muss sein – auch mit 40. Die Gäste sind bereit für das Geburtstagskind.
Endlich öffnet sich der Vorhang und Danger Dan steigt das große Podest zur Bühne hinab. Standing Ovations darf er sich schon vor dem ersten Song abholen – mitsamt Geburtstagsständchen. Der Musiker ist sichtlich gerührt, als er die ersten Akkorde auf seinem Klavier anstimmt. Er sitzt allein, ganz vorne auf der Bühnenzunge im Scheinwerferlicht und singt "Lauf davon" - ein Lied übers Neu-Anfangen, das sich wie ein Rückblick auf sein Leben anhört. Tausende in der Parkbühne stimmen mit ein. Und biografisch geht es weiter. Mit "Ingloria Victoria" und seiner Abrechnung mit dem Schulsystem, das Kinder nach preußischer Tugend zu robotergleichen Rädchen im System mache – Danger Dan selbst hat elf Mal die Schule gewechselt. Die Non-Konformität, das Nicht-Hineinpassen, das ist ein Motiv seiner 40 Lebensjahre, das auch an diesem Abend immer wieder durchscheinen wird.
Was folgt, ist eine Reise zu den großen Stationen in Danger Dans Leben. Und die begeht er nicht allein. Er singt ein Duett mit "Prinzen"-Frontmann Sebastian Krumbiegel über die Vergänglichkeit der eigenen Idole (in diesem Fall: Die Prinzen) und lässt seine alte Reggae-Formation, das "Cheer Up Trio" wieder aufleben. Von dieser Band habe er singen gelernt meint Danger Dan - zusammen singen sie dreistimmig "Life is a journey, journey, journey!" - wie wahr. Und bevor man sich noch über den harten Bruch im Genre wundern kann, steht da die Antilopen Gang auf der Bühne - Danger Dans Rap-Trio, das unzertrennlich auch mit seinem Solo-Werk verbunden ist. Mitsamt großartiger Band im Hintergrund bringen sie die Wuhlheide für 40 Minuten zum Glühen. Spätestens beim letzten Antilopen-Song "Presslufthammer" tanzen auch alle Zuschauer auf den Rängen. Über dem Moshpit vor der Bühne steigt eine Staubwolke auf. Und Danger Dan? Der hat die 40 Jahre offensichtlich schon ausgeblendet und setzt zum Crowdsurfing an.
Nach über einer Stunde scheint die Wuhlheide zu kochen. Zeit zum Durchschnaufen. "Ich bin jetzt 40, ich muss mich ausruhen!" ruft Danger Dan der Menge zu. Das Geburtstagskind setzt sich an die gedeckte Tafel – zu Kippen und Torte – und eine weiße Tür erscheint auf der Bühne. Wer dachte, das Konzert wäre am Höhepunkt angekommen, wird erneut überrascht: denn nun geben sich Danger Dans musikalische Weggefährten buchstäblich die Klinke in die Hand:
Nach und nach schlüpfen Charlotte Brandi, Mine, Juse Ju, Fatoni, Arnim von den Beatsteaks und Großstadtgeflüster durch die Tür. Sie alle performen Danger Dan zu Ehren ihre Songs – und die 15.000 in der Wuhlheide sind mit dabei. So hoch die Erwartungen an diesen Abend auch sein mochten, mit diesem Aufgebot hatte wohl niemand gerechnet. Aus der Geburtstagsfeier ist ein Festival geworden, dass nun seinem ersten Höhepunkt entgegenjagt: Ja, tatsächlich - Fettes Brot mit "Jein", dem einen Song, der auf keinem 40. Geburtstag fehlen darf.
Nach all diesen Acts ist das Energie-Level so hoch, dass man sich fragt, wie der Gastgeber den Bogen zurück zu seinen intimen, ruhigen Klavier-Songs schlagen will. Er schafft es und hält inne für die erste lange Ansprache des Abends. Er spricht von der Kunstfreiheit und von ihrer tragischen Geschichte in diesem Land – von den verfolgten und ermordeten Künstlerinnen und Künstlern, den brennenden Büchern. Davon, dass das so etwas nie wieder passieren darf. Die Menge schreit "Nazis raus!".
Es folgt: die nächste Überraschung. Plötzlich taucht ein ganzes Orchester hinter dem Vorhang auf – allesamt in weinrote Danger Dan-Bomberjacken gekleidet. Sie spielen das Stück "Mein Vater wird gesucht", eines von der SS verfolgten Künstlers. Das Publikum, das einige Momente zuvor noch im Staub getanzt hat, liegt sich nun in den Armen und lauscht einer traurigen, wunderschönen Melodie. Der Gastgeber setzt ein Zeichen inmitten einer wilden Fete.
Inzwischen ist es 22 Uhr, die Parkbühne ist in tiefes Rot getaucht und das Klavier ist wieder auf der Bühne. Begleitet vom Orchester und seinem Freund, dem Pianisten Igor Levit, spielt Danger Dan die letzten, ruhigen Lieder des Abends. Bloß um dann, auf dem letzten Höhepunkt dieses einzigartigen 40. Geburtstags, den Song anzustimmen, der ihn im ganzen Land bekannt machte: "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" - irgendwie das inoffizielle Motto dieses Abends.
"Das war der schönste Geburtstag meines ganzen Lebens", schreit der Musiker seinen 15.000 Gästen entgegen. Nach drei Stunden inklusive einiger Zugaben ist die Party vorbei, auch wenn der Rausch noch lange nachhallen wird. Danger Dan hat an diesem Abend alle Erwartungen übertroffen. Aus dem Geburtstagsfest ist ein Festival geworden. Hoffen wir, dass er noch Energie für das zweite Konzert am Samstag übrig hat.
Sendung: radioeins, 03.06.2023, 17:40 Uhr
Beitrag von Jonas Wintermantel
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