Theaterkritik | Uraufführung am Berliner Ensemble
Die georgische Theater- und Romanautorin Nino Haratischwili hat fürs Berliner Ensemble eine neue Fassung des antiken Phädra-Mythos geschrieben: "Phädra in Flammen". Die Emanzipations- und Liebesgeschichte einer Frau in den Wechseljahren – leider mit arg stereotypem Personal.
Phädra – das ist der Name jener Frau in der Mythologie, die sich in ihren Stiefsohn verliebt, ihn aus Scham der Vergewaltigung bezichtigt und sich das Leben nimmt. Keine einfache Geschichte, keine einfache Figur. In Nino Haratischwilis Fassung bleibt davon nicht viel: Phädra verliebt sich in ihre zukünftige Schwiegertochter, die sich vorher unsterblich in Phädra verliebt hat und sie zu verführen sucht. Das verbotene Begehren, das im Mythos vom Stiefsohn entsetzt von sich gewiesen wird, wird hier ausgelebt – als homosexuelles Begehren.
Nino Haratischwili erzählt eine Emanzipationsgeschichte einer Frau in den Wechseljahren: "Phädra in Flammen", der Titel gibt den entscheidenden Hinweis.
Sie ist zwar stolze Königin, darüber hinaus jedoch nichts als die Frau an der Seite des Machthabers, der mit so vielen Frauen schläft, wie er will bzw. noch kann in seinem fortgeschrittenen Alter. Phädra findet mit der jungen Persea ins Leben und in ein unverhofftes Glück – während ihr Mann an seiner Macht klebt und dem Sohn den Weg zum Thron wohl niemals freiräumen wird.
Wichtig ist jedoch auch der zweite neue Handlungsstrang: Der König lässt zu, dass der Hohepriester die Gesellschaft in einen fanatischen Glauben treibt, der Menschenopfer fordert und Homosexualität als Frevel gegen die Götter wertet. Leicht vorhersehbar also, dass die lesbische Liebesbeziehung in der Katastrophe enden muss.
Auf der leeren Bühne liegt roter, also brennender Sand in einer rechteckigen Vertiefung, die an ein Schwimmbecken erinnert – die Annäherungen der Frauen spielen sich schließlich in der Therme ab. Drei Wände begrenzen den Raum und werden mit Videobildern bespielt: Wenn Phädra eine Wutrede auf ihr versäumtes Leben und ihren Gatten hält, brennen die Wälder; wenn’s brenzlig wird, kämpfen Hunde; wenn Verrat geübt wird, kriecht eine Schlange durch die Steppe. Nicht gerade subtil.
Die niederländische Filmregisseurin Nanouk Leopold macht sich allerdings auch für die Geschichte, für die Figuren und ihre Gefühle stark – ohne sich mit Regieeinfällen dazwischen zu drängen. Immerhin.
Das größte Ereignis und eines der wenigen Argumente, die für die Inszenierung sprechen, ist Constanze Becker in der Rolle der Phädra. Sauertöpfisch und ratlos guckt sie aus ihrem schrecklichen pinken Talar-Kostüm heraus. Die Enttäuschung über das in ihren Augen verschwendete Leben liegt genau so in ihrer Stimme wie die rasende Wut über ihren goldenen Käfig. Trotzdem stattet sie die Figur mit dem galligen Humor der erfahrenen Frau aus. Später bleibt nur Verzweiflung, als sie erfährt, dass ihre Geliebte von Hunden zerfleischt wird. Zuletzt ist da nichts als Apathie.
So schön es ist, dass überhaupt einmal die Frau in den Wechseljahren eine tragende Rolle spielt, interpretiert von einer so großen Schauspielerin – es ändert nichts an der stereotypen Figurenzeichnung innerhalb des Stücks: die desillusionierte Frau in der Midlife-Crisis, die junge, emanzipierte Befreierin, der verzärtelte Sohn und der harte Sohn, der machtgeile Priester; und selten hat man eine lächerlichere Karikatur eines Königs gesehen als der im tiefsten Bass brüllende Theseus, gespielt von Oliver Kraushaar, mit umgehängtem Bärenfell.
Intelligente Frauen, die sich lieben, versus karrieregeile, dumme Männer – nicht schwer zu erraten, für wen unser Herz schlägt. Aber eben auch langweilig in der Gut-Böse-Dichotomie. Es ist immer wieder aufs Neue verwunderlich, wie eine geniale Romanautorin wie Nino Haratischwili, die in ihren epischen Familiengeschichten ausgefeilte, glaubhafte, dichte Romanfiguren erfindet, in ihren Bühnentexten derart holzschnittartig bleibt. (Der Text ist im Verlag der Autoren auch als gedrucktes Buch erschienen.)
Doch nicht nur das. Haratischwili überschreibt den Phädra-Mythos, belässt ihn dabei aber zeitlich und sprachlich (bis auf ein paar Schimpfworte) in einer unbestimmten Antike. Sie holt ihn also gerade nicht in die Gegenwart. Andererseits ist es ihr und dem Theater wichtig, auf die Entstehungsgeschichte und die politische Dimension des Stücks hinzuweisen: Sie begann zu schreiben, nachdem in ihrer Heimat Georgien 2021 die "Pride Week" gewaltsam verhindert wurde – mithilfe von Ausschreitungen, die von der orthodoxen Kirche angefacht worden sind. Die Homophobie und der religiöse Fanatismus, der im Stück Menschenopfer fordert, soll also auf die Gegenwart verweisen.
Als politische Gesellschaftsanalyse taugt diese Schwarzweiß-Zeichnung jedoch am allerwenigsten – dafür müssten die Hintergründe der Radikalisierung in irgendeiner Form beleuchtet werden. Als tragische Liebesgeschichte mag der Abend noch am besten aufgehen. Allerdings als eine (Stichwort Menschenopfer), die wenig über sich selbst hinausweist.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 03.06.2023, 8:40 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
Artikel im mobilen Angebot lesen