Feministisches Festival am Hebbel am Ufer
"Protagonistas! Resistance Feminism Revolution" heißt das neue feministische Festival am HAU. Ein Format mit klarer politischer Botschaft – und einem starken performativen Auftakt, findet Barbara Behrendt
Mit "Protagonistas", erklärt die Kuratorin Margarita Tsomou in ihrer Eröffnungsansprache am Hebbel am Ufer (HAU), seien nicht nur die Protagonistinnen auf der Bühne gemeint, sondern die Wortführerinnen jener Bereiche, die durch die patriarchale Ordnung gestört worden sind. Zusammenbrechende Wirtschaftssysteme, die ökologische Krise, staatliche Gewalt, Kolonialismus – alles Dinge, heißt es, die durch das Patriarchat erst ermöglicht worden sind.
Die internationalen feministischen Kämpferinnen, vor allem in den südlichen Teilen der Welt, sagt Tsomou, halten es deshalb nicht für sinnvoll, einfach ihren Teil des Kuchens zu fordern – sie wollen den Kuchen neu backen. Das Festival gibt sich damit eine klare politische Ausrichtung, die von der Kunst eher flankiert und unterstützt wird. Wie immer am HAU legen die Festival-Macherinnen das Augenmerk auf Diskurs, Vorträge und Theorie.
Eröffnet hat das Festival jedoch mit zwei künstlerischen Performances. "Canciónes para Cocinar" ("Lieder zum Kochen") vom feministischen chilenischen Kollektiv Lastesis entpuppt sich dann als aktivistisches Konzert mit Diskurs-Vermittlung. Dafür stehen Lastesis, seitdem sie 2019 die Intervention "Ein Vergewaltiger auf deinem Weg" ins Leben gerufen haben – jener feministische Protestsong, der viral ging und den Hunderttausende Frauen in 50 Ländern auf den Straßen performt haben, auch in Berlin.
Damit wirkten Lastesis auf die Revolte in Chile ein, die ein Jahr später zum Referendum für eine Verfassungsänderung führte. Ein starkes Zeichen, wie aus den Mitteln der darstellenden Kunst, also: mit vielen Körpern, gesellschaftlicher Widerstand entsteht. Ganz nach dem Namen des Kollektivs: "Lastesis" bedeutet "Die Thesen" – die Gruppe möchte feministische Theorien mithilfe der Kunst in Widerstand verwandeln.
"Canciónes para Cocinar" nun ist ein 40-minütiger aktivistischer Beitrag. Drei Performerinnen stehen an einer Mischung aus Küchentisch (mit Wachstuch und Kochtopf) und Turntable (mit DJ-Pult) und vertonen Texte zur feministischen Revolte. Dabei entstehen elektronische Songs mit Widmung – etwa an die vielen Frauen, die zu einer heimlichen Abtreibung gezwungen sind. Oder jene, die ihr Zuhause wegen Gewalterfahrungen als unsichersten Ort der Welt erleben.
Das ist keine große Kunst, hat jedoch Ermächtigungsdrive. Ein starker Auftakt am falschen Ort: Nicht in den andächtigen Theatersaal des HAU gehört dieses Konzert, sondern auf die Straße, auf den Vorplatz, zum tanzen, skandieren, protestieren. Die Fête de la Musique, die am Mittwoch auf allen Berliner Straßen zu Konzerten eingeladen hat, bot dafür eigentlich die Steilvorlage.
Marina Oteros Deutschlandpremiere von "Fuck me" gelang im Anschluss nicht nur politisch sondern auch ästhetisch beeindruckend. Denn die argentinische Tänzerin, Choreografin und Regisseurin inszeniert mit unglaublich viel Power und Herzblut – schonungslos, hoch emotional, pathetisch, jedoch auch komisch und selbstironisch. Und: autobiografisch.
Schon der Auftakt ist elektrisierend: Fünf junge Männer stehen von ihrem Platz im Zuschauer:innensaal auf, ziehen sich nackt aus, bis auf die Stiefel, und rennen auf die rot erleuchtete Bühne. Von Null auf Hundert zeigen sie mit ihren perfekt durchtrainierten Körpern Hochleistungstanz mit extrem harten Sprüngen: aus der Luft direkt in den Spagat oder brutal auf die Hüftknochen. Sie zeigen jedoch auch drastische Gesten, die an sexuelle Erniedrigung erinnern und nicht klassisch männlich wirken. Dazu sehnsuchtsvolle argentinische Musik.
Erst dann setzt sich Marina Otero steif an den Bühnenrand und erklärt: sie habe diese Männer gecastet, damit sie das tanzen, was sie selbst früher getanzt habe, bis zu ihrer schweren Wirbelsäulenverletzung. Die Arbeit ist schon einige Jahre alt, inzwischen geht es Otero besser. Doch noch immer nennt sie sich „die Tänzerin, die nicht tanzt“.
Selbstverständlich zeigt sie in "Fuck me" den Drill, den sie durch die Tanzindustrie auf sich selbst ausgeübt hat. Verfremdet durch die sie stellvertretenden Männerkörper wird das ungeheuer plastisch. Darunter jedoch geht es um Liebe, um Begehren, um das Altern, die Vergänglichkeit. Auch um einen Teil ihrer Familiengeschichte – ihr Großvater war in die Machenschaften des argentinischen Militärs verwickelt.
Dazu zeigt sie krasse Bilder. Der Titel "Fuck me" bezieht sich auf die Zeit, als Otero derart von Schmerzen geplagt wurde, dass ihre Libido völlig verschwand. In einer Videoaufzeichnung vor der Operation feiert sie noch das Begehren: die Performer nehmen sich ihren Körper und fallen (andeutungsweise) über ihn her.
Doch auch hinter diesen Szenen liegt Schmerz, eine Trauer darüber, den Körper und die Erinnerungen des Körpers im Laufe des Lebens zu verlieren, da mit ihm immer weniger möglich ist. Eine unbedingte, tiefe Lebenslust ist hier ebenso stark spürbar wie ein Dominanzgebaren, die Herrschaft über den Körper. Eine ganz eigene feministische Selbstermächtigung, die Otero am Wochenende mit ihrer Arbeit "Love me" am HAU fortführt.
Sendung: rbb Kultur, 22.06.2023, 07:45 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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