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Interview | Dota Kehr
Die Sängerin Dota Kehr hat Texte der Dichterin Mascha Kaléko vertont – und das bereits zum zweiten Mal. Ein Gespräch über Großstadtlyrik, Intuition und ein ganz anderes Gefühl von Verantwortung.
rbb: Frau Kehr, Mascha Kaléko hat ihre Gedichte Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben. Was fasziniert Sie daran?
Dota Kehr: Sie hat viele Texte über Berlin geschrieben. Das ist vielleicht auch eine Verbindung zwischen uns. Nicht umsonst wird sie der Neuen Sachlichkeit zugerechnet, gerade auch in romantischen Dingen hat sie so etwas ganz Analytisches, manchmal etwas leicht Spöttisches. Sie ist sehr emanzipiert durchs Leben gegangen und hat einfach viele sehr berührende Texte geschrieben.
Normalerweise schreiben Sie Ihre Texte selbst. Warum haben Sie sich dafür entschieden, sie für das neue Album Gedichte zu vertonen?
Ich fand das spannend mit Texten aus der Vergangenheit zu arbeiten. Und ganz abgesehen davon, dass ich ihre Texte so gut finde, fand ich es auch schön, mal eine andere Zeitebene zu erzählen. Viele ihrer Texte sind sehr zeitlos und man merkt gar nicht, wann sie geschrieben wurden. Und dann gibt es ab und zu mal Stellen, wo es dann sehr klar wird.
Zum Beispiel?
In dem Gedicht "Großstadtliebe" erzählt sie von den alltäglichen Problemen der Liebespaare der jungen Menschen im Berlin der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts. "Man küsst sich auf dem Paddelboot", und "Erotik muss sich auf den Sonntag beschränken", "weil man zu Hause möbliert wohnt". Und am Ende heißt es dann: "Und hat man genug von Weekendfahrt und Küssen, lässt man es einander durch die Reichspost wissen. Per Sternographschrift ein Wörtchen: aus." Wie heute, wenn Leute per SMS Schluss machen.
Inwiefern war das Arbeiten mit bereits fertigen Texten anders?
Häufig ist es so, dass Liedtexte auch mal eine Zeile haben, wo einfach gerade die Melodie eine Zeile brauchte. Und die würde man in einem geschriebenen Gedicht vielleicht wegstreichen. In geschriebenen Gedichten ist eben alles so verdichtet, dass einem schon ein mittelmäßig langes Gedicht wie ein langes Lied vorkommt. Und Lieder haben häufig eine Stelle, die sich wiederholt, einen Refrain. Dabei ruht sich der Kopf dann so ein bisschen aus und es kommt etwas, das musikalisch schön, aber inhaltlich bekannt ist. Das fällt natürlich jetzt weg bei den Gedichtvertonungen. Und dann habe ich mir öfter mal beholfen, indem ich musikalische Refrains eingefügt habe, ohne Text. Für mich war es wirklich ein ganz anderes Arbeiten.
Wie sind Sie vorgegangen?
Die Vertonungen sind sehr intuitiv entstanden. Ich lese die Gedichte und manchmal kommt mir sofort eine Melodie in den Kopf oder ich probiere ein bisschen rum. Und Mascha Kalékos Gedichte bieten sich so sehr dafür an, weil die meist viel formale Strenge haben, also die Zeilen schon sehr rhythmisch geschrieben sind. Und das macht es natürlich sehr leicht, die zu vertonen.
Macht es einen Unterschied, ob Sie auf der Bühne Ihre eigenen Texte oder die von Mascha Kaléko singen?
Es stellt sich ein ganz anderes Gefühl von Verantwortung ein. Wenn ich meine eigenen Texte irgendwie flapsig anmoderiere oder ironisch kommentiere, ist es kein Problem. Da entsteht kein Schaden. Das würde ich bei ihren Texten nie machen. Und ich erzähl auch zwischendurch kurz was zu ihrer Biografie. Nur wenig, denn wen es interessiert, der kann sich ja selber dazu belesen. Aber natürlich ist es schön, im Konzert auch einen roten Faden zu haben und ein paar biografische Dinge zu erzählen. Und da habe ich eben so ein für mich ansonsten unbekanntes Gefühl von Verantwortung, dass jetzt auch alles stimmen muss.
Auf Ihrem neuen Album sind zahlreiche andere Künstlerinnen und Künstler zu hören, etwa Gisbert zu Knyphausen und Sarah Lesch. Wie suchen Sie sich Ihre Duett-Partner aus?
Bei den Mascha Kaléko Vertonungen war es so naheliegend, Duett-Partner einzuladen. Um ein Duett zu singen, müsste man ja entweder gemeinsam etwas schreiben, was ein unkalkulierbarer und langer und komplizierter Prozess sein kann. Oder man würde jemand anderem die Worte in den Mund legen. Und das ist auch irgendwie schwierig. Bei Mascha Kalékos ist es für uns beide ein fremder Text, und das macht es sehr leicht. Es ist ein Gedicht, was man interpretiert. Bei einigen Gedichten war es auch auf der inhaltlichen Ebene gut, dass man sich das aufteilt, dass das Gedicht, das ja eigentlich eine Sprecherin hat, dann von zwei Leuten erzählt wird.
Zu vielen der Künstler, die jetzt auf dem Album sind, hatte ich schon vorher Kontakt. Ich habe mir schon beim Schreiben vorgestellt, mit wem ich das gerne singen möchte und auch wirklich darauf hingeschrieben. Man könnte da auch niemanden tauschen.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Nathalie Daiber, rbbKultur.
Sendung: ARD Mediathek, Erstsendung: rbbKultur, 17.06.2023, 18:30 Uhr
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