The Who in der Berliner Waldbühne
Sieben Jahre lang mussten die deutschen Fans der legendären Rockband The Who auf die Rückkehr ihrer Helden warten, am Dienstagabend war es dann soweit. Jens Lehmann war beim einzigen Deutschlandkonzert der "The Who Hits Back!"-Tour dabei.
Wie hieß die Zeile aus "My Generation" doch gleich? "Hope I die before I get old" … Tja, zu spät. The Who feiern nächstes Jahr ihr 60-jähriges Bühnenjubiläum. Lead-Sänger Roger Daltrey ist 79. Pete Townshend 78. Ihre alten Bandkollegen haben sie lange überlebt. Und wer glaubte, ihre "Long Goodbye"-Tour vor mehr als zehn Jahren sei wirklich schon der Abschied gewesen, der hat nicht mit der Zähigkeit dieser alten Herren gerechnet.
Dass Alter nicht vor jugendlichem Elan und Großartigkeit schützt, hat Peter Gabriel erst vor wenigen Wochen mit einem fantastischen Konzert in der ausverkauften Waldbühne bewiesen. Jetzt folgt ihm mit The Who eine der einflussreichsten und zugleich dienstältesten Bands des Planeten nach. Und schon wieder wimmelt es in der Murellenschlucht von rüstigen Rockern.
14.000 sollen es an diesem Abend sein. Da gähnen schon einige leere Blöcke gen Berliner Himmel, ein Schelm wer da an die Kartenpreise von teilweise mehr als 200 Euro denkt. Ich frag‘ mich ja immer, ob dadurch auch eine gewisse Vergnügungspflicht herrscht? "Bei dem Preis wär’s jetzt schon doof, wenn’s mir nicht gefällt…"
Vielleicht wird auch deshalb die ziemlich maue Vorband "The Wake Wood" abgefeiert, die doch mit ihrem Bluesrock eher so wirken, als hätten sie den Support im Preisausschreiben gewonnen. Man möchte ihnen "Who are you!?" entgegenrufen…
Punkt halb 8 ist es dann soweit: Erst strömen die Musikerinnen und Musiker vom Filmorchester Babelsberg auf die karge Bühne, und hinterdrein schlendert The Who. Leibhaftig.
Townshend im unauffälligen blauen Hemd, weißer Bart, so eine Hafenarbeitermütze verdeckt die Glatze. Daltrey dagegen ganz der Playboy: weißes Hemd, gefühlt bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, dazu eine von diesen selbsttönenden Porno-Sonnenbrillen, auf den großen Monitorwänden neben der Bühne sieht er aus wie Dieter Thomas Heck. Er prostet dem Publikum mit seiner Teetasse zu, greift sich zwei Tambourins – und los geht’s mit der bombastischen Ouvertüre zu "Tommy". The Who gelten ja als Väter der Rockoper. Und die ballern sie jetzt auch in die Waldbühne - bis die Ohren bluten. Die ersten sieben Songs stammen allesamt aus "Tommy".
Schon klar: The Who sind berühmt-berüchtigt für ihren Lärm, sie haben quasi im Alleingang die Lautstärke in den Rock´n´Roll gebracht. Aber muss das denn so matschig klingen?
Immerhin scheint es auch anderen Menschen so zu gehen, richtig Stimmung will in den ersten Songs noch nicht aufkommen, erst bei "Pinball Wizard" erwacht die Waldbühne zum Leben. Da stehen sogar die Herrschaften von ihren Stühlen im Innenbereich auf und recken die Fäuste.
Daltrey ist da schon völlig in seinem Element, das Mikrophon schießt und schwingt am Kabel über die halbe Bühne, und wenn er es rechtzeitig wieder an den Mund kriegt, dann hat der Mann für sein Alter eine absolut beneidenswerte Stimme. Manchmal klingt sie ein bisschen rauh, aber das ist mehr liebenswerte Patina als alles andere, die Höhen sind jedenfalls voll da – und Daltrey kann auch richtig kämpferisch klingen.
Das hebt er sich allerdings für den Mittelteil des Konzertes auf. Da verlässt das tapfer vor sich hin spielende, aber nur selten zu hörende Orchester die Bühne, Townshend entschuldigt sich beim Publikum, dass man so lange nicht bei den Freunden und Verbündeten aus Deutschland gewesen sei – und The Who klingen jetzt plötzlich so, wie The Who eben auch in der neuen Besetzung mit Ringo-Starr-Sohn Zak Starkey und Townshends Bruder Simon klingen kann: Kraftvoll, rockig, direkt.
"You better you better you bet", "Substitute" – die älteren Fans sind jetzt völlig aus dem Häuschen. Erste Who-Who-Rufe sind im Rund zu hören. Und ja: Bei "We won’t get fooled again" reißt es auch mich endgültig mit.
Es ist ja auch ein zeitloser Song. "Wir lassen uns nicht schon wieder reinlegen" singt das lyrische Ich da immer wütender, während es eine Enttäuschung nach der anderen erlebt – ein Sisyphos der Revolution.
So stark könnte es weiter gehen, denke ich - und verfluche mich gleich dafür. Als wäre ich der Telekinese fähig, habe ich damit offenbar das Orchester wieder zurück auf die Bühne gedacht. Bei aller Sympathie für die Babelsberger (die Pete Townshend konsequent "your local Berlin orchestra" nennt): Man merkt sofort, was man nicht vermisst hat.
Die einzigen, die wirklich durchkommen, sind die Bläser. Die Streicher werden oft vom Keyboard geschluckt. Und jetzt geht auch noch die Koordination flöten, selbst der am rechten Bühnenrand bereitstehende Dirigent kann nicht mehr helfen, wenn Daltrey den Mikrophon-Propeller anwirft, Townshend sich durch Rockerposen rudert, Powerchords drischt und das Orchester am liebsten selbst leiten würde.
Na klar, ist ja auch wieder Zeit für Rockoper, jetzt ist Quadrophenia dran. Fünf Songs lang. Zu "The Rock" flimmern ikonische Bilder über die Leinwände, was früher Vietnam war, ist jetzt der Ukraine-Krieg. Bei "Love reign o’er me" rauscht das Orchester ein letztes Mal auf, es wird kitschig, das schrammt fast am Supertramp-Sound vorbei – und gerade, als man schon die irre steilen Treppen in der Waldbühne hochsteigt, da düdelt doch noch das berühmteste Synthie-Intro aller Zeiten in die Arena.
Mit "Baba O’Reily" endet ein zwiespältiger Abend. Es ist schön zu hören, dass man mit Ende 70 noch so gut bei Stimme sein und so gut rocken kann, aber warum man dem eigenen Bombast-Sound auch noch ein Orchester beigeben muss, bleibt mir schleierhaft. Will auch so gar nicht zu den Rock-Revolutionären der Sixties passen. Mein Fazit: Hmpf.
Sendung: rbb24 Abendschau, 21.06.2022, 19.30 Uhr
Beitrag von Jens Lehmann
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