Konzertkritik | Cora Frost in der Berliner Bar jeder Vernunft
"Ich trage Dich immer zwischen meinen Zähnen" - mit diesem Satz aus einem Gedicht von Else Lasker-Schüler ist das neue Programm der Sängerin Cora Frost überschrieben. Hans Ackermann hat die Premiere in der Bar jeder Vernunft besucht.
Bis zum Sonntag gastiert Cora Frost mit ihrer Band in der Berliner "Bar Jeder Vernunft" - wo die 1963 in München geborene Sängerin, Schauspielerin und Autorin mit "Else - ich trage Dich immer zwischen meinen Zähnen" eine Hommage an eine herausragende literarische Persönlichkeit der 20er und 30er Jahre präsentiert: Else Lasker-Schüler, Vertreterin der avantgardistischen Moderne und des literarischen Expressionismus, gestorben 1945 im Exil in Jerusalem.
Erst im zweiten Teil des Programms singt Cora Frost den Titelsong des Abends, "Ich trage Dich immer zwischen meinen Zähnen" - frei nach dem Gedicht, das Else Lasker-Schüler 1917 für ihren Freund und Vertrauten Gottfried Benn geschrieben hat.
Der muntere Song kommt gerade zur rechten Zeit, denn man ist nach gut zwei Stunden schon ein bisschen erschöpft von dieser anspruchsvollen, literarisch-musikalischen Performance. Ein audio-visuelles Gesamtkunstwerk, das seinesgleichen sucht, aber einfach ein bisschen zu lang gerät - was vermutlich der hingebungsvollen Begeisterung für ein feministisches Idol geschuldet ist: "Ich beschwöre die Else-Kraft", ruft Cora Frost in das vollbesetzte Spiegelzelt hinein, "ich beschwöre die Kraft von 100 Jahren!"
Das Publikum erlebt einen gründlich recherchierten und ambitionierten Else-Lasker-Schüler-Abend. Gewidmet einer Dichterin, die von Rilke und Kafka geschmäht wurde: "Ich kann ihre Gedichte nicht leiden, ich fühle bei ihnen nichts als Langweile", meinte Kafka. In ihrer Prosa arbeite das "wahllos zuckende Gehirn einer sich überspannenden Grosstädterin".
Karl Kraus und Gottfried Benn dagegen haben ihre avantgardistisch-experimentellen Einfälle bewundert. Gottfried Benn nannte Else Lasker-Schüler 1952 die "größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte". Die Sprache dieser Dichterin sei "üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch".
Cora Frost wird von Jakob Dobers und Gary Schmalzl auf gleich zwei elektrischen Gitarren begleitet, dazu spielt Florian Loyke den elektrischen Bass. Auf diese Weise entsteht der modern instrumentierte "Soundtrack" für eine Collage aus Liedern und Texten, ergänzt mit Puppenspiel und Maskeraden aller Art: mehrfach galoppieren die "blauen Pferde" des Franz Marc über die Bühne. Der berühmte Holzschnitt "Versöhnung" ihres Maler-Freundes hat Else Lasker-Schüler zu ihrem Gedicht "Stern" inspiriert.
Im Duett mit Florian Loyke trägt Frost das Lied vor: "Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen", heißt es im Text, dazu leuchtet im Hintergrund ein riesiger, glutrot angestrahlter "Mond" aus glitzernder Metallfolie.
In der ersten Hälfte des Abends tritt Cora Frost als Frau auf, ist "Else". Nach der Pause kommt sie als "Prinz" auf die Bühne, trägt jetzt einen weißen Frack und im Gesicht einen mächtigen Vollbart - den sie erst ganz am Schluss wieder ablegt, was nur mit kräftigem Zug am Kunsthaar möglich ist. Man fühlt sich an "Conchita Wurst" erinnert, die Sängerin, die vor einigen Jahren beim "Eurovision Song Contest" mit genau dem gleichen Accessoire ein unmissverständliches Statement formuliert hat.
Sie sei ein "non-binäres Zwischenwesen" hat auch Cora Frost gerade in einem sehenswerten Dokumentarfilm von Christiane Huber erzählt. Dieser Film heißt "Eigene Sachen machen, dafür ist man auf der Welt" [externer Link: Youtube] - und eine ganz eigene und gute Sache ist auch dieser Abend in der Bar jeder Vernunft.
In der Bar jeder Vernunft ist "Else - Ich trage dich immer zwischen meinen Zähnen", das neue Programm von Cora Frost, jetzt noch drei Mal zu erleben, am Donnerstagabend und am Samstag und Sonntag.
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.06.2023, 6:55 Uhr
Beitrag von Hans Ackermann
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