Volksbühne solidarisiert sich mit Letzter Generation
Aktivisten blockieren den Verkehr. Autofahrer werden wütend. Die Nerven liegen blank. Nun hat sich die Volksbühne mit der Letzten Generation solidarisiert und zu einer Performance mit den Aktivisten geladen. Von Hans Ackermann
240 Klima-Straßenblockaden hat es im April und Mai in Berlin gegeben. Diese Zahl wurde gestern von der Senatsinnenverwaltung veröffentlicht. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Berliner Polizei mehr als 1.000 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Letzten Generation wegen Nötigung im Straßenverkehr eingeleitet hat. Ermittelt wird in Berlin aber auch gegen rund 40 Autofahrer wegen Körperverletzung und Beleidigung. Die Nerven liegen blank - höchste Zeit, dass sich die Kunst in die Angelegenheit einmischt, so wie am Freitag bei der "Hausbesuchung" in der Berliner Volksbühne.
Ist der Sachverhalt einfach und die Beschuldigten geständig, dann kann die Justiz ein beschleunigtes Verfahren durchführen. Die Berliner Staatsanwaltschaft will diese nun deutlich öfter beantragen - dabei geht es ihr auch um Klima-Demonstranten.
Rote Warnkegel auf der Bühne
"Der Klimawandel könnte noch schwerwiegendere Folgen haben, als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt der Weltklimarat IPPC in seinem jüngsten Bericht", sagt ein Tagesschausprecher, der auf einer großen Leinwand am Ende der Bühne zu sehen ist. Mit dieser Meldung der beginnt der Abend. Ein journalistischer Auftakt für die "Hausbesuchung durch die letzte Generation", wie es auf den herumliegenden Theaterzetteln zu lesen ist.
Während man noch über den tieferen Sinn des Wortspiels "Hausbesuchung" nachdenkt, werden auf der Bühne rote Warnkegel aufgestellt - Symbole einer Diskussion um mehr als 200 Straßenblockaden in Berlin.
"Zu langsam, zu zögerlich, zu unentschlossen"
Schauspielerin Kathrin Angerer trägt dazu eine "Einlassung vor Gericht" vor. Einen Text, der die Gewissensnot einer Physikerin aus Freiburg schildert: "Ich habe einen Großteil meiner Zeit und Kraft in den vergangenen Jahren in das Ziel gesteckt, die Klimakatastrophe zu verhindern", heißt es im unpathetisch vorgetragenen Text. "Aber ich habe erkannt, es war vergebens. Deutschland reagiert zu langsam, zu zögerlich, zu unentschlossen".
Die Berliner Justiz ist mit zahlreichen Verfahren zu Blockaden der Letzten Generation beschäftigt. Das Berliner Landgericht hat eine Aktion nun nicht als Nötigung gewertet. Das Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Einplanen von mehr Zeit sei möglich gewesen.
Solidarität mit der Letzten Generation
Verzweiflung und ein Gefühl der Ohnmacht - das geht aus dieser Einlassung und weiteren vorgetragenen Texten hervor - bringen Aktivistinnen und Aktivisten dazu, sich mit den Händen auf der Straße festzukleben, sich von wütenden Autofahrern beschimpfen, bespucken und manchmal massiv attackieren zu lassen.
Der Versuch, diesen radikalen Klima-Aktivismus zu kriminalisieren, hat die Volksbühne dazu bewogen, öffentlich Solidarität zu zeigen. Die kommt in der Rede der Dramaturgin Sabine Zielke zum Ausdruck. Sie begrüßt das Publikum "auch im Namen des Intendanten René Pollesch" und erklärt, wie es zu dem heutigen Abend gekommen sei: "Als sich abzeichnete, dass in der Debatte um die Ziele der Letzten Generation schärfere Töne angeschlagen würden und die Worte 'Kriminelle Vereinigung' und 'Straftaten' immer häufiger fielen, sagten wir uns: Stopp mal!"
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Ministerium für Mitgefühl befragt das Publikum
Nach der ausführlichen Solidaritätsadresse der Dramaturgin - die am Ende auch den "Großkapitalismus" ins Spiel bringt - übernimmt das "Ministerium für Mitgefühl" die Bühne. Ein Kollektiv, das mit dem Publikum eine Live-Performance entwickelt. Dazu werden auf einem weiteren Flugblatt zehn Fragen zum Thema "Mitgefühl" verteilt. Darunter Fragen wie "Wo ist Ihrer Meinung nach die empfindlichste Stelle, um Politiker:innen an ihre gebrochenen Klima-Versprechen zu erinnern?" oder "Welche Bilder aktivieren ihr Mitgefühl - verdurstende Kinder, tropfende Gletscher oder zerfurchte Äcker?" Die anschließende Diskussion findet leider nicht auf der Bühne statt, sondern im Zwiegespräch, so will es das "Ministerium". Und die mehr als 300 Zweierguppen erzeugen im ausverkauften Saal in der Summe dann leider nur ein großes Rauschen.
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Wiedersehen im Herbst?
Am Ende kommen dann aber noch einmal vier "echte" Straßenblockierer zu Wort. Eine von ihnen ist Solveig, Mutter von vier Kindern. Sie habe "Schmerzgriffe" von Polizisten erlebt und gesehen, wie "angeklebte Hände einfach abgerissen" wurden. Danach übernimmt Tim das Mikrofon und fasst nicht ohne Stolz die Erfolge der Letzten Generation zusammen: Mit lediglich 180 Aktivisten habe man im April in Berlin "an 33 Orten gleichzeitig" den Verkehr blockiert, mit dem legitimen Mittel des "zivilen Ungehorsams", gewaltfrei und auf dem Boden der demokratischen Ordnung. Danach lädt der junge Aktivist alle 700 Gäste dieses Abends ein, den nächsten Blockade-Gipfel im Herbst zu unterstützen: "Wir werden in diesem September wieder nach Berlin kommen, um der Bundesregierung zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Wir werden dabei nicht tatenlos zusehen - dazu möchte ich euch ganz herzlich einladen."