US-Schauspieler im Ausstand
Ryan Gosling und Margot Robbie waren wegen des Hollywood-Streiks nicht bei der "Barbie"-Premiere in Berlin - in erster Linie ein Marketing-Ärgernis. Doch der Streik bedroht eine ganze Branche, die auf große US-Produktionen angewiesen ist. Von Philip Barnstorf
Die Hauptstadtregion ist neben München und Köln der wichtigste Standort der deutschen Film- und TV-Branche. Mehr als 5.000 Unternehmen aus dem Bereich sind hier tätig: vom Studio Babelsberg, über große Produktionsfirmen wie Constantin Film, dutzende Independent-Film-Schmieden, bis zu Kameraverleihen, Special-Effects-Designern, Kinos und der Synchronisationsindustrie.
Laut der Berliner Wirtschaftsförderung beschäftigen sie insgesamt fast 50.000 Menschen und erwirtschaften mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz jährlich. Ein wichtiger Wirtschaftszweig also, der nun hart getroffen werden könnte vom Streik der Drehbuchschreiber und Schauspieler in Hollywood.
Eines der größten regionalen Filmunternehmen ist das Studio Babelsberg. In den vergangenen Jahren wurden dort immer wieder große Hollywood-Produktionen, wie etwa "Inglourious Basterds" oder "John Wick 4", gedreht. Filme, die zumindest teilweise in den Potsdamer Studios gedreht wurden, haben insgesamt 15 Oscars eingeheimst.
Zu den Auswirkungen des aktuellen Streiks will sich das Unternehmen auf rbb-Anfrage nicht äußern. Aber aus dem Umfeld hört man Beunruhigendes. "In Babelsberg stoppt gerade eine große Hollywood-Produktion. Da war alles aufgebaut mit Kulissen und man hätte direkt loslegen können. Aber dann kamen die Schauspieler aus den USA nicht", sagt ein Branchen-Insider dem rbb. Angeblich herrscht in der Brandenburger Traumfabrik schon länger Auftragsflaute. So ein Produktionsstopp dürfte die Lage nicht gerade verbessern.
Laut einer von Nordrhein-Westfalen beauftragten Studie [land.nrw] arbeiten in Berlin insgesamt mehr als 150 Filmproduktionsfirmen, so viele wie in keinem anderen Bundesland.
Die meisten von ihnen sind mittelständische Unternehmen, wie etwa die Firma Seven Elephants mit ihren zehn festen Mitarbeitern und rund sechs Millionen Euro Jahresumsatz. Sie hat etwa den Film "Sonne und Beton" produziert, der derzeit noch in den Kinos zu sehen ist. Auch der Film "Iron Box" mit Steven Fry und Lena Dunham ist schon fertig gedreht. Aber wegen des Streiks stockt nun die Postproduktion. "Wenn einzelne Sätze undeutlich klingen, lässt man die Darsteller sie normalerweise nochmal einsprechen", sagt Fabian Gasmia, Produzent bei Seven Elephants. "Wegen des Streiks geht das jetzt nicht."
"Iron Box" soll eigentlich im Frühjahr 2024 fertig werden. "Von Freunden in Hollywood höre ich, dass der Streik bis Ende dieses Jahres dauern könnte. Dann hätten wir mehrere Monate Verspätung", sagt Gasmia. So eine Verspätung könnte teuer werden. Seven Elephants hat nämlich für die Produktion von "Iron Box" einen Kredit aufgenommen, den sie nach eigenen Angaben in Gänze erst nach Erscheinen des Films zurückzahlen kann. "Wegen der Zinsen kostet jeder Monat Verspätung etwa 30.000 Euro", sagt Gasmia. Er hoffe darauf, dass die streikenden US-Gewerkschaften sich auf Ausnahmeregelungen für Independent-Produktionen einlassen.
Neben den Produzenten gehören noch viele andere Unternehmen zur Wertschöpfungskette der Filmbranche, zum Beispiel Kostümverleihe. Einer der größten heißt "Theaterkunst" und lagert in Hallen in Wilmersdorf rund 10 Millionen Klamotten. Damit stattet die Firma Filmproduktionen auch im europäischen Ausland aus, wie etwa den neuesten Teil der "Tribute von Panem" im vergangenen Jahr.
Inzwischen sei der Streik auch bei dem 28-Mitarbeiter-Unternehmen zu spüren. "Zwei Produktionen in Ungarn mit sehr namhaftem Cast wurden gerade verschoben, weil die Haupdarsteller streiken", erzählt Geschäftsführerin Andrea Peters. Bei weiteren Projekten habe man schon verhandelt. "Aber dann kamen extrem kurzfristige Absagen", sagt Peters. Sie rechnet mit bis zu 15 Prozent weniger Umsatz in diesem Jahr wegen des Streiks.
Derzeit wirkt sich also vor allem der Streik der Schauspieler auf laufende Produktionen aus, an denen hiesige Firmen beteiligt sind. Aber neben rund 160.000 Schaustellern haben auch rund 20.000 Drehbuchschreiber in Hollywood ihre Arbeit niedergelegt. Kostümverleiherin Andrea Peters rechnet damit, dass deswegen gegen Ende des Jahres der dramatische Stoff für neue Produktionen ausgehen wird. Im kommenden Jahr könnten dann hierzulande auch die Kinos leiden, wenn kein Nachschub mehr aus Hollywood kommt. "Das könnte sich bei längerer Dauer der Streiks auf Berlin und Brandenburg stark auswirken, denn hier gibt es besonders viele Kinos mit insgesamt mehr als 400 Leinwänden", sagt Christian Sommer vom Verband Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO).
Er sieht allerdings nicht nur Probleme. "Wenn die großen US-Blockbuster weniger Leinwände blockieren, haben deutsche und europäische Produktionen bessere Chancen", sagt er. Das ganze hiesige Filmgeschäft könne man damit aber nicht retten, denn die Hollywood-Filme lockten einfach mehr Menschen in die Kinos und vor die Streaming-Bildschirme. "Außerdem sind wir Teil einer internationalen Wertschöpfungskette. Ohne große US-Produktionen kann die Branche auf Dauer nicht überleben."
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.07.2023, 17:55 Uhr
Beitrag von Philip Barnstorf
Artikel im mobilen Angebot lesen