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Interview | Syrischer Musiker Bilal
Seine ersten musikalischen Gehversuche machte Bilal mit einer Spielzeuggeige. Heute spielt der syrische Musiker und Teilzeit-Berliner in Daniel Barenboims West Eastern Divan Orchestra. Ein Gespräch über seine ungewöhnliche Karriere.
rbb: Bilal, woher kommt Ihre Liebe zum Geigespielen?
Bilal: Es war ein ganz besonderer Anfang. Mein Vater hat mir eine Geige geschenkt, bei der man auf Knöpfe drückt und dann kommen Lieder raus. Es war ein Kinderspielzeug. Da war ich fünf Jahre alt. Als er sah, dass ich mich sehr für die Geige interessiere, schenkte er mir eine echte. Für uns war das damals teuer. Dann habe ich angefangen zu üben. Wir sind zu Freunden gegangen, die ein bisschen Oud und ein bisschen Bratsche spielen konnten. So habe ich nach und nach gelernt.
Sie hatten in den darauffolgenden Jahren in Ihrer Heimatstadt Damaskus wechselnde Lehrer. Aber auch eine DVD hat eine Rolle in Ihrer musikalischen Erziehung gespielt …
Mein Vater kaufte mir eine 4/4 Geige, eine große Geige. Und der Geigenbauer schenkte mir dann eine DVD von Maxim Vengerov. Es war das Tschaikowsky-Konzert mit dem Moscow State Symphony Orchester und Pavel Kogan, dass Vengerov gespielt hat, als er 16 Jahre alt war. Ich habe die DVD endlos geschaut. Sie lief wieder und wieder, Tag und Nacht. Ohne Ton. Ich habe alles imitiert. Den Klang, die Bewegungen, die Grimassen – drei Jahre lang.
Schließlich wurden Sie bei einem Auftritt in Thessaloniki und einer Masterclass in Damaskus von französischen Lehrern entdeckt, die Sie in Ihr Konservatorium aufnehmen wollten. Wie erinnern Sie diese Zeit?
Meine Eltern haben zuerst gesagt: Nein, er ist so jung, er ist erst zwölf Jahre alt, das geht nicht! Schließlich haben sie doch zugestimmt, weil es wirklich die richtige Wahl für mich war. Und so kam ich nach Frankreich und begann im Alter von 13 Jahren, mich ernsthaft mit Techniken im Geigenspiel auseinanderzusetzen. Es war es ein wenig von beidem: Ich war ein Autodidakt, habe von DVDs gelernt – und ich habe in Meisterklassen Informationen aufgeschnappt. Ich war ein Teenager, ich war lernbegierig.
Welche Rolle spielt Ihre Heimat Syrien in Ihrer Arbeit als Musiker?
Es gibt vieles, was mir an meiner Heimat fehlt. Es ist Nostalgie, Melancholie. Aber ich transportiere das in den Klang – ich baue ein Haus aus Klang. Ich könnte Tschaikowsky oder Brahms oder Fauré oder Mendelssohn spielen, aber es wird immer ein Hauch meines Landes, des Klangs, der Atmosphäre, wirklich meiner Kultur und meiner Tradition sein, der mit ins Spiel kommt. Und das ist es, was mir eine Persönlichkeit verleiht, die sich von der eines anderen unterscheidet, der einen anderen Klang mit seiner Tradition und seinem Klangmaterial vorträgt.
Auch Ihre Familie lebt mittlerweile in Frankreich. Wie kam es dazu?
Das war, als die Situation in Syrien wirklich sehr schwierig war und die Menschen in Scharen das Land verließen. Ich hatte das Glück, dass ich für meine Eltern ein Visum bekommen habe, ein normales Visum, sie durften fliegen. Das war außergewöhnlich. Entweder musste man das Boot nehmen – oder man musste bleiben. Aber meine Eltern konnten schon zehn Tage, nachdem ich das Visum beantragt hatte, fliegen. Von Beirut nach Marseille.
Sie haben im vergangenen Jahr ein Festival in dem Dorf gegründet, das Ihre Familie aufgenommen hat. Was hat Sie dazu bewegt?
Ich komme aus einer sehr alten Zivilisation, die einen ausgeprägten Sinn für Kultur und Musik hat. Und das wollte ich teilen. Es kann schwer werden, wenn man immer das Gefühl hat, etwas zurückgeben zu müssen – anstatt gemeinsam etwas zu teilen. Wenn man ein Brot teilt, ist das etwas anderes, als wenn Sie mir ein Brot geben, und ich muss es ihnen zurückgeben. Es geht eher darum, die beiden Kulturen auf eine gleiche Ebene zu bringen und dann die Dinge wirklich teilen zu können.
Was verbindet Sie mit Ihrem Instrument?
Die erste Verbindung ist die Suche nach dem Klang. Man kann mit der Geige viele Klänge erzeugen, je nachdem, welche Botschaft man vermitteln will. Ich erinnere mich, als ich als Kind in Damaskus war, habe ich im ganzen Haus herumprobiert. Wo kann ich einen Klang erzeugen, der zu mir passt und der zu Beethovens Romanze passt? Ich erinnere mich, dass ich einmal in der Küche war. Ich spielte diese Note, die erste Note, drei Stunden lang und merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Ich habe alle möglichen Dinge ausprobiert, es war wirklich ein totales Experimentieren und bis heute glaube ich wirklich, dass die Identität eines Künstlers und vor allem eines Geigers der Klang ist: Die Qualität des Live-Klangs, die Zerbrechlichkeit des Klangs, die Kraft des Klangs, die Zärtlichkeit des Klangs. Mit dem Klang der Geige kann man alles sagen.
Daniel Barenboim hat Sie persönlich für das West Eastern Divan Orchestra ausgewählt. Darin spielen Musiker, die aus Ländern kommen, die verfeindet sind. Wie geling das?
Die Idee ist, dass man aus allen Ecken der Welt kommen kann, aus Ländern, in denen Krieg herrscht, die sich gegenseitig umbringen. Und in dem Moment, in dem man nur ein einziges Mal reflektiert, ist man beieinander. Der ganze Körper wird physisch aktiv, um dieser metaphysischen Idee zu dienen: Einheit durch Klang. Wenn zwei Klänge sich mischen, entsteht eine Harmonie - es entsteht etwas Metaphysisches. Und man hat den Eindruck, nicht mehr in der Welt mit den Konflikten von heute zu sein. Das ist es, was mich sehr berührt.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Steffen Prell.
Sendung: rbbKultur - Das Magazin, 24.06.2023, 18:30 Uhr
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