Diskussion im Heimathafen Neukölln
"Bella Italia - La dolce vita?" Diese Frage stand am Mittwochabend im Heimathafen Neukölln im Mittelpunkt der "Rundfunkchor Lounge". Für Hans Ackermann ein Chorkonzert-Höhepunkt des Jahres - bei dem aber nicht nur gesungen wurde.
Mit dem Veranstaltungstitel "Bella Italia - La dolce vita?" kommt bei der "Rundfunkchor Lounge" im Heimathafen Neukölln ein schon oft diskutierter kultureller Widerspruch zum Ausdruck: Wie kann eines der schönsten Länder der Erde - kultiviert, kinderfreundlich und kommunikativ - immer wieder an schlimmste innenpolitische Abgründe geraten? Tatsächlich wird diese Frage auch an diesem Mittwochabend nicht abschließend beantwortet, aber mit interessanten Gesprächen - und Chormusik aus fünf Jahrhunderten - beleuchtet.
Mit dem "Kyrie" von Orlando di Lasso aus seiner "Missa pro Defunctis" eröffnen die Männerstimmen des Rundfunkchors Berlin den Abend. Die Tenöre und Bässe singen dabei vom Balkon des Saals herunter. Alles ist eingetaucht in rotes Bühnenlicht, eine Stimmung wie bei einem Sonnenuntergang am Golf von Neapel.
Gleich nach der ersten Musik gibt es das erste Gespräch. Die Gastgeberin des Abends, Moderatorin Boussa Thiam, fragt die italienische Migrationsexpertin Edith Pichler unter anderem nach dem Verhältnis zwischen Deutschland und Italien. Pichler forscht an der Universität Potsdam über italienische Migration in Europa, Erinnerungskulturen und Deutsch-Italienische Beziehungen.
Die Antwort der Wissenschaftlerin: Seit den Zeiten der Freundschaft zwischen Konrad Adenauer und dem italienischen Christdemokraten Alcide de Gasperi - von 1945 bis 1953 war er italienischer Ministerpräsident - sei dieses Verhältnis gut. Sie weist dabei auf die besondere Bedeutung des Goethe-Instituts hin. Die gegenwärtige Regierung in Rom pflege allerdings andere Kontakte nach Deutschland als seinerzeit De Gasperi, meint die im Trentino geborene Italienerin. "Georgia Meloni [italienische Ministerpräsidentin, Anm.d.Red.] hat eine andere Bruderpartei hier in Deutschland."
Mit italienischer Moderne, dem "Gloria in Excelsis Deo" aus den "Tre Canti sacri" von Giacinto Scelsi, beginnt nun die zweite Hälfte der Lounge. Ein Gesprächskonzert, das mit seinen Themen weit über den Musikbetrieb im engeren Sinn hinausgeht.
So fragt der zweite Gast, der Journalist und Mafia-Experte Sandro Mattioli, das Publikum zu Beginn, ob jemand im Saal jemand anderen kennen würde, der Kokain konsumiert. Tatsächlich gehen einige Hände nach oben. Nach diesem anschaulichen "Einstieg" beschreibt Mattioli, der 2007 den eingetragenen Verein "mafianeindanke" gegründet hat, mit Zahlen und Fakten die Verbindungen der Organisierten Kriminalität in Italien nach Deutschland - wohin neapolitanische Camorra, kalabrische ´Ndrangheta und sizilianische Cosa Nostra bestens vernetzt seien.
Ein Schwerpunkt der "Aktivitäten" dieser Organisationen sei eben der Handel mit Kokain, so Mattioli. Aus dieser Tatsache ergebe sich die eindeutige Konsequenz, keine Drogen zu kaufen: "Man unterstützt damit Schwerkriminelle, Morde und Korruption entlang der Lieferkette", so Mattioli zum Publikum. "Und wenn wir hier in Europa oder Nordamerika kein Kokain konsumieren würden, dann gäbe es das Problem Mafia nicht."
Aus dieser ernsten Thematik findet das musikalische Programm über drei muntere Lieder des "Trio Lescano" zurück zur Unterhaltung: "Tulipan", "Camminando sotto la pioggia" und das "Lied vom verliebten Pinguin" entfalten einen zauberhaften Charme und sorgen für einen weiteren musikalischen Höhepunkt. Danach werden drei der exzellenten Frauenstimmen des Rundfunkchors ganz zurecht gefeiert: die Sopranistin Eva Friedrich und die beiden Altistinnen Josette Micheler und Judith Simonis.
Nach der bewährten Devise "Das Beste zum Schluss" lässt Chefdirigent Gijs Leenaars seinen Weltklasse-Chor dann am Ende Puccinis "Nessun Dorma" singen. Ein Lied, das man als Tenor-Arie kennt, aber nach diesem grandiosen Abend überhaupt nur noch als vielstimmigen Chorsatz hören möchte.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.07.2023, 7 Uhr
Beitrag von Hans Ackermann
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