Frauen im Musikbusiness
Die Statistik zeigt: Auf Festivalbühnen und in der Musikproduktion sind Frauen unterrepräsentiert und verdienen weniger. Drei Frauen aus der Branche berichten über ihre Erfahrungen und darüber, was sich ändern muss. Von Nathalie Daiber
Laut einer US- Studie liegt die Frauenquote im Bereich der Musikproduktion bei nur 2,6 Prozent. Außerdem verdienen Frauen in der Musikbranche laut statistischem Bundesamt bis zu 30 Prozent weniger als Männer. In der Musikindustrie herrscht schon lange ein Ungleichgewicht. Beispielsweise liegt der Frauenanteil auf Festivalbühnen in Deutschland laut der MaLisa Stiftung unter 20 Prozent.
Mit 13 erfüllt sich Sentas-Sofia Dellapontis Traum: Sie fährt mit ihrer Mutter nach Hamburg zum Casting bei "Starsearch". Weil sie so wenig Geld haben, übernachten sie im Auto. Senta holt den 2. Platz. Endlich macht sie, was sie immer wollte: Auf der Bühne stehen und singen. Schnell bekommt sie einen Plattenvertrag bei einem großen Label.
"Und da habe ich alles mitgemacht, ich war sehr naiv", sagt sie heute. Eine Marionette sei sie gewesen, alles wurde von den Managern – fast ausschließlich Männer entschieden: Haarfarbe, Piercing und Musik.
Trotzdem lief die erste Single nicht: "'Nimm fünf Kilo ab, dann wird die zweite Single sicherlich besser funktionieren' - es war schon sehr toxisch in der Branche", sagt die Potsdamerin. Sie habe damals gedacht: So funktioniert die Musikindustrie. Heute bereue sie am meisten, dass sie das alles einfach mitgemacht und natürlich auch die fünf Kilo abgenommen habe. Damals war sie 15.
"Ich hatte auf jeden Fall das Gefühl, sexistisch behandelt zu werden", sagt sie heute. Bei Meetings sei sie häufig die einzige Frau gewesen. Wenn Frauen zu laut gewesen seien, sei ihr suggeriert worden, man könne nicht mit ihr arbeiten. Auch über andere Künstlerinnen sei so gesprochen worden, sie seien schwierig und zickig. Gleichzeitig habe es geheißen: "Du bist auch eine Frau, also spiel auch mit deinen Reizen, zeig sie benutze sie."
Genau diese Schubladen habe sie bedient, erzählt Dellaponti. Und ist damit schließlich mit der Kunstfigur Oonagh erfolgreich. Mit einer Mischung aus Mittelaltermusik und Pop verkaufte sie nach eigenen Angaben mehr als 900.000 Platten – und kann trotzdem kaum ihre Miete zahlen, wie sie sagt.
Corona ist für sie ein Wendepunkt: Sie sieht sich ihre Verträge nochmal genauer an und stellt fest, dass sie selbst die letzte ist, die an ihrem Erfolg verdient. Heute ist Senta-Sofia Delliponti ihre eigene Chefin – hat ein eigenes Team, ihr eigenes Label und bald auch ein eigenes Tonstudio.
Mit 13 Jahren entdeckt Jule Detlefsen ihre Liebe zur Musik. Schnell merkt sie aber, dass es bei ihren Freundinnen anders ist: "Ich glaube nicht, dass meine Freundin keine Lust hatten auf Konzerte zu gehen. Aber ich glaube, dass die gar nicht so dachten, das ist irgendwie ein Thema für sie ist." Vielmehr hören ihre Freundinnen eher die Musik aus den Charts.
Heute ist Jule Detlefsen 25 Jahre alt. Vor zwei Jahren gründete sie das Musik-Onlinemagazin "Flutwelle-Magazin". Explizit für junge Frauen und Mädchen. Sie war selbst überrascht, dass es so etwas noch nicht gab. Sie fordert: "Akzeptiert doch einfach, wenn 16.000 Leute, hauptsächlich Mädchen, in der Mercedes Benz Arena gehen und eine Band oder Künstlerin Mega cool finden. Dann hat das seine Daseinsberechtigung."
Zeitweise arbeitet sie auch in der Branche – zum Beispiel als Stagemanagerin: "Frauen haben da ein Problem, wir müssen zeigen: Hey, ich kenn mich mit Musik aus und ich kann sogar das Kabel in den Stecker stecken, mega verrückt, weil es gibt ganz viele Techniker, die mir das nicht zugetraut haben."
Das Problem, so Jule Detlefsen, sei die "Kumpelei" der Männer. Alle kennen sich und viel würde eben bei einem Bier ausgehandelt werden und so werden gerade im Livebusiness, die Jobs vergeben.
Mit ihrem Magazin will sie jungen Mädchen und Frauen zeigen, dass es auch für eine 13-Jährige ganz normal sein kann, eine E-Gitarre zu spielen und eine Band zu gründen. Sie hat jetzt erst angefangen, selbst zu spielen.
Charlotte Brandi sagt von sich, sie sei schon immer Musikerin gewesen. Ihre Eltern hätten Musik gemacht und in Bands gespielt. Schon als Kind sei sie mit auf Tour gewesen.
Die großen Plattenfirmen finde sie "gruselig". Nur kurz sei sie mal bei einem Plattenlabel gewesen, um ihr Urteil zu überprüfen.
Es überrasche sie nicht, dass der Frauenanteil in der Musikbranche sinke: Denn es gäbe so einen Effekt von "Verliebtheit unter Männern": Die alteingesessenen in den Schaltzentralen der Musikbranche würden sich selbst in jungen männlichen Newcomern wieder entdecken und sie dann fördern. "Und so bleiben Seilschaften aufrechterhalten, die von Männern einmal aufgebaut wurden, andere Männer reinholen und da wird sich der Staffelstab weitergereicht", sagt die 37-Jährige.
Ihr aktuelles Album "An den Alptraum" hat sie nur mit Frauen produziert. Ein "Experiment", wie sie sagt, denn "meines Wissens gibt es noch keine Alben, bei denen kein Mann mitgemacht hat". Platten, die ausschließlich von Männern produziert werde, gebe es hingegen schon.
In drei Tagen haben sie gemeinsam neun Songs eingespielt. "Ich glaube, das war die schnellste Albumproduktion, die ich je hatte", sagt die 28-Jährige. Niemand habe ihre Position in Frage gestellt, alles sei sehr professionell gewesen.
Sie fordert, dass auch die Männer in der Musikindustrie Stellung beziehen. Denn, so Charlotte Brandi, "es kann sich nur etwas ändern, wenn Männer untereinander anfangen ehrlich mit sich zu sein und sich eben auch öffnen für Selbstkritik und Kritik an anderen.“
Sendung: rbb24 Abendschau, 13.07.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Nathalie Daiber
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