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Audio: rbbKultur | 08.08.2023 | Anke Sterneborg | Quelle: ZDF/Emre Erkmen

Filmkritik | "Black Box"

Zoff im Berliner Hinterhof

Streit um die Mülltonnen, ein Polizeieinsatz - und das in einem Berliner Altbau-Biotop. Mit feinem Gespür für das Mit- und Gegeneinander der Kulturen und einem grandiosen Ensemble seziert "Black Box" die deutsche Gesellschaft. Von Anke Sterneborg  

Alles beginnt mit dem Rumms, mit dem ein großer Büro-Container von oben durch die Lüfte mitten in einem Altberliner Hinterhof platziert wird. Hier residiert künftig Herr Horn als Vertreter der Hausverwaltung. Er sitzt hinter großen Fenstern, ist aber alles andere als leicht durchschaubar. Verkörpert wird er von Felix Kramer, der zwischen der rbb-Serie "Warten auf'n Bus" und Emily Atefs Literaturverfilmung "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" eine große darstellerische Bandbreite gezeigt hat.

Zur Person

Horn wirkt zunächst höflich und entgegenkommend, zeigt aber auch bald eine jovial unterfütterte Härte. Das zweite, noch eher alltägliche Ärgernis für die Hausbewohner sind die Mülltonnen der Bäckerei, die nun auch noch im Hinterhof stehen sollen. Während manche Mieter gute Miene zum bösen Spiel machen, wehren sich andere entschieden. Der Lehrer Erik Behr (Christian Berkel) stellt Herrn Horn aufgebracht zur Rede: "Gucken Sie sich das mal an! Eine Schande ist das, unter meinem Fenster. Ich kann nicht mal mehr das Fenster aufmachen, wegen der Fliegen. Und dann der Gestank…" Richtig sauer wird er, als Herr Horn ihn dann auch noch beschuldigt, ihn mit einem Ei beworfen zu haben. Das lockere "Herr Behr" will er sich auch nicht gefallen lassen: "Herr Dr. Behr, bitte!"

Getarnte Wahrheiten

Es ist ein großes Vergnügen, das fein austarierte Spiel mit Gestik, Mimik und Stimmmodulation zu beobachten. Mindestens so wichtig wie das Ausgesprochene ist das Nichtgesagte. Und jeder Satz beinhaltet wenigstens noch eine verborgene Wahrheit. Aus offen ausgetragenen oder unterschwellig durchsickernden Feindseligkeiten entwickelt sich im Hinterhof ein nachbarschaftlicher Kleinkrieg, in dem Arm und Reich, Links und Rechts, Biodeutsche und Zuwanderer oft gereizt und feindselig aufeinandertreffen.

Das illustre Schauspielerensemble, zu dem auch Luise Heyer, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle und Hanns Zischler gehören, lässt sich Bösartigkeiten und Schmeicheleien, diskriminierende Beleidigungen und Angriffe in vielen Nuancen auf der Zunge zergehen. "Black Box" ist ein Kammerspiel, das sich vom Hof in die Wohnungen, über das Dach und bis in den Keller ausbreitet.

Die Hausgemeinschaft ist über den plötzlichen Polizeieinsatz in ihrem Hinterhof irritiert. | Quelle: ZDF/Julian Atanassov

Kriegerische Belagerung

Als dann auch noch vermummte Polizisten anrücken, wird aus dem nachbarschaftlichen Kleinkrieg eine Front zwischen Bewohnern und Regierung, aus dem Alltagsrassismus eine Frage der nationalen Sicherheit: Die Straße wird gesperrt, keiner darf das Haus verlassen. Die irritierten Bewohner werden aufgefordert, in ihre Wohnungen zurückzukehren. Aus Sicherheitsgründen werden keine Informationen herausgegeben. Wie lange das Ganze dauert, ist ungewiss.

Mit sanfter Stimme beginnt Herr Horn Andeutungen zu machen und Gerüchte zu streuen: "Es gibt einen Hinweis, eine Problemwohnung, die Mieterin, Iranerin … ich spreche von Aktivitäten in Wohnungen, die uns nicht gehören…" Seine Sätze sind gespickt mit Trigger-Worten, zu denen jeder sofort Bilder, Ängste und Verdachtsmomente im Kopf hat. Gezielt sät er Zwietracht und Misstrauen unter den Mietern.

Horn, das deutet sich im weiteren Verlauf an, will die Bewohner gegeneinander ausspielen, sie zum Auszug bewegen und damit die Interessen der Eigentümer fördern. Das Gespenst der Gentrifizierung geht um: Entmietung, Luxussanierung, man kennt das aus Berlin - und nicht nur von dort. Gilt das Haus erst einmal als unbewohnbar, hat der Investor freie Hand. Zur Not wird mit ein bisschen Sabotage nachgeholfen.

Zwischen Innensicht und Außenwahrnehmung

Vieles klingt hier an. Gewissheiten gibt es wenige, in der volatilen Stimmung im Hof, die Asli Özge als Türkin mit dem besonders genauen Blick zwischen Innensicht und Außenwahrnehmung betrachtet und analysiert. Der Film wollen ein "zerfallendes Gemeinschaftsgefühl" beschreiben und die Auflösung demokratischer Strukturen, sagte Asli Özge bei der Premiere auf dem Münchner Filmfest. "Das Haus ist ein Mikrokosmos, der das Land spiegelt. Viele verschiedene Kulturen und Religionen leben zusammen. Ich wollte ein Bild unserer Gesellschaft darstellen, eine Metapher für ein Land."

Die Blackbox des Mietshauses ist ein vielschichtiges System, in dem von Diskriminierung und Fremdenhass, von Existenzangst und Missgunst, von Gentrifizierung bis Bauspekulation viele virulente Themen von heute verhandelt werden. Und ganz nebenbei ist dieser fein beobachtete und raffiniert konstruierte Film auch noch das Dokument eines Berliner Biotops, das im Verschwinden begriffen ist. Denn gedreht wurde in einem Berliner Hinterhof - einem der wenigen, der noch in der ursprünglichen Form übriggeblieben ist.

Sendung: rbbKultur, 08.08.2023, 07:45 Uhr

Beitrag von Anke Sterneborg

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