Konzertkritik | Saisoneröffnung der Berliner Philharmoniker
Es ist ein glanzvoller Höhepunkt des Jahres für alle Klassikfans. Die Saisoneröffnung der Berliner Philharmoniker, traditionell Ende August. Maria Ossowski war dabei.
Er konnte zwei Stunden ununterbrochen Schnitzel essen, er trank unmäßig, und er komponierte wie ein Workoholic. Max Reger, geboren in der Oberpfalz, gestorben in Leipzig, wurde nur 43 Jahre alt. Die Berliner Philharmoniker haben jetzt mit seinen selten gespielten berühmten acht Variationen über ein Thema von Mozart die Saison eröffnet. Passend zu Regers 150. Geburtstag. Als Chefdirigent des Orchesters hatte sich zuletzt Wilhelm Furtwängler ihrer angenommen, das ist schon ein Weilchen her.
"Ich bete jeden Tag: Gott der Allmächtige möchte uns einen Mozart senden", hatte Reger einst geschrieben, und da Mozart nicht mehr auftauchte, griff Reger selbst zur Feder. Leicht und heiter zuerst, dann mozartisch tiefsinnig, schließlich weltentsagend-weise erklingen seine Variationen.
Der Saal ist festlich erleuchtet, im Block A hat wie immer die Prominenz Platz genommen, Angela Merkel und Joachim Sauer, Max Raabe, Daniel Barenboim, der Berliner Senat und viele mehr.
Chefdirigent Kirill Petrenko lässt das Geflecht der Farben und Melodien leuchten, die Holzbläser greifen den Ohrwurm aus Mozarts A-Dur Sonate auf, dann die Streicher, die in Gruppen mit und ohne Dämpfer spielen. Von Variation zu Variation ist das Thema immer schwerer zu erkennen, bis zur strengen Fuge, um dann erlösend in einem Rausch zu enden.
Nach der Pause wird "ein Heldenleben" gespielt. Als Jungspund mit 34 Jahren hatte Richard Strauss wahrscheinlich seine eigene Biografie komponiert. Berlin war im Aufbruch 1898, der Hofkapellmeister der Staatsoper bewohnte mit seiner Frau Pauline eine 9-Zimmer-Wohnung in der Charlottenburger Knesebeckstrasse. An Minderwertigkeitskomplexen litt das Junggenie nicht. "Ich sehe nicht ein, warum ich nicht eine Symphonie über mich selbst schreiben sollte. Ich finde mich ebenso interessant wie Napoleon oder Alexander den Großen", wird ihm ein Zitat zugeordnet.
In die Heldentonart Es-Dur setzt er die sechs Teile, die ineinander übergehen. Das Heldenleben begleitet die Philharmoniker von Beginn an. Unter Kirill Petrenko gerät es zum Triumph mit den warmen, großen Tönen des Helden, den zickig kieksenden Spitzen der Holzbläser-Widersacher, den Trompeten aus dem Foyer, die zum Angriff blasen, dem Englischhorn als Abschiedsinstrument und vor allem mit der Violine als Sinnbild der Liebe.
Strauss' Heldenleben ist auch ein Violinkonzert. Die neue erste Konzertmeisterin Vineta Sareika- Völkner beglückt und verzaubert den Saal mit ihren Soloparts. Strauss hatte sie überschrieben mit sehr präzisen Spielanweisungen, offenbar inspiriert von seiner kapriziösen Ehefrau Pauline: heuchlerisch schmachtend, lustig, leichtfertig, zart, liebenswürdig, drängend, keifend oder sentimental. Das Publikum lag der Geigerin, die aus Lettland stammt, sinnbildlich zu Füßen, es war so still wie sehr selten in der fast ausverkauften Philharmonie.
Prachtvoll und schroff, reif und tief und unendlich transparent, so präsentieren die Berliner Strauss' sinfonische Dichtung. Kirill Petrenko senkt zum Schluss den Taktstock, einige Sekunden bleibt es still. Ein Nachglühen. Bis der Jubel ausbricht, der lange nicht enden wird.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.08.2023, 8:15 Uhr
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