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Internationales Literaturfestival Berlin
Das internationale Literaturfestival Berlin ist eines der renommiertesten der Welt. Nach internen Turbulenzen gab es nach 22 Jahren einen Neustart. Eröffnet wurde es mit der italienischen Schriftstellerin Francesca Melandri, die über den "Ultraschall des Schweigens" sprach. Von Corinne Orlowski
Seit Mittwochabend läuft das traditionell im September stattfindende Internationale Literaturfestival (ilb) in Berlin in seiner 23. Ausgabe.
Doch die Eröffnung fand nicht, wie die vergangenen Jahre, im Haus der Berliner Festspiele statt, sondern in der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz. Da fühlt man sich ein wenig wie ein Student im Hörsaal. Nicht so stimmungsvoll für ein internationales Literaturfestival.
Es gibt zwar atmosphärische Musik vom Berliner Trickster Orchestra, aber wegen der schlechten Akustik, kann man die gar nicht so richtig genießen. Auch anders als sonst: den Anfang macht eine 11-Jährige. Celia hat in diesem Jahr den Vorlesewettbewerb gewonnen und bekommt für ihre hinreißende Lesung von Kästners "Pünktchen und Anton" einen jubelnden Applaus.
Die Lesung soll auf das Spezial zu 90 Jahre Bücherverbrennung hinweisen – und damit wiederum auf das Plakatmotiv: Ein Flammen-Icon, das aus einem aufgeschlagenen Buch sticht. Das Motiv will auf die Macht der Sprache verweisen. Man wärme sich an Geschichten, entzünde daran die Fantasie – und man könne sich an ihnen reiben, aber so, dass Wärme entsteht. Ein Fünkchen springt bei der Eröffnung aber nicht wirklich über. Am Ende reicht die Konzentration nicht mal anderthalb Stunden. Die Veranstaltung ist noch gar nicht zu Ende, da stürmen schon die Ersten raus an die Bar und unterbrechen die Musiker.
Nach 22 Jahren schlägt das ilb ein neues Kapitel auf. Es gibt es eine neue Leiterin: die Kulturmanagerin Lavinia Frey. Davor hatte der Gründer Ulrich Schreiber die Fäden in der Hand und er ist auch der heimliche Star des Abends. Schon beim Einlass begrüßt er alle mit Umarmungen, da tummelt sich schon der Berliner Literaturbetrieb und viele Autoren aus dem In- und Ausland. Vom Wechsel spürt man wenig. Und das ist ja schon interessant, denn zuvor hat es Diskussionen über das Arbeitsklima gegeben wegen Schreibers rüden Führungsstils. Nein, alle auf der Bühne danken ihrem "Uli". Und tatsächlich ist es sein Verdienst, dass das Literaturfest jetzt das ist, was es ist: nämlich eines der renommiertesten Literaturfestivals der Welt.
Einen Richtungs-, durch den Führungswechsel gibt es in diesem Jahr aber im Programm noch nicht. Dafür kam Lavinia Frey – angefangen im Mai - auch zu spät ins Amt. Sie hat aber eine Neuausrichtung angekündigt: Internationale Gäste sollen in Zukunft in der Kuration des Festivals einbezogen werden. Und allein schon aus Nachhaltigkeitsgründen wäre es gut, wenn sie länger in der Stadt bleiben. Frey möchte diskutieren, wie wir in Zukunft leben werden und da interessiere sie besonders für die sozialen Utopien von Schriftstellerinnen und Schriftstellern.
Das Programm ist wieder vielseitig. 150 Autoren stellen ihre Bücher vor. Es gibt Lesungen hinter Gittern, eine Taschenbuchtauschparty, eine Pop-Up-Comic Messe. Da ist für jede und jeden etwas dabei – vor allem auch für Kinder. Internationale Größen sind da, Booker-Preisträger, Friedenspreisträger – auch der diesjährige, Salman Rushie, wird am Sonntag sein neuestes Werk "Victory City" vorstellen. Aber es gibt auch viele neue Stimmen zu entdecken – auch aus Berlin und Brandenburg und in diesem Jahr zum Beispiel aus der afghanischen Gegenwartsliteratur. Und das betont auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) in ihrer Rede. In einer Zeit, in der viele Fundamente ins Wanken geraten, sagte sie, sei es unverzichtbar, voneinander zu lesen. Wir sollten vor allem eines: zuhören und unterdrückten Stimmen Gehör verschaffen, "damit sie Nein sagen können zu Unrecht und Machtmissbrauch". Dafür sei das internationale Literaturfestival ein perfektes Forum, so die Kulturstaatsministerin. Sie lässt es sich auch nicht nehmen, auf den von ihr eingeführten Kulturpass für 18-jährige hinzuweisen. Denn es wurden schon über 200.000 Bücher damit gekauft. Das macht Platz 1, vor Kino und Clubs.
Bei den Reden haben sich alle von großen Dichtern inspirieren lassen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth wählt Kafka: "Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns." Das mache die Literatur so unentbehrlich. Und Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) bedient sich bei August Wilhelm von Schlegel: "Literatur ist die Unsterblichkeit der Sprache, und die Sprache ist die unsterbliche Seele der Kultur." Chialo nennt zwei Zukunftsthemen, die ihm beim ilb besonders am Herzen liegen: der Austausch mit afrikanischen Kulturen und der Umgang mit KI. Denn auch für Autorinnen und Autoren werden sich die Arbeitsbedingungen in Zukunft verändern. Fragen, die auf dem Festival diskutiert werden. Literatur solle kein Elfenbeinturm für Intellektuelle sein, so Chialo, und deswegen wirbt er noch mal für seinen Vorschlag, dass die Zentrale Landesbibliothek (ZLB) in die Friedrichstraße zieht.
Apropos Reden. Die Eröffnungsrede ist immer ein Ereignis beim ilb. Die hält in diesem Jahr die italienische Schriftstellerin und Drehbuchautorin Francesca Melandri. Sie spricht über den "Ultraschall des Schweigens", bzw. der Stille und sagt, die Energie eines Textes liege nicht in den Worten, sondern in den Leerstellen, also das, was nicht gesagt werde. Da hört die Sprache auf, nur aus Worten zu bestehen, also aus Klang plus Bedeutung. Da verwandeln sich die Worte in Leben, in Ultraschall. Im echten Leben sei das aber genau das Gegenteil. Da habe das Schweigen eine politische Dimension. Nämlich im Verschweigen. Als Autorin möchte Melandri der Stille einen Namen geben und durch sie mit dem Leser kommunizieren. Im gesellschaftlichen Zusammenleben solle man aber nicht schweigen. Man solle darauf achten, was gesagt, worüber geschwiegen und was verschwiegen wird. Darüber diskutierten im Anschluss kurz der Friedenspreisträger Navid Kermani und Manjeet Mann mit Melandri.
Insgesamt fehlte aber bei der Eröffnung leider der Faden, die aufrüttelnde Message und insgesamt die Strahlkraft. Denn das hat das Festival - wie die vielen Highlights im Programm beweisen.
Bis zum 16. September gibt es 150 Veranstaltungen, aus 40 verschiedenen Ländern an acht verschiedenen Orten und 12 Bühnen.
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