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Quelle: rbb

Interview | Omar Massa - Komponist und Bandoneon-Spieler

Sowohl in Berlin als auch in Buenos Aires herrscht eine melancholische Atmosphäre

Vor 110 Jahren kam der Tango nach Berlin, jetzt ist die Stadt Tango-Metropole in Europa und Omar Massa einer ihrer Stars. Der Bandoneon-Spieler startete seine Karriere in Buenos Aires und nennt Berlin seine zweite Heimat.

rbb: Wieso haben Sie sich dafür entschieden, das Bandoneon und Tango zu spielen?

Omar Massa: Ich komme aus Buenos Aires, dort hört man überall Tango. Für mich war es normal, Tango zu spielen. Als ich etwa zwölf Jahre alt war, fing ich an, klassische Musikkomposition am Nationalen Konservatorium für Musik in Buenos Aires zu studieren. Aber irgendwann merkte ich, wie wichtig der Tango für mich ist. Es ist wesentlich, die Werte jeder Kultur zu bewahren. Ich wollte Musik machen, die meine Essenz zeigt und mich repräsentiert. Daher entschied ich mich mit 19 Jahren, mich ausschließlich dem Bandoneon und dem Tango zu widmen.

Zur Person

Omar Massa

Was bedeutet der Tango für Sie?

Für mich ist der Tango eine Lebensweise. Die Art und Weise, wie man Tango spielt oder tanzt, ist dieselbe Art und Weise, wie mein Großvater oder mein Vater mit mir gesprochen haben. Es ist also eine kulturelle Ausdrucksform, genauso wie wir Spanisch sprechen.

Außerdem hat es mich immer fasziniert, dass es im Tango eine Dualität und einen Kontrast zwischen den Polen des Lebens gibt. Zum Beispiel ein Mann und eine Frau, die Tango tanzen. Wenn man diese Musik hört gibt es unterschiedliche Merkmale: Einerseits ist der Tango lyrisch und ausdrucksstark, andererseits gibt es einen rhythmischen Teil, der ihn markanter und akzentuierter klingen lässt. Damit es wie echter Tango klingt, muss er diese kontrastierenden Elemente haben. Der Tango hat etwas Besonderes, genauso wie der Klang des Bandoneons etwas hat, das man nicht einfach so erklären kann.

Mittlerweile zeigen die neuen Generationen in Argentinien kaum Interesse am Tango.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Tango die wichtigste kulturelle Form in Buenos Aires. Das bedeutet Musik, Tanz, Poesie und Vieles mehr. Das hat sich jetzt verändert. Die jüngeren Generationen haben meiner Meinung nach noch nicht erkannt, dass auch sie Tango sind. Der Tango ist eine sehr argentinische Art, sich auszudrücken und zu bewegen. Ich versuche, den Tango so viel wie möglich an neue Orte zu bringen. Deshalb arbeite ich in Konzertsälen mit klassischen Musikern zusammen, denn genau das hat Astor Piazolla getan. Und das haben die großen Tangoschöpfer immer getan. Ich setze mich für die Weiterentwicklung des Tangos ein, arbeite also für den Tango der Zukunft - nicht für den Tango der Vergangenheit.

Obwohl Sie in anderen Städten hätten sein können, haben Sie sich entschieden, nach Berlin zu ziehen. Warum?

Ich glaube, nicht ich habe Berlin gewählt – Berlin hat mich gewählt. Ich habe mit 20 Jahren angefangen, auf Konzerttournee zu gehen, also bin ich überall auf der Welt gewesen. Aber der einzige Ort, an dem ich mich außerhalb von Buenos Aires wohlgefühlt habe, war Berlin. Aus irgendeinem Grund, den ich bis heute nicht verstehen kann, fühlte ich mich hier einfach wie in Buenos Aires.

Aber auch die Liebe hat mich nach Berlin gebracht, denn meine Frau ist halb Spanierin und halb Deutsche. Berlin war der Ort, an dem wir uns in Europa etablieren wollten. Für mich war es klar, denn Berlin ist der Ort, an dem ich mich zu Hause fühle. Für mich ist Berlin jetzt meine zweite Heimat.

Was bedeutet es für Sie, in Berlin in den großen Sälen aufzutreten und zusammen mit dem Berliner Kammerorchester Ihr Land zu repräsentieren?

Als Musiker aus Buenos Aires, der das Bandoneon spielt und die Tradition des Tangos in seinen Adern hat, interessiert es mich, von anderen Musikern zu lernen. Es ist eine Ehre, Projekte mit Musikern der Berliner Philharmoniker zu haben. Sie zeigen Interesse an meiner Musik. Wir lernen voneinander, und dabei kreieren wir etwas völlig Neues. Auch wenn es Unterschiede gibt, ergänzen sich meine und ihre Musik in gewisser Weise.

Gleichzeitig bin ich natürlich stolz darauf, mein Land repräsentieren zu können. Denn es ist etwas Familiäres, das mit meiner Herkunft zu tun hat. Genau das möchte ich mit der Welt teilen, so gut und so weit wie möglich.

Berlin gilt als Tangometropole in Europa.

Ja, Berlin ist der Ort mit den meisten Tango-Orten außerhalb von Buenos Aires im Moment, glaube ich. Meiner eigene Statistik nach hat Berlin Paris überholt.

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Warum glauben Sie, dass die Tangoszene hier in Berlin so groß ist?

Sowohl in Berlin als auch in Buenos Aires herrscht eine etwas melancholische Atmosphäre, etwas Trauriges, das dem Tango sehr ähnlich ist. Der Klang des Bandoneons umarmt dich und der Tango gibt dir die Möglichkeit, dich mit der Melancholie zu versöhnen, die in Berlin herrscht. Der Tango schafft einen Raum, sich gegenseitig zu umarmen und die Musik mit einer anderen Person zu fühlen. Das ist Therapie.

Hinzu kommt, dass das Bandoneon ein deutsches Instrument ist. Es gibt Legenden darüber, wie genau es nach Argentinien kam. Haben Sie eine Lieblingslegende?

Eine Legende ist, dass ein deutscher Seemann das Bandoneon im Hafen von Buenos Aires gegen ein Bier getauscht hat. Eine Lieblingslegende habe ich aber nicht, weil es unmöglich ist zu wissen, wie das Bandoneon nach Buenos Aires kam. Das gleiche gilt für viele Menschen in Buenos Aires, die eine sehr gemischte Herkunft haben, aber es vielleicht nicht realisieren. Denn Buenos Aires war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Schmelztiegel der Kulturen aus der ganzen Welt. Ich finde es faszinierend, dass wir nicht wissen können, wie das Bandoneon nach Buenos Aires kam. Das gleiche passierte, während sich die Seele des Tangos formte. Es gab eine Mischung, eine geheimnisvolle Alchemie aus verschiedenen Kulturen, Ländern und Lebensweisen, die entwickelten, was der Tango heute ist.

Seitdem scheint die Beziehung zwischen Berlin und Buenos Aires etwas Besonderes zu sein.

In der Beziehung zwischen Argentinien und Deutschland gibt es ein Gefühl der Verwandtschaft, das schwer zu erklären ist. Besonders in Berlin kann man es spüren. Denn aus irgendeinem Grund übt die Musik von Buenos Aires in Berlin diese Anziehungskraft aus, weshalb es so viele Tango-Orte gibt und so viele Menschen, die Tango tanzen. Berlin, als Hauptstadt Deutschlands, hat der Musik von Buenos Aires eine Stimme gegeben: das Bandoneon. Es handelt sich also um eine übersinnliche Beziehung.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Nicole Duarte für rbbKultur.

Sendung: rbbKultur, 23.09.2023, 18:30 Uhr

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