Dirigieren mit Händen, Beinen, Füßen, Lippen und Ohren
Eine Zeitreise ins Berlin der 1920er und 1930er Jahre, mit dem Soundtrack von "Babylon Berlin", inklusive Symphonieorchester und Auftritten von Meret Becker und Max Raabe. Hendrik Schröder hat sich angeschaut, ob dieses Versprechen erfüllt wurde.
Die 40 Musikerinnen und Musiker des Baltic Sea Philharmonic stehen auf zwei Etagen auf der Bühne des Berliner Stage-Theaters. Und damit ist die auch schon ziemlich voll. Pompös sieht das aus, üppig. Streicher, Bläser, Schlagzeug. Die Herren mit Fliegen und Hosenträgern, die Damen mit Federboa im Haar und in schwarzen Kostümen, Outfits aus den 1920er und 1930er Jahren.
Von der Decke hängt ein riesiger Lampenschirm aus Kordeln, aus dem später noch glitzerne Lampen gen Boden fahren sollen. Acht Videowände quetschen sich links, rechts und im Bühnenhintergrund und zeigen Szenen aus der erfolgreichen Serie "Babylon Berlin" oder abstrakte flimmernde Sequenzen. Riesige altertümliche Strahler, die aussehen wie Filmbeleuchtung von früher, schießen Momente lang gleißendes Licht in den Zuschauerraum.
Also man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll.
Der Alexanderplatz, das Rote Rathaus, das Gefängnis Lehrter Straße. Die Karte zeigt erstmals eine Auswahl von Orten, an denen "Babylon Berlin" gedreht wurde - und wie sich das heutige Berlin in die wilden 20er Jahre verwandelt.
Max Raabe doing Max-Raabe-Things
Und das riesige Ensemble spielt ganz fantastisch und warm und sehr dynamisch und voller Freude und trotzdem hat man minutenlang das Gefühl, dass es noch gar nicht richtig losgeht. Das liegt vielleicht daran, dass die Beleuchtung im Saal angeschaltet bleibt, zwar gedimmt, aber ungewöhnlich hell. Vielleicht, weil der ganze Abend mitgefilmt wird.
Irgendwann hat man sich dann an das Licht gewöhnt und Meret Becker kommt auf die Bühne in einem schwarzen, glitzernden Hosenanzug, singt ein Duett mit einem Saxophon. Leider setzt sich ihre so besondere Stimme gar nicht gut durch im Gesamt-Sound. Und das Phänomen soll sich durch den ganzen Abend ziehen.
Nur in den leisen Passagen ist es okay, ansonsten klingen die Stimmen schepprig und seltsam diffus von irgendwoher kommend. Da muss die Produktion für die kommenden Aufführungen unbedingt nachjustieren, der Sound der Instrumente ist schließlich einwandfrei.
Irgendwann kommt dann auch Max Raabe und macht Max-Raabe-Sachen: Also kerzengerade stehen, ironisch gucken und so quäkend und einzigartig singen. Dann auch im Duett mit Meret Becker - ein Stück über einen Handkuss. Die beiden sind sehr süß zusammen und die Leute im schwitzend ausverkauften Stage Theater des Westens müssen grinsen und lachen und sind ganz angenehm gerührt.
Mit "Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich" schafften Max Raabe und sein Palastorchester den großen Durchbruch. Nun spielen sie tagelang hintereinander ausverkaufte Shows im Admiralspalast. Hendrik Schröder vom Auftaktkonzert.
Auch das Publikum wird mitdirigiert
Der eigentliche Star des Abends ist aber der musikalische Leiter und Dirigent Kristjan Järvi. Ein Teufelskerl in schwarzen, weiten Klamotten, die halblangen Haare nach hinten gekämmt, ein Freigeist, ein im allerbesten Sinne Verrückter. Er hat das Baltic Sea Philharmonic mitgegründet und jetzt dirigiert er sein Ensemble mit den Händen, den Armen, den Beinen, den Füßen, den Lippen, den Augen und mit Sicherheit noch mit den Ohren. Man konnte es nur aus dem Saal nicht sehen.
Järvi verausgabt sich derart, dass selbst die Musikerinnen und Musiker sich manchmal ein Grinsen nicht verkneifen können. Macht das einen Spaß, dem zuzusehen. Der springt und hüpft und rudert und irgendwann dreht er sich um und grinst und dirigiert das Publikum gleich mit, das springt auf, klatscht, tanzt, der Laden wird zur Party.
Also gut, dass es den verrückten Dirigenten gibt, sonst hätte das nach einer Stunde auch irgendwann langweilig werden können. Denn die Videowände sind am Ende zu klein, als dass man wirklich in die Serie, in die Zeit eintauchen könnte. Und auf der Bühne passiert im Laufe des Abends kaum etwas. Aber so, mit Blick auf den genialen Kristjan Järvi, war es super.