17 Konzerte in neun Tagen
Knapp vier Jahre nach Mauerbau reiste die Jazz-Legende Louis Armstrong in die DDR – wo er einen Konzert-Marathon absolvierte. Dabei hinterließ er einen Hauch von Amerika, Jazz und Freiheit. Von Johann Frederik Paul
Die Ostberliner "Jazzoptimisten" spielten "Sleepy Time" zur Begrüßung. Als Louis Armstrong am 19. März 1965 in Schönefeld ostdeutschen Boden betrat und seinen Song hörte, improvisierte er das erste Konzert noch auf dem Rollfeld. Solch eine Gelegenheit konnte sich der Musiker nicht nehmen lassen. Keine Show – nur ehrliche Musik.
Louis Armstrong und seine All Stars sollten einen Marathon antreten. 17 Konzerte in nur neun Tagen – einmal komplett durch die ausverkauften Hallen der DDR. Knapp 45.000 Menschen konnten mit Armstrong für einen Moment Jazz erleben. Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin – der Start war aber in Berlin, im alten Friedrichstadtpalast. An nur zwei Tagen spielte er hier sechs Shows, zu denen die Abendkasse getrost geschlossen bleiben konnte.
Doch bevor Satchmo am 20. März 1965 dem Friedrichstadtpalast ordentlich einheizen konnte, musste er sich am Tag seiner Ankunft den Fragen der Presse stellen. [ARD-Mediathek] Das Interesse lag hier kaum bei seiner Musik. Man wollte wissen, ob er die Mauer gesehen habe? Warum er nicht Südafrika spiele? Wie sähe er die Bürgerrechtsbewegung in den USA? Der Jazz-Künstler wurde stellvertretend für einen US-amerikanischen Politiker gefragt, den man zur Hochzeit des Kalten Krieges gar nicht in die DDR eingeladen hätte.
Armstrong versuchte klarzumachen, dass er Musiker sei, kein Politiker. Er habe die Mauer gesehen, kümmere sich aber viel mehr um sein Publikum von morgen Abend. Wo er spiele, bestimme sein Manager. Die Bürgerrechtsbewegung unterstütze er mit Spenden und er achte in den Südstaaten auf mixed Shows, Konzerte mit Schwarzen und Weißen im Publikum.
Eine Pressekonferenz war kein Ort für den Künstler, um Aussagen zu machen. Dafür hatte er die Bühne.
Während seiner Tournee ereilten Louis Armstrong dann Nachrichten über die Protestmärsche für die Bürgerrechte Schwarzer in Alabama von Selma nach Montgomery, angeführt von Martin Luther King Jr. Der Protest wurde von der Polizei blutig niedergeschlagen.
Louis Armstrong änderte daraufhin seine Show und nahm "(What Did I Do to Be so) Black and Blue" von Fats Waller ins Programm. Diese musikalische Anklage gegen Rassendiskriminierung hatte er jahrelang nicht gespielt.
Auf den ostdeutschen Musikjournalisten Karlheinz Drechsel wirkte es fast wie ein Scherz, als er den Auftrag bekam, Louis Armstrong durch die DDR zu begleiten. Nie hätte er damit gerechnet, dass ein amerikanischer Künstler in die DDR kommt und er ihn begleiten darf. Und auch aus heutiger Betrachtung erscheint es waghalsig, einen US-amerikanischen Künstler mitten im Kalten Krieg hinter dem Eisernen Vorhang spielen zu lassen. Viel zu groß musste die vermeintliche Bedrohung durch die Kultur des sogenannten Klassenfeinds wirken.
Für die DDR-Führung bedeutete so ein Besuch aber auch internationale Beachtung. Frieden und Völkerverständigung seien der DDR wichtig, sagte Ernst Zielke, Chef der Künstleragentur der DDR, in besagter Pressekonferenz. Der selbsternannte antifaschistische Staat versuchte in der Pressekonferenz, ein Gegenbild zu den angeblich imperialistischen USA und deren Rassentrennung darzustellen.
Dass die DDR-Führung nicht frei war von rassistischen Ressentiments, zeigte allerdings der Ausspruch Walter Ulbrichts, Jazz sei "Affenmusik", mit denen er die kulturpolitischen Diskussionen der DDR-50er prägte. Ulbricht wollte keinen Jazz in der DDR. Bis zum Besuch Louis Armstrongs wurden keine Schallplatten des Künstlers in Ostdeutschland verkauft.
Armstrong sah die DDR, nachdem er das Schönefelder Rollfeld verlassen hatte, fast ausschließlich aus dem Fenster des Tourbus. Während der kurzen Pausen brachte man ihm ostdeutsches Bier und Eisbein – ein Hauch von DDR-Kulinarik. Schaulustige konnten in diesen Pausen ein begehrtes Autogramm abstauben, das sofort Trophäenstatus besaß.
Solch eine Begeisterung versetzte die Staatsorgane in Alarmbereitschaft: Kein Konzert blieb unbeobachtet, die Anzahl der offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit im Publikum dürfte erheblich gewesen sein.
Das Misstrauen war durchaus berechtigt, denn Louis Armstrong hatte von der US-Regierung quasi den Auftrag, im Ostblock als Kulturbotschafter für Frieden und Demokratie zu werben. In anderen Ostblockländern wie Jugoslawien oder Bulgarien zahlte das Weiße Haus wohl sogar für die Konzerte. In der DDR war das nicht der Fall.
Während des Konzertes sah das Publikum also Amerika auf der Bühne, anschließend wurden die Bürger:innen der DDR wieder in die ostdeutschen Realität entlassen. Was blieb, war die Erinnerung an fast zwei Stunden Jazz bei den Auftritten der Musikerlegende.
Für die Nachwelt wurde die Tour auf Fotos, Filmen und Tondokumenten festgehalten. Im Potsdamer Kunsthaus Das Minsk sind Fotos von der Tour zu sehen. Sie werden ergänzt durch Kunstwerke, die von Armstrong inspiriert wurden, darunter auch Pop-Art von Andy Warhol. Eines der Highlights ist eine Trompete aus Armstrongs Besitz.
Sendung: Antenne Brandenburg, 16.09.2023, 10:30 Uhr
Beitrag von Johann Frederik Paul
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