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Audio: rbb24 Inforadio | 15.09.2023 | Hans Ackermann | Quelle: Stefan Höderath

Oper "Chief Hijangua" in Berlin

Namibische Lieder mit europäischen Orchesterklängen

Mit "Chief Hijangua" feiert am Freitagabend im Berliner Haus des Rundfunks die erste namibische Oper ihre Europa-Premiere. Hans Ackermann hat die Proben im großen Sendesaal begleitet.

Anders als in einem Opernhaus muss das außergewöhnliche Musiktheaterprojekt "Chief Hijangua" im großen Sendesaal des rbb ohne Orchestergraben auskommen. Die rund 30 Musikerinnen und Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin sitzen stattdessen auf erhöhten Podesten oberhalb der Sängerinnen und Sänger. Streicher und Bläser in der Mitte, eingerahmt von Kesselpauken und afrikanischen Trommeln.

Interkulturelles Musiktheater

In dieser Oper kommen zwei unterschiedliche Musikkulturen zusammen: Namibische Lieder werden mit europäischen Orchesterklängen begleitet, den gemächlichen Dreivierteltakt eines Wiener Walzers verwandelt Eslon Hindundu in muntere "afrikanische Sechsachtel" - wie der namibische Komponist seine rhythmisch akzentuierte Kompostionsweise beschreibt.

Tatsächlich hat Hindundu mit größter Finesse die Volksmusik seines südwestafrikanischen Heimatlandes in eine typische europäische Oper verwandelt. Mit Rezitativen und Arien, wunderschönen Duetten und hymnischen Chören. Dazu gibt es magische Momente, wenn mit Lamm und Schakal zwei Fabelwesen aus der namibischen Mythologie überlebensgroß über die Bühne schweben.

Die Oper präsentiert Musik, die teilweise an Mozart erinnert - wobei Hindundu einen anderen europäischen Komponisten hervorhebt: "Bei mir ist vieles von Beethoven inspiriert, vor allem von seinen Klaviersonaten", sagt der Komponist und fügt lachend hinzu, dass in Beethovens Klavierstücken doch wohl "jede Menge Afrika" stecke.

Tatsächlich klingt in Hindundus "Chief Hijangua" manches auch nach Beethovens "Fidelio". Etwa in der Ouvertüre, wenn dort eine hymnische Hornmelodie mit kräftigen Schlägen auf der Kesselpauke ihren Höhepunkt erreicht, dann allerdings von afrikanischen Trommeln abgeholt in einen beschwingten Tanz übergeht.

Vorgeschichte eines Genozids

Die Hornmelodie, erzählt Eslon Hindundu, gehöre zu einem der bekanntesten namibischen Volkslieder. Es handelt vom Waterberg, der für das Volk der Herero ein "heiliger Ort" sei.

Und ein Ort des Schreckens, schaut man in die deutsch-namibische Kolonialgeschichte. Denn mit der historischen Schlacht am Waterberg begann im Jahr 1904 der Völkermord. In dessen Verlauf töteten deutsche Soldaten zwischen 1904 und 1908 geschätzte 80.000 Hereros und 10.000 Angehörige des Nama-Volkes.

Die Oper erzähle die "Vorgeschichte" dieser grausamen Ereignisse, sagt Regisseurin Kim Mira Meyer "Unsere Oper endet, bevor der Genozid passiert. Sie ist ein Ausblick auf das, was dann wirklich passiert ist, wir zeigen, wie es angefangen hat."

Der Stoff der Oper, schreibt der deutsche Librettist Nikolaus Frei im Programmheft, sei "eine dramatische Verdichtung von mündlich und schriftlich überlieferten Erzählungen aus Namibia und Deutschland". Der Historiker erzählt in seinem Libretto die Geschichte eines jungen namibischen Prinzen, dessen Suche nach Identität "durch den imperialistischen Übergriff einer fremden Macht zu einem schrecklichen Ende führt".

Quelle: Stefan Höderath

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Im Dorf der Herero

Gleich im ersten Rezitativ ist man in einem namibischen Dorf, wo Hijangua, der Sohn des Stammeshäuptlings, die von ihm angebetete Matjiua nicht heiraten darf. Dieses Recht nimmt sein älterer Bruder Nguti in Anspruch. Hijangua verlässt im Zorn das Dorf und läuft in die Wüste, wo die etwa gleichaltrige Maria den verletzten und beinahe verhungerten Jungen findet. Sie ist die Tochter eines deutschen Missionars, bringt Hijangua in die Station ihres Vaters.

Dort wächst Hijangua zu einem jungen Mann heran, trägt zu Beginn des dritten Aktes eine deutsche Militäruniform. Ein Oberst reden ihm ein, der wahre "Chief" seines Stammes zu sein, schenkt dem jungen Mann zum Abschied ein Gewehr. Mit der Waffe kehrt der Häuptlingssohn ins Dorf zurück - und erschießt im Affekt den eigenen Vater.

Und so muss diese deutsch-namibische Oper nicht nur auf den Orchestergraben, sondern auch auf ein Happy-End verzichten. Stattdessen bricht das kolonialistische Unheil über die Herero herein, musikalisch von Eslon Hindundun in einem dramatischen Schlusschor zum Ausdruck gebracht. Vor einem dunkelgrauen Bühnenbild, das an die Landschaft am Waterberg erinnert. Riesige in den Boden gerammte Metallstäbe deuten an, worum es damals wirklich ging: Rohstoffe aus Namibia, Uran und Kupfer, Diamanten und Gold.

Maria, die Missionarstochter, sieht das heraufziehende Unheil vorher. Sie muss aber machtlos zusehen und dem Wunsch des Vaters folgend sogar den Oberst heiraten, einen "horrible man", wie die Sopranistin Natasha Kitavi sagt, die ihre Rolle der Maria auf Deutsch singt. Wie auch Komponist Eslon Hindundu gehört sie zum Volk der Herero. Rund 120.000 Menschen, die im heutigen Namibia eine "recht konservative" Volksgruppe bilden, wie Kitavi sagt.

Als Beispiel erzählt die 25 Jahre alte Sängerin von zwei Hochzeiten: Sie selbst habe vor kurzem einen "Nicht-Herero" geheiratet, wofür sie im Prinzip die Erlaubnis der Community gebraucht hätte. Eine Freundin aus Windhoek habe gar einen "Mann aus Tansania" geheiratet, weshalb der Vater der Freundin - gleichzeitig ein Chief der Hereros - der Hochzeitszeremonie ferngeblieben sei.

Masken und Körbe

Auf der Bühne wird das gegenwärtige Namibia durchaus sichtbar, etwa wenn dort Masken der namibischen Künstlerin Isabel Katjavivi verwendet werden. In ihren Installationen will sie den gestorbenen Herero ein "Gesicht" geben. Wenn Hijangua gegen Ende der Oper seinen Vater Hangane tötet, geht der Sänger von der Bühne und lässt nur seine Maske zurück - eines der vielen starken Bilder dieser Inszenierung.

Die zahlreichen Requisiten auf der Bühne, vor allem traditionelle Körbe und Gefäße, erzählt Regisseurin Kim Mira Meyer, habe sie im ganzen Land gesammelt - und sich dabei natürlich mit dem überall lauernden Vorwurf der kulturellen Aneignung beschäftigt. "Als Deutsche hat man natürlich dauernd Angst, etwas Falsches zu machen. Auch ich dachte am Anfang: Oh Gott, jetzt sammeln wir Körbe im Norden Namibias und bringen die nach Deutschland, um sie auf der Bühne zu zeigen - ist das nicht kulturelle Aneignung?"

In solchen Momenten des Zweifelns habe ihr namibischer Co-Regisseur Michael Pulse sie aber davon überzeugt, "genau diese Dinge" nach Deutschland zu bringen. Und damit zu zeigen, "wie wunderbar die namibische Kultur" ist. Wenn diese Gegenstände, so die Regisseurin, am Ende mit der Oper wieder "nach Namibia zurückkehren", sei die Idee des kulturellen Austausches zwischen den beiden Ländern aufgegangen.

Quelle: Stefan Höderath

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Kulturelle Identität im Gesang finden

Für die deutsche Regisseurin und den namibischen Komponisten erfüllt sich mit den Berliner Aufführungen ein Traum, der die beruflichen Karrieren der jungen Sängerinnen und Sänger hoffentlich weiter beschleunigen wird: Natasha Kitavi, die 25 Jahre alte Sängerin aus Windhoek, hat in Südafrika bereits ein Gesangsstudium absolviert und würde sich gern, wie sie sagt, "in Richtung Musical" weiterentwickeln. Ihre Kollegin Janice van Rooy, die als Matjiua mit ihrem unglaublich kräftigen Sopran das gesamte Ensemble überstrahlt, studiert seit dem vergangenen Jahr an der Musikhochschule in Hannover.

Auch die beiden männlichen Hauptrollen sind auf Erfolgskurs: Sakhiwe Mkosana als Hijangua, ein junger Bariton, der gerade in Frankfurt in das dortige Opernstudio aufgenommen wurde, und Galilei Uajenenisa Njembo, der die Partie des Nguti absolut umwerfend interpretiert: Er studiert derzeit im kanadischen Montreal.

Sämtliche Sängerinnen und Sänger, erzählt die Sopranistin Natasha Kitavi, hätten übrigens im Chor mit dem Singen angefangen. "Chöre sind ein zentraler Teil unserer Kultur. Ich würde sogar sagen, das gemeinsame Singen ist das, was uns ausmacht."

Mit den Opernaufführungen in Berlin setze man ein Zeichen der Versöhnung, sagt Kitavi. "Wenn wir hier zusammen etwas so Schönes wie diese Oper auf die Bühne bringen, ist das ein großer Schritt für die gemeinsame Zukunft von Deutschland und Namibia."

Quelle: Stefan Höderath

Die Europa-Premiere von "Chief Hijangua" im Haus des Rundfunks [rbb-online.de] ist am 15. September., weitere Vorstellungen am 16. und 17. September. Eine gekürzte Fassung für Kinder ab sechs Jahren ist am 21., 22. und 23. September im Berlin Humboldt-Forum [humboldtforum.de] zu sehen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.09.2023, 6:55 Uhr

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