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Audio: rbb24 Inforadio | 23.09.2023 | Barbara Behrendt | Quelle: imago images

Theaterkritik | Uraufführung von "Baracke" am DT

Familie – die anstrengendste Lebensweise, die es gibt

Der Büchner-Preisträger Rainald Goetz legt am Deutschen Theater sein neues Stück vor. "Baracke" ist ein Text über die Familie als Keimzelle des Hasses. Claudia Bossard inszeniert das klug und komisch, ohne den Abgründen auszuweichen, findet Barbara Behrendt

Bea steht an der Rampe. Zu ihrer Rechten der virile Uwe in Motorradkluft, zu ihrer Linken der zarte Ramin mit dem Ringelpulli und dem langen blonden Haar. Sie muss sich entscheiden. Und zunächst folgt sie der Liebe zu Ramin, auch wenn der sich noch von Mutti die Wäsche waschen lässt.

Mit welchem Witz, welcher Leichtigkeit und Naivität Mareike Beykirch und Jeremy Mockridge dieses junge Paar geben, ist eine Überraschung. Denn man könnte Rainald Goetz' neues Stück "Baracke" auch deutlich finsterer im Grundton anlegen. Schließlich zeichnet er die Familie als kleinste Keimzelle der Gewalt und des Hasses – ein Hass, der sich in Terror entladen kann. Bea und Uwe heißen die Protagonist:innen nicht grundlos – in ihnen schwingen der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine rassistischen Morde immer mit.

Quelle: imago images

Beim NSU richtete sich der Hass nach Außen, hier gegen das Innere

Doch viel mehr als die Namen haben sie nicht gemein. In Szenen-Splittern folgt man Bea und Uwe lose durch die 1990er Jahre in der Thüringischen Provinz bis ins Jahr 2021 im Dresdner Villenviertel. Die Beziehung zu Ramin geht in die Brüche, mit Uwe bekommt Bea Kinder – und mit den Kindern kommen Überforderung und Gewaltausbrüche.

Während sich beim bekannten Beate-Uwe-Paar der Hass nach Außen richtete, kehrt er sich hier gegen das Innere der Familie. Eine gewagte Analogie, die Rainald Goetz wie immer abgründig beschreibt: "Mann schlägt Frau. Die Brutalität des Mannes, die Macht des Stärkeren. Das stimmt ja leider alles. Der Blick des Irrsinns, der einen anstarrt. Die Fratze des Wahns, das Tier, vom Wahnsinn überrollt und dennoch willentlich dem hingegeben. Er könnte sich stoppen, aber er will nicht. Er will die Hemmungslosigkeit seines Wahnsinns ausleben."

Die Schweizer Regisseurin Claudia Bossard, die zum ersten Mal in Berlin inszeniert, findet treffende Bilder, um diese Gewalt nicht plump zu reproduzieren. Manchmal sitzt ein Paar, in Reifrock und Frack aus einem früheren Jahrhundert, beim Sprechen der Texte in einem musealen Glaskasten und lässt die Worte in die Vergangenheit hineinwachsen, während die Deutschlandhymne erklingt. Manchmal wütet Uwe allein im Schaukasten, während Bea am Bühnenrand wimmert.

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Aber nicht nur die Vitrinen machen die Bühne zu einem Deutschland-Museum. Auch Stellwände mit Ölgemälden und Videoscreens erinnern an eine Ausstellung von Bildern des Hasses. Ein Wehrmachtssoldat geht um. Eine untote Nazi-Diva spielt am Klavier. Später wird unter großem Geschrei eine Deutschlandflagge aus einer Kloschüssel gezerrt und schnell wieder hineingestopft. Der Hass ist hier einer über die Generationen weitergereichter.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.09.2023, 7:55 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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