Museum Europäischer Kulturen in Berlin
Selten wird es in Staatlichen Kultureinrichtungen so intim: Das Museum Europäischer Kulturen Berlin wagt sich seit Freitag in einer Sonderausstellung an das Thema Menstruation und hat Erstaunliches zusammengetragen. Von Susanne Lang
Das blutige Rot an der Wand sieht frisch verschmiert aus. Dunkelbraune Farbsprengsel mischen sich darunter, die an Gewebereste erinnern. Schon der Eingangsbereich dieses besonderen Museumsprojekts lässt ahnen, was die Besucherinnen und Besucher gleich erwarten wird. Hier geht es ins Innere des weiblichen Körpers und an die Grenzen dessen, was lange Zeit in unserer Gesellschaft zeig bar war. "Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation" ist ab heute im Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin-Dahlem zu sehen. Sie will mit den letzten Tabus rund um das Thema Monatsblutung brechen.
Der erste Teil der Ausstellung präsentiert die Geschichte der Menstruationsprodukte. Sehr lange reicht diese nicht zurück, vor gut 140 Jahren erst kamen die ersten speziellen Unterwäschen und Binden zum Einsatz. Damals waren sie aus Stoff genäht oder aus Wolle gestrickt. Mit der Entwicklung von Einwegprodukten wird das Angebot vielfältiger und bunter. Rund 100 historische und aktuelle Menstruationsartikel versammelt die Ausstellung. Die Exponate reichen von Tampons über Kunststoffbinden und Menstruationstassen bis hin zu moderner, nachhaltiger Periodenunterwäsche. Ein besonderes Highlight ist eine Extra-Kabine, in der Besucherinnen die Modelle aus dem 19. Jahrhundert selbst anprobieren können. Nachgenähte Exemplare hängen zum Testen bereit.
"Als alltagskulturelles Museum wollen wir die Entwicklung der Produkte nachzeichnen, aber auch einen Eindruck vom Lebensgefühl der Frauen vermitteln", sagt Jana Wittenzellner, Kuratorin der Sonderschau. Das gelingt gut. Beim Anblick eines dreieckigen Stofftuchs, das wie eine Windel um den Unterleib gebunden wurde, kann man heute leicht nachvollziehen, wie der Zuwachs an Komfort über die Jahrhunderte auch zu mehr Bewegungsfreiheit von Menstruierenden geführt hat.
Über drei Jahre hat Wittenzellner gemeinsam mit Co-Kuratorin Sofia Botvinnik an der Konzeption gearbeitet und recherchiert. Denn trotz aller Aufklärungsarbeit fehlt es auch heute noch an Wissen über den weiblichen Zyklus. Dieses Wissen will die Ausstellung in einem zweiten Themenbereich vermitteln. So sind auf drehbaren Schildern beispielsweise Fragen notiert, die Antworten erfährt man auf der Rückseite. Wie viele Eizellen bildet eine Frau im Laufe ihres Lebens? Wer es noch nicht wusste: 300.000 bis 500.000. Ist Menstruationsblut schmutzig oder giftig? Nein, es ist genauso rein wie anderes Blut auch.
Die Ausstellung räumt auf diese Weise leicht verständlich mit Vorurteilen und falschen Theorien auf. So hielt sich beispielsweise lange der Irrglaube, dass das "Periodengift" Blumen verwelken ließe. Den Gebärkröten widmet "Läuft" eine ganze Vitrine. Die kleinen Amulette aus Wachs sollten eine gute Geburt bringen. Die Gebärmutter stellte man sich damals als krötenähnliches Tier vor, das im Bauch kratzt und beißt und damit die Blutung auslöst.
Aber auch in der modernen Medizin gibt es noch Lücken in der Forschung zur Menstruation. "Das hat Einfluss auf die Gesundheit von Frauen und menstruierenden Menschen", sagt Wittenzellner. Daher sei es wichtig, dass über das Thema und die Konsequenzen für die Lebensqualität gesprochen werde.
Im gesellschaftlichen Diskurs jedenfalls ist Menstruation mittlerweile angekommen. Auch das zeigt die Ausstellung in einem dritten Bereich anhand von historischen Werbeanzeigen, Videos, Zeitungsartikeln und Social Media Posts. "Einfach bluten geht nicht", so bringt es Wittenzellner auf den Punkt. Die Menstruation sei immer eingebunden in Diskurse, die im Laufe der Zeit mehrfach ihr Gesicht verändert hätten. Diskutierte man vor 50 Jahren noch die Keimfreiheit und den erstrebenswerten ausgeglichenen Charakter von Frauen auch während der Periode, so geht es heute um Menstruationsurlaub und die Nachhaltigkeit von Hygieneprodukten. Kuriose Geräte wie eine Verbrennungsmaschine für gebrauchte Binden, wie sie in der Ausstellung zu sehen ist, sind heute tatsächlich nur mehr ein Fall fürs Museum.
Die Veränderungen im Blick auf Menstruierende spiegelt auch der vierte Bereich der Schau. Dort gibt es Video-Ausschnitte aus Filmen, Serien und Comedy zu sehen sowie Abbildungen von Kunstwerken, die sich mit dem Thema Menstruation beschäftigen. "Die Ausstellung soll Spaß machen und vergnüglich sein, auch für Menschen, denen der Umgang mit dem Thema schwerfällt", so Wittenzellner.
Neben den Leinwänden liegen Stifte und Zettel bereit, auf denen den Besucherinnen und Besucher ihre Gedanken, Eindrücke und Anregungen festhalten können. Es ist nur eines von vielen interaktiven Elementen. "Das Publikum darf die Ausstellung mitgestalten und mitformen", sagt Sofia Botvinnik. Das sei der rote Faden. Das Interesse an der Schau jedenfalls ist bereits groß. Schon vor der Eröffnung gingen viele Anfragen beim MEK ein, von Schulklassen und anderen Interessierten. Ein Jahr lang wird "Läuft" nun in Berlin-Dahlem zu sehen sein.
Sendung: rbb24 Abendschau, 05.10.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Susanne Lang
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